Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist der Bonner Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters, Verfasser
der "Bilder aus der neueren Kunstgeschichte" 'zugleich der gepriesene und
gefurchtere Autor der "Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden"
geworden. Und war das bei Dahlmann nicht ganz ähnlich? Er legte die
Proben seiner ästhetischen Erziehung ab in Uebersetzungen aus Aeschylus und
Aristophanes, forschte um Saxo Grammaticus und in altdänischer Geschichte,
und verfocht dabei als Professor zuerst die alten Rechte einer deutschen Land¬
schaft gegen Dänemark, dann die Rechte der deutschen Nation auf eine Ver¬
fassung gegen den alten Polizeistaat und Willkür der Könige; auch er,
der nach seiner Jugendbildung angelegt schien zum stillen, gedankenvollen
Betrachter ferner Vergangenheit, wurde durch den Zug seiner Zeit zu
einem Vorkämpfer für verfassungsmäßiges Recht und zu einem Lehrer in
der Politik.

Und ging es manchen andern nicht ebenso? Unter den berühmtesten
Lehrern unserer Wissenschaft sind verhältnißmäßig sehr viele, denen die Po¬
litik wenigstens einmal anspruchsvoll ihre Berufsthätigkeit gestört hat, die
genöthigt wurden, als Geschenke die Stätte ihrer Wirksamkeit zu verlassen,
oder die gar in Landtagen und politischen Vereinen über Zeitfragen debattir-
ten; die Mehrzahl derer, welche in hohem Fluge als Dichter begannen,
Wurden allmälig zu Schriftstellern über Tagesinteressen; sogar die bil¬
denden Künstler sahen sich durch den herrschenden Zug in ihrem Schaffen
geirrt. Sie suchten patriotische oder sociale Ideen zu Idealen umzubilden,
und sie gewöhnten sich, mehr darum zu sorgen, daß das Werk ihrer Kunst
bedeutsam, als daß es schön werde. -- Offenbar ist dies übergewaltige Ein¬
dringen der Staatssorgen in die Seelen der Gelehrten und Künstler nicht
jedem ein Gewinn für die Güte und Schönheit seiner Werke geworden,
Vielen hat es die Möglichkeit des Schaffens gestört, im Ganzen dürfen wir
doch mit Stolz sagen, daß diese Politik auch für Wissenschaft und Kunst der
größte Fortschritt, Erzieherin eines schärfer spähenden Gelehrtengeschlechts.
Vorbereitung für neue 'Kunstrichtungen geworden ist, denn sie half den
Deutschen in der Hauptsache, sie formte die Charaktere männlicher.

Und kein größerer Gegensatz ist denkbar als zwischen dem Idealismus
von Schiller und Goethe, welche den Künstler und Gelehrten, der politische
Thätigkeit nicht vermied, für einen öden Zeitverschwender zu halten geneigt
waren, und zwischen der jüngeren Generation, in .welcher die Jünglinge
Schlachtenlieder anstimmten und römische Tyrannen von deutschen Bären
fressen ließen.

Es war die Morgenröthe dieser Reuen Zeit, in welcher Dahlmann herauf¬
kam, und um sein ernstes Haupt schwebt für uns Jüngere das verklärende
Frühlicht. Er zählte als Politiker und als Gelehrter unter den ersten seiner
*


51

ist der Bonner Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters, Verfasser
der „Bilder aus der neueren Kunstgeschichte" 'zugleich der gepriesene und
gefurchtere Autor der „Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden"
geworden. Und war das bei Dahlmann nicht ganz ähnlich? Er legte die
Proben seiner ästhetischen Erziehung ab in Uebersetzungen aus Aeschylus und
Aristophanes, forschte um Saxo Grammaticus und in altdänischer Geschichte,
und verfocht dabei als Professor zuerst die alten Rechte einer deutschen Land¬
schaft gegen Dänemark, dann die Rechte der deutschen Nation auf eine Ver¬
fassung gegen den alten Polizeistaat und Willkür der Könige; auch er,
der nach seiner Jugendbildung angelegt schien zum stillen, gedankenvollen
Betrachter ferner Vergangenheit, wurde durch den Zug seiner Zeit zu
einem Vorkämpfer für verfassungsmäßiges Recht und zu einem Lehrer in
der Politik.

Und ging es manchen andern nicht ebenso? Unter den berühmtesten
Lehrern unserer Wissenschaft sind verhältnißmäßig sehr viele, denen die Po¬
litik wenigstens einmal anspruchsvoll ihre Berufsthätigkeit gestört hat, die
genöthigt wurden, als Geschenke die Stätte ihrer Wirksamkeit zu verlassen,
oder die gar in Landtagen und politischen Vereinen über Zeitfragen debattir-
ten; die Mehrzahl derer, welche in hohem Fluge als Dichter begannen,
Wurden allmälig zu Schriftstellern über Tagesinteressen; sogar die bil¬
denden Künstler sahen sich durch den herrschenden Zug in ihrem Schaffen
geirrt. Sie suchten patriotische oder sociale Ideen zu Idealen umzubilden,
und sie gewöhnten sich, mehr darum zu sorgen, daß das Werk ihrer Kunst
bedeutsam, als daß es schön werde. — Offenbar ist dies übergewaltige Ein¬
dringen der Staatssorgen in die Seelen der Gelehrten und Künstler nicht
jedem ein Gewinn für die Güte und Schönheit seiner Werke geworden,
Vielen hat es die Möglichkeit des Schaffens gestört, im Ganzen dürfen wir
doch mit Stolz sagen, daß diese Politik auch für Wissenschaft und Kunst der
größte Fortschritt, Erzieherin eines schärfer spähenden Gelehrtengeschlechts.
Vorbereitung für neue 'Kunstrichtungen geworden ist, denn sie half den
Deutschen in der Hauptsache, sie formte die Charaktere männlicher.

Und kein größerer Gegensatz ist denkbar als zwischen dem Idealismus
von Schiller und Goethe, welche den Künstler und Gelehrten, der politische
Thätigkeit nicht vermied, für einen öden Zeitverschwender zu halten geneigt
waren, und zwischen der jüngeren Generation, in .welcher die Jünglinge
Schlachtenlieder anstimmten und römische Tyrannen von deutschen Bären
fressen ließen.

Es war die Morgenröthe dieser Reuen Zeit, in welcher Dahlmann herauf¬
kam, und um sein ernstes Haupt schwebt für uns Jüngere das verklärende
Frühlicht. Er zählte als Politiker und als Gelehrter unter den ersten seiner
*


51
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124029"/>
          <p xml:id="ID_1244" prev="#ID_1243"> ist der Bonner Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters, Verfasser<lb/>
der &#x201E;Bilder aus der neueren Kunstgeschichte" 'zugleich der gepriesene und<lb/>
gefurchtere Autor der &#x201E;Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden"<lb/>
geworden. Und war das bei Dahlmann nicht ganz ähnlich? Er legte die<lb/>
Proben seiner ästhetischen Erziehung ab in Uebersetzungen aus Aeschylus und<lb/>
Aristophanes, forschte um Saxo Grammaticus und in altdänischer Geschichte,<lb/>
und verfocht dabei als Professor zuerst die alten Rechte einer deutschen Land¬<lb/>
schaft gegen Dänemark, dann die Rechte der deutschen Nation auf eine Ver¬<lb/>
fassung gegen den alten Polizeistaat und Willkür der Könige; auch er,<lb/>
der nach seiner Jugendbildung angelegt schien zum stillen, gedankenvollen<lb/>
Betrachter ferner Vergangenheit, wurde durch den Zug seiner Zeit zu<lb/>
einem Vorkämpfer für verfassungsmäßiges Recht und zu einem Lehrer in<lb/>
der Politik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1245"> Und ging es manchen andern nicht ebenso? Unter den berühmtesten<lb/>
Lehrern unserer Wissenschaft sind verhältnißmäßig sehr viele, denen die Po¬<lb/>
litik wenigstens einmal anspruchsvoll ihre Berufsthätigkeit gestört hat, die<lb/>
genöthigt wurden, als Geschenke die Stätte ihrer Wirksamkeit zu verlassen,<lb/>
oder die gar in Landtagen und politischen Vereinen über Zeitfragen debattir-<lb/>
ten; die Mehrzahl derer, welche in hohem Fluge als Dichter begannen,<lb/>
Wurden allmälig zu Schriftstellern über Tagesinteressen; sogar die bil¬<lb/>
denden Künstler sahen sich durch den herrschenden Zug in ihrem Schaffen<lb/>
geirrt.  Sie suchten patriotische oder sociale Ideen zu Idealen umzubilden,<lb/>
und sie gewöhnten sich, mehr darum zu sorgen, daß das Werk ihrer Kunst<lb/>
bedeutsam, als daß es schön werde. &#x2014; Offenbar ist dies übergewaltige Ein¬<lb/>
dringen der Staatssorgen in die Seelen der Gelehrten und Künstler nicht<lb/>
jedem ein Gewinn für die Güte und Schönheit seiner Werke geworden,<lb/>
Vielen hat es die Möglichkeit des Schaffens gestört, im Ganzen dürfen wir<lb/>
doch mit Stolz sagen, daß diese Politik auch für Wissenschaft und Kunst der<lb/>
größte Fortschritt, Erzieherin eines schärfer spähenden Gelehrtengeschlechts.<lb/>
Vorbereitung für neue 'Kunstrichtungen geworden ist, denn sie half den<lb/>
Deutschen in der Hauptsache, sie formte die Charaktere männlicher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1246"> Und kein größerer Gegensatz ist denkbar als zwischen dem Idealismus<lb/>
von Schiller und Goethe, welche den Künstler und Gelehrten, der politische<lb/>
Thätigkeit nicht vermied, für einen öden Zeitverschwender zu halten geneigt<lb/>
waren, und zwischen der jüngeren Generation, in .welcher die Jünglinge<lb/>
Schlachtenlieder anstimmten und römische Tyrannen von deutschen Bären<lb/>
fressen ließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1247" next="#ID_1248"> Es war die Morgenröthe dieser Reuen Zeit, in welcher Dahlmann herauf¬<lb/>
kam, und um sein ernstes Haupt schwebt für uns Jüngere das verklärende<lb/>
Frühlicht.  Er zählte als Politiker und als Gelehrter unter den ersten seiner<lb/>
*</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 51 </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] ist der Bonner Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters, Verfasser der „Bilder aus der neueren Kunstgeschichte" 'zugleich der gepriesene und gefurchtere Autor der „Geschichte Oestreichs seit dem Wiener Frieden" geworden. Und war das bei Dahlmann nicht ganz ähnlich? Er legte die Proben seiner ästhetischen Erziehung ab in Uebersetzungen aus Aeschylus und Aristophanes, forschte um Saxo Grammaticus und in altdänischer Geschichte, und verfocht dabei als Professor zuerst die alten Rechte einer deutschen Land¬ schaft gegen Dänemark, dann die Rechte der deutschen Nation auf eine Ver¬ fassung gegen den alten Polizeistaat und Willkür der Könige; auch er, der nach seiner Jugendbildung angelegt schien zum stillen, gedankenvollen Betrachter ferner Vergangenheit, wurde durch den Zug seiner Zeit zu einem Vorkämpfer für verfassungsmäßiges Recht und zu einem Lehrer in der Politik. Und ging es manchen andern nicht ebenso? Unter den berühmtesten Lehrern unserer Wissenschaft sind verhältnißmäßig sehr viele, denen die Po¬ litik wenigstens einmal anspruchsvoll ihre Berufsthätigkeit gestört hat, die genöthigt wurden, als Geschenke die Stätte ihrer Wirksamkeit zu verlassen, oder die gar in Landtagen und politischen Vereinen über Zeitfragen debattir- ten; die Mehrzahl derer, welche in hohem Fluge als Dichter begannen, Wurden allmälig zu Schriftstellern über Tagesinteressen; sogar die bil¬ denden Künstler sahen sich durch den herrschenden Zug in ihrem Schaffen geirrt. Sie suchten patriotische oder sociale Ideen zu Idealen umzubilden, und sie gewöhnten sich, mehr darum zu sorgen, daß das Werk ihrer Kunst bedeutsam, als daß es schön werde. — Offenbar ist dies übergewaltige Ein¬ dringen der Staatssorgen in die Seelen der Gelehrten und Künstler nicht jedem ein Gewinn für die Güte und Schönheit seiner Werke geworden, Vielen hat es die Möglichkeit des Schaffens gestört, im Ganzen dürfen wir doch mit Stolz sagen, daß diese Politik auch für Wissenschaft und Kunst der größte Fortschritt, Erzieherin eines schärfer spähenden Gelehrtengeschlechts. Vorbereitung für neue 'Kunstrichtungen geworden ist, denn sie half den Deutschen in der Hauptsache, sie formte die Charaktere männlicher. Und kein größerer Gegensatz ist denkbar als zwischen dem Idealismus von Schiller und Goethe, welche den Künstler und Gelehrten, der politische Thätigkeit nicht vermied, für einen öden Zeitverschwender zu halten geneigt waren, und zwischen der jüngeren Generation, in .welcher die Jünglinge Schlachtenlieder anstimmten und römische Tyrannen von deutschen Bären fressen ließen. Es war die Morgenröthe dieser Reuen Zeit, in welcher Dahlmann herauf¬ kam, und um sein ernstes Haupt schwebt für uns Jüngere das verklärende Frühlicht. Er zählte als Politiker und als Gelehrter unter den ersten seiner * 51

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/409>, abgerufen am 27.07.2024.