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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nität, die letzte Entscheidung über Tod und Leben des Verbrechers auf die
Seele des Regenten zu legen. In Wahrheit hat seither nicht der Ausspruch
des Gesetzes, sondern erst die Verweigerung der Gnade durch den Landes¬
herrn den Tod des Verbrechers zur Folge gehabt. Und wenn die Berend'
mung richtig ist, nach welcher unsere Souveräne ihr Gnadenrecht so
reichlich üben, daß sie von je drei zum Tode Verurtheilten nur den dritten
hinrichten lassen, dann wird das Ungeheuerliche der Ausnahmestellung, in
welche sie durch ein sogenanntes Gnadenrecht versetzt sind, nur noch auffallender.
Ob sie tödten lassen, liegt ganz in ihrem Ermessen, in zufälliger Auffassung,
in Gemüthsstimmung und Charakter, in den persönlichen Einwirkungen, welche
auf sie ausgeübt werden. Zu wenig denkt das Volk daran, wie schwer die
Last ist, welche durch dies unmenschliche Vorrecht auf das Gewissen der
Fürsten gelegt wird. Jedem Regenten ist bei Antritt seiner Regierung
diese Function seiner Herrschermacht unheimlich und schrecklich. Lange sträubt
ein gewissenhafter Herr sich gegen die Unterschrift eines Todesurtheils. Er
greift wiederholt nach den Untersuchungs-Acten, sucht sich selbst eine Ansicht über
den Grad der Schuld, die Unwürdigkeit des Verbrechers, über die Berechtigung
seines Mitleids zu verschaffen; nicht leicht gelingt ihm das, er ist nicht gewohnt
in der Seele eines Verbrechers zu lesen. Tief fühlt seine warme Empfindung
sich verletzt, die gehobene Stimmung der ersten Regierungszeit wird schnell
niedergedrückt. Er verschiebt von einem Tage zum andern die verhängnißvolle
Entscheidung, zuweilen vergehen Jahre, bevor er sich entschließt. Und wie kommt
er endlich zu dem Entschluß, das erste Mal die tödtende Feder zu ergreifen?
Harte Kriminalisten und ordnungsliebende Beamte, welche alte Reste nicht
leiden mögen, drängen ehrerbietig. Ihnen kommt zu Hilfe der Hof-Theolog,
der elendeste aller Schmeichler, dieser sucht das bedrängte Gemüth des Fürsten
durch die teuflische Lehre aufzurichten, daß der Fürst in der höchsten Erden¬
stellung von Gottes Gnade anders als andere Sterbliche erleuchtet und befähigt
werde, das Rechte zu treffen, und daß Gott ein frommes Fürstengemüth mit
seinem Willen erfülle, auch wo er Strafen verhänge. Das endlich wirkt. Nur
in dem Gedanken vor Andern erkoren und zur Ausführung des göttlichen
Willens begnadigt zu sein, vermag der erlauchte Herr dieses finstre Vor¬
recht seines Amtes gleichmüthig zu üben, es ist eine Pflicht, die ihm der
Herr auflegt, und ihm hilft eine Erleuchtung und Willensrichtung, welche
ihm dafür von Gott selbst gegeben wird. Wer darf den Fürsten schelten , wenn
er gegenüber einer unmenschlichen Zumuthung für sich einen Halt sucht, der
nicht mehr menschlich ist? Und wer darf sich wundern, wenn derselbe Glaube
an die mystische Weihe seines Amtes und die besondere göttliche Gnade schnell
für Leben und Thun des Fürsten eine Bedeutung gewinnt, die sein Volk und
seine Zeitgenossen nicht mehr verstehen. -- In diesem Gnadenrecht liegt der


nität, die letzte Entscheidung über Tod und Leben des Verbrechers auf die
Seele des Regenten zu legen. In Wahrheit hat seither nicht der Ausspruch
des Gesetzes, sondern erst die Verweigerung der Gnade durch den Landes¬
herrn den Tod des Verbrechers zur Folge gehabt. Und wenn die Berend'
mung richtig ist, nach welcher unsere Souveräne ihr Gnadenrecht so
reichlich üben, daß sie von je drei zum Tode Verurtheilten nur den dritten
hinrichten lassen, dann wird das Ungeheuerliche der Ausnahmestellung, in
welche sie durch ein sogenanntes Gnadenrecht versetzt sind, nur noch auffallender.
Ob sie tödten lassen, liegt ganz in ihrem Ermessen, in zufälliger Auffassung,
in Gemüthsstimmung und Charakter, in den persönlichen Einwirkungen, welche
auf sie ausgeübt werden. Zu wenig denkt das Volk daran, wie schwer die
Last ist, welche durch dies unmenschliche Vorrecht auf das Gewissen der
Fürsten gelegt wird. Jedem Regenten ist bei Antritt seiner Regierung
diese Function seiner Herrschermacht unheimlich und schrecklich. Lange sträubt
ein gewissenhafter Herr sich gegen die Unterschrift eines Todesurtheils. Er
greift wiederholt nach den Untersuchungs-Acten, sucht sich selbst eine Ansicht über
den Grad der Schuld, die Unwürdigkeit des Verbrechers, über die Berechtigung
seines Mitleids zu verschaffen; nicht leicht gelingt ihm das, er ist nicht gewohnt
in der Seele eines Verbrechers zu lesen. Tief fühlt seine warme Empfindung
sich verletzt, die gehobene Stimmung der ersten Regierungszeit wird schnell
niedergedrückt. Er verschiebt von einem Tage zum andern die verhängnißvolle
Entscheidung, zuweilen vergehen Jahre, bevor er sich entschließt. Und wie kommt
er endlich zu dem Entschluß, das erste Mal die tödtende Feder zu ergreifen?
Harte Kriminalisten und ordnungsliebende Beamte, welche alte Reste nicht
leiden mögen, drängen ehrerbietig. Ihnen kommt zu Hilfe der Hof-Theolog,
der elendeste aller Schmeichler, dieser sucht das bedrängte Gemüth des Fürsten
durch die teuflische Lehre aufzurichten, daß der Fürst in der höchsten Erden¬
stellung von Gottes Gnade anders als andere Sterbliche erleuchtet und befähigt
werde, das Rechte zu treffen, und daß Gott ein frommes Fürstengemüth mit
seinem Willen erfülle, auch wo er Strafen verhänge. Das endlich wirkt. Nur
in dem Gedanken vor Andern erkoren und zur Ausführung des göttlichen
Willens begnadigt zu sein, vermag der erlauchte Herr dieses finstre Vor¬
recht seines Amtes gleichmüthig zu üben, es ist eine Pflicht, die ihm der
Herr auflegt, und ihm hilft eine Erleuchtung und Willensrichtung, welche
ihm dafür von Gott selbst gegeben wird. Wer darf den Fürsten schelten , wenn
er gegenüber einer unmenschlichen Zumuthung für sich einen Halt sucht, der
nicht mehr menschlich ist? Und wer darf sich wundern, wenn derselbe Glaube
an die mystische Weihe seines Amtes und die besondere göttliche Gnade schnell
für Leben und Thun des Fürsten eine Bedeutung gewinnt, die sein Volk und
seine Zeitgenossen nicht mehr verstehen. — In diesem Gnadenrecht liegt der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/38>, abgerufen am 27.07.2024.