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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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von den staatsbürgerlichen Grundrechten anfangend, und zur Selbstverwal.
wng in Gemeinde und Kreis fortschreitend das Reformwerk so gründlich
und methodisch durchzuführen, wie es unser Autor fordert, so wird man die
hierüber sich verbreitenden ersten Capitel der Schrift doch nicht ohne Nutzen
und Belehrung lesen. Wir begegnen einer Fülle kluger und treffender Be¬
merkungen, praktischer Fingerzeige und concreter Vorschläge, die sich zwar
meist den wohl begründetsten liberalen Bestrebungen anschließen, aber ohne
ängstliche Rücksicht nach rechts, wie links dem eigensten wohlerwogenen Urtheil
folgen. -- Der Verfasser ist selbstverständlich kein Freund jenes Lapidarstils
moderner Verfassungsurkunden, in welchem dieselben individuelle "Grund-
rechte" zu gewährleisten pflegen: die schönen Sätze in ihren höchst allgemeinen
und feierlich nichtssagenden Wendungen bleiben absolut ungenügend für alle
praktische Verwerthung. Diese ist nur durch eine Reihe von Specialgesetzen
zu erhoffen, welche wirklich die ganze Mannichfaltigkeit der einschlagenden
Beziehungen umfassen, und hiernach beschäftigt sich der Abschnitt von den
..Grundrechten" sehr eingehend mit der wünschenswerthen positiven Ordnung
dieser Dinge. Indessen, so praktisch dieser Gesichtspunkt auch ist. darf doch
ein Moment bei alledem nicht übersehen werden. Derartige positive Ord¬
nungen zum Schutz der persönlichen Freiheit, des Hausrechts, der freien Nieder¬
lassung, des Gewerbebetriebs, der Presse, der öffentlichen Versammlungen und
Vereine, des Rechtsweges und geordneten Gerichtsstandes u. s. f. sind ge-
Miß vollkommen unentbehrlich. Aber für noch viel unentbehrlicher zum Schutz
der individuellen Freiheit halte ich gewisse negative Fundamentalbestimmun¬
gen des Verfassungsrechts, welche dem Staat und der staatlichen Gesetzgebung
^ für alle Mal unübersteigbare Schranken gegenüber der individuellen
Rechtssphäre ziehen. Solche individuelle Grundrechte in determinirtester
Formulirung sollten allerdings grundgesetzlich garantirt und jeglichen Ein-
fällen und Eingriffen der Legislative entrückt sein. Wir verdanken es der
Erfindung der allgemeinen Menschenrechte und der deutschen Philosophie,
daß wir auch in Deutschland verlernt haben, uns das Individuum in seinem
bürgerlichen Verhältniß zur staatlichen Gemeinschaft anders vorzustellen, als
Mit hochfliegenden positiven Prätensionen reichlich ausgestattet. Die nüch¬
terne Vorschrift des allgemeinen Landrechts "die Begriffe der Einwohner des
Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottes-
dienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein"
(Th. II. Tit. 11. § 1) enthält das Muster eines greifbaren Grundrechts,
w>e sie uns heute Noth thuen. Man braucht statt dessen nur eine positive
Fassung zu wählen, die den modernen Vorstellungen in friderieianischer Rede¬
weise entsprechen würde, etwa "ein jeder Preuße hat das unverjährbare
Recht, nach selner Facon seelig zu werden", und der Unterschied für das


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von den staatsbürgerlichen Grundrechten anfangend, und zur Selbstverwal.
wng in Gemeinde und Kreis fortschreitend das Reformwerk so gründlich
und methodisch durchzuführen, wie es unser Autor fordert, so wird man die
hierüber sich verbreitenden ersten Capitel der Schrift doch nicht ohne Nutzen
und Belehrung lesen. Wir begegnen einer Fülle kluger und treffender Be¬
merkungen, praktischer Fingerzeige und concreter Vorschläge, die sich zwar
meist den wohl begründetsten liberalen Bestrebungen anschließen, aber ohne
ängstliche Rücksicht nach rechts, wie links dem eigensten wohlerwogenen Urtheil
folgen. — Der Verfasser ist selbstverständlich kein Freund jenes Lapidarstils
moderner Verfassungsurkunden, in welchem dieselben individuelle „Grund-
rechte" zu gewährleisten pflegen: die schönen Sätze in ihren höchst allgemeinen
und feierlich nichtssagenden Wendungen bleiben absolut ungenügend für alle
praktische Verwerthung. Diese ist nur durch eine Reihe von Specialgesetzen
zu erhoffen, welche wirklich die ganze Mannichfaltigkeit der einschlagenden
Beziehungen umfassen, und hiernach beschäftigt sich der Abschnitt von den
..Grundrechten" sehr eingehend mit der wünschenswerthen positiven Ordnung
dieser Dinge. Indessen, so praktisch dieser Gesichtspunkt auch ist. darf doch
ein Moment bei alledem nicht übersehen werden. Derartige positive Ord¬
nungen zum Schutz der persönlichen Freiheit, des Hausrechts, der freien Nieder¬
lassung, des Gewerbebetriebs, der Presse, der öffentlichen Versammlungen und
Vereine, des Rechtsweges und geordneten Gerichtsstandes u. s. f. sind ge-
Miß vollkommen unentbehrlich. Aber für noch viel unentbehrlicher zum Schutz
der individuellen Freiheit halte ich gewisse negative Fundamentalbestimmun¬
gen des Verfassungsrechts, welche dem Staat und der staatlichen Gesetzgebung
^ für alle Mal unübersteigbare Schranken gegenüber der individuellen
Rechtssphäre ziehen. Solche individuelle Grundrechte in determinirtester
Formulirung sollten allerdings grundgesetzlich garantirt und jeglichen Ein-
fällen und Eingriffen der Legislative entrückt sein. Wir verdanken es der
Erfindung der allgemeinen Menschenrechte und der deutschen Philosophie,
daß wir auch in Deutschland verlernt haben, uns das Individuum in seinem
bürgerlichen Verhältniß zur staatlichen Gemeinschaft anders vorzustellen, als
Mit hochfliegenden positiven Prätensionen reichlich ausgestattet. Die nüch¬
terne Vorschrift des allgemeinen Landrechts „die Begriffe der Einwohner des
Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottes-
dienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein"
(Th. II. Tit. 11. § 1) enthält das Muster eines greifbaren Grundrechts,
w>e sie uns heute Noth thuen. Man braucht statt dessen nur eine positive
Fassung zu wählen, die den modernen Vorstellungen in friderieianischer Rede¬
weise entsprechen würde, etwa „ein jeder Preuße hat das unverjährbare
Recht, nach selner Facon seelig zu werden", und der Unterschied für das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/417>, abgerufen am 18.12.2024.