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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nahmen und Negerwohnungen verbrannten. Die inzwischen wieder aufge¬
pflanzte Flagge wurde dennoch wieder heruntergerissen. Darauf fuhr am
26. Mai vorigen Jahres ein Kriegsdampfer auf Recognoscirung an der
Küste von Commendah vorbei. Weil er sich dem Ufer nicht genug nähern
konnte, sandte er eine Schaluppe mit neun Mann aus. unter der Ordre nicht
ans Land zu steigen, weil dies zu gefährlich sei. Aber das Fahrzeug schlug
in der hohen Brandung um, vier Personen der Mannschaft ertranken, die
übrigen fünf erreichten das Ufer und wurden dort von den Negern, die aus
ihrem Versteck in den Gebüschen hervor kamen, gefangen genommen. Ein
Matrose, der sich vertheidigte, wurde getödtet. daraus ward ihm die Kopf¬
haut abgezogen und eine Hand abgehauen. Die anderen vier wurden in
die Gefangenschaft geführt, wo sie anfangs beschimpft und gar geschlagen,
später aber gut behandelt wurden. Der holländische Gouverneur hatte sich
nämlich an seinen englischen Collegen in Cape Coast gewendet, der durch
seinen Einfluß den Gefangenen ein erträgliches Loos und schließlich die Frei¬
heit verschaffte.

Als die Nachricht in den Niederlanden ankam, richtete sofort der Ab-
geordnete Sypestein eine Jnterpellation in der zweiten Kammer an den Co-
lonialminister über den Gegenstand und die Schmach, welche die holländische
Nation an der afrikanischen Küste erlitten habe. Der Minister versprach
alles Mögliche zu thun, um die Beleidigung zu rächen, und stellte eine Ex-
pedition in Aussicht. Keine von den achtzig Stimmen der zweiten Kammer,
kein. Laut außerhalb derselben wurde gehört, um das Unmenschliche solcher
Expeditionen darzuthun. Der Kriegszug wurde denn auch in gewohnter
Weise ausgeführt: die holländischen Truppen machten auf ihrem Zug nach
Commendah Alles nieder, was ihnen begegnete, und verwüsteten und ver.
brannten Alles, was sie erreichen konnten. Das Ansehen der niederländischen
Negierung wurde dadurch wieder hergestellt und die Nation sieht mit Ver¬
gnügen auf ihre militärischen Erfolge. Die zurückkehrenden Krieger werden
reichlich mit Orden und Ehren belohnt, gerade in den Tagen, wo am Rechte
des Staates gezweifelt wird, ein Menschenleben zu opfern. Oeffentlich be-
huptet man auf der einen Seite, durch die Todesstrafe schrecke man nicht
"om Verbrechen ab. während man auf der anderen Seite durch Blutbad
und Verheerung Völker zum Gehorsam bringen will. Ich meine, auch ber
rohen Völkern wird durch solche Expeditionen nur Erbitterung hervorgerufen
und das Verlangen nach Abschüttelung eines unmenschlichen Joches verstärkt.

Ob den Commendesen Schrecken genug eingeflößt ist und ob sie jetzt dem
holländischen Gouvernement unterworfen bleiben, ist eine Frage der Zeit. Aber
eine andere Frage ist: wie lange sollen solche Abscheulichkeiten noch dauern?
Und dahinter erhebt sich die Frage, mit welchem Recht herrschen die Euro-


nahmen und Negerwohnungen verbrannten. Die inzwischen wieder aufge¬
pflanzte Flagge wurde dennoch wieder heruntergerissen. Darauf fuhr am
26. Mai vorigen Jahres ein Kriegsdampfer auf Recognoscirung an der
Küste von Commendah vorbei. Weil er sich dem Ufer nicht genug nähern
konnte, sandte er eine Schaluppe mit neun Mann aus. unter der Ordre nicht
ans Land zu steigen, weil dies zu gefährlich sei. Aber das Fahrzeug schlug
in der hohen Brandung um, vier Personen der Mannschaft ertranken, die
übrigen fünf erreichten das Ufer und wurden dort von den Negern, die aus
ihrem Versteck in den Gebüschen hervor kamen, gefangen genommen. Ein
Matrose, der sich vertheidigte, wurde getödtet. daraus ward ihm die Kopf¬
haut abgezogen und eine Hand abgehauen. Die anderen vier wurden in
die Gefangenschaft geführt, wo sie anfangs beschimpft und gar geschlagen,
später aber gut behandelt wurden. Der holländische Gouverneur hatte sich
nämlich an seinen englischen Collegen in Cape Coast gewendet, der durch
seinen Einfluß den Gefangenen ein erträgliches Loos und schließlich die Frei¬
heit verschaffte.

Als die Nachricht in den Niederlanden ankam, richtete sofort der Ab-
geordnete Sypestein eine Jnterpellation in der zweiten Kammer an den Co-
lonialminister über den Gegenstand und die Schmach, welche die holländische
Nation an der afrikanischen Küste erlitten habe. Der Minister versprach
alles Mögliche zu thun, um die Beleidigung zu rächen, und stellte eine Ex-
pedition in Aussicht. Keine von den achtzig Stimmen der zweiten Kammer,
kein. Laut außerhalb derselben wurde gehört, um das Unmenschliche solcher
Expeditionen darzuthun. Der Kriegszug wurde denn auch in gewohnter
Weise ausgeführt: die holländischen Truppen machten auf ihrem Zug nach
Commendah Alles nieder, was ihnen begegnete, und verwüsteten und ver.
brannten Alles, was sie erreichen konnten. Das Ansehen der niederländischen
Negierung wurde dadurch wieder hergestellt und die Nation sieht mit Ver¬
gnügen auf ihre militärischen Erfolge. Die zurückkehrenden Krieger werden
reichlich mit Orden und Ehren belohnt, gerade in den Tagen, wo am Rechte
des Staates gezweifelt wird, ein Menschenleben zu opfern. Oeffentlich be-
huptet man auf der einen Seite, durch die Todesstrafe schrecke man nicht
"om Verbrechen ab. während man auf der anderen Seite durch Blutbad
und Verheerung Völker zum Gehorsam bringen will. Ich meine, auch ber
rohen Völkern wird durch solche Expeditionen nur Erbitterung hervorgerufen
und das Verlangen nach Abschüttelung eines unmenschlichen Joches verstärkt.

Ob den Commendesen Schrecken genug eingeflößt ist und ob sie jetzt dem
holländischen Gouvernement unterworfen bleiben, ist eine Frage der Zeit. Aber
eine andere Frage ist: wie lange sollen solche Abscheulichkeiten noch dauern?
Und dahinter erhebt sich die Frage, mit welchem Recht herrschen die Euro-


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[0403] nahmen und Negerwohnungen verbrannten. Die inzwischen wieder aufge¬ pflanzte Flagge wurde dennoch wieder heruntergerissen. Darauf fuhr am 26. Mai vorigen Jahres ein Kriegsdampfer auf Recognoscirung an der Küste von Commendah vorbei. Weil er sich dem Ufer nicht genug nähern konnte, sandte er eine Schaluppe mit neun Mann aus. unter der Ordre nicht ans Land zu steigen, weil dies zu gefährlich sei. Aber das Fahrzeug schlug in der hohen Brandung um, vier Personen der Mannschaft ertranken, die übrigen fünf erreichten das Ufer und wurden dort von den Negern, die aus ihrem Versteck in den Gebüschen hervor kamen, gefangen genommen. Ein Matrose, der sich vertheidigte, wurde getödtet. daraus ward ihm die Kopf¬ haut abgezogen und eine Hand abgehauen. Die anderen vier wurden in die Gefangenschaft geführt, wo sie anfangs beschimpft und gar geschlagen, später aber gut behandelt wurden. Der holländische Gouverneur hatte sich nämlich an seinen englischen Collegen in Cape Coast gewendet, der durch seinen Einfluß den Gefangenen ein erträgliches Loos und schließlich die Frei¬ heit verschaffte. Als die Nachricht in den Niederlanden ankam, richtete sofort der Ab- geordnete Sypestein eine Jnterpellation in der zweiten Kammer an den Co- lonialminister über den Gegenstand und die Schmach, welche die holländische Nation an der afrikanischen Küste erlitten habe. Der Minister versprach alles Mögliche zu thun, um die Beleidigung zu rächen, und stellte eine Ex- pedition in Aussicht. Keine von den achtzig Stimmen der zweiten Kammer, kein. Laut außerhalb derselben wurde gehört, um das Unmenschliche solcher Expeditionen darzuthun. Der Kriegszug wurde denn auch in gewohnter Weise ausgeführt: die holländischen Truppen machten auf ihrem Zug nach Commendah Alles nieder, was ihnen begegnete, und verwüsteten und ver. brannten Alles, was sie erreichen konnten. Das Ansehen der niederländischen Negierung wurde dadurch wieder hergestellt und die Nation sieht mit Ver¬ gnügen auf ihre militärischen Erfolge. Die zurückkehrenden Krieger werden reichlich mit Orden und Ehren belohnt, gerade in den Tagen, wo am Rechte des Staates gezweifelt wird, ein Menschenleben zu opfern. Oeffentlich be- huptet man auf der einen Seite, durch die Todesstrafe schrecke man nicht "om Verbrechen ab. während man auf der anderen Seite durch Blutbad und Verheerung Völker zum Gehorsam bringen will. Ich meine, auch ber rohen Völkern wird durch solche Expeditionen nur Erbitterung hervorgerufen und das Verlangen nach Abschüttelung eines unmenschlichen Joches verstärkt. Ob den Commendesen Schrecken genug eingeflößt ist und ob sie jetzt dem holländischen Gouvernement unterworfen bleiben, ist eine Frage der Zeit. Aber eine andere Frage ist: wie lange sollen solche Abscheulichkeiten noch dauern? Und dahinter erhebt sich die Frage, mit welchem Recht herrschen die Euro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/403>, abgerufen am 01.09.2024.