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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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schließlich auch sämmtliche Bürgerminister beitraten. Die schimmernde Phrase,
die den Riß verdeckte, konnte natürlich nicht lange vorhalten, die Minister
mußten die an sie gestellte Frage beantworten; zuerst waren es die fünf:
Giskra. Herbst. Hafner. Pierer und Brestel. die sich in einer Denkschrift dar-
über aussprachen, dann die andern drei, denen die Denkschrift zugefertigt wurde.
Die ersteren betonten zunächst einstimmig die unvermeidliche Nothwendigkeit
einer Verstärkung des Reichsraths, wobei sie jedoch die Art ihrer Ausfüh¬
rung nicht näher bezeichneten, zumal darüber unter ihnen selbst nicht volle
Einhelligkeit bestand, und namentlich Herbst sich dagegen aussprach, "das
Recht der Landtage zu beugen." An Galizien wollten sie administrative Con¬
cessionen machen, alle weiteren führten ihnen zum Föderalismus, den sie mit
Recht in jeder, wenn auch nur provisorischen Form verwarfen. Dagegen
schlugen die anderen Drei die Auflösung aller Landtage und des Reichsraths
mit der Einberufung eines neuen vor, der die Wahlreform sowie die nöthi¬
gen Aenderungen der Verfassung beschließen und hiedurch eine gleichzeitige
Betheiligung der Abgeordneten aller Länder und Stände an seinen Verhand¬
lungen erzielen sollte. Daß diese Ansicht höheren Orts, wo man sich immer
mehr einer erweiterten Länderautonomie und somit dem Föderalismus zu¬
neigte, gnädige Billigung erhielt, war selbstverständlich, allein das Herren¬
haus und bald nachher auch die zweite Kammer entschieden zu Gunsten der
Fünf, was dann das Ausscheiden der Drei aus dem Ministerium zur Folge
hatte. Graf Beust gab deshalb seinen Feldzugsplan nicht auf, er verfolgte
ihn vielmehr, anscheinend als Zuschauer, in der That aber als leidenschaft¬
licher Gegner der Fünf mit verdoppeltem Eifer. Worauf nun Alles ankam,
war die Art und Weise der Wahlreform und hierin bot ihm Dr. Giskra
eine willkommene Blöße. Wie schon vorher bemerkt, hatten die Fünf vor¬
züglich die Verstärkung des Reichsraths im Auge; die Frage über die
Durchführung der directen Wahlen war unter ihnen noch eine offene.
Dr. Giskra hatte darüber eine, wie die Zeitungen sagten, fast sieben Bogen
füllende Schrift ausgearbeitet. Er beschränkte sich auf directe Wahlen aus
den Gruppen für die Landtagswahlen, nur die Zahl der Abgeordneten sollte
verdoppelt, das alte System der halbfeudalen Interessenvertretung aber bei¬
behalten werden. /

Dies hatte zur Folge, daß der Großgrundbesitz mehr als den vierten Theil
der Abgeordneten in den neuen Reichsrath entsenden, die nur ländliche In¬
teressen vertretenden Märkte vereint mit den Städten stimmen und die Wahl¬
bezirke der Landbevölkerung unverändert bleiben sollten.

Das Motiv bei diesem Plane war Furcht. Eine Aenderung der Wahl¬
reform konnte für Böhmen. das in das Abgeordnetenhaus von 203 Mit¬
gliedern gegenwärtig 54, und vielleicht auch für Mähren, das 22 entsendet,


schließlich auch sämmtliche Bürgerminister beitraten. Die schimmernde Phrase,
die den Riß verdeckte, konnte natürlich nicht lange vorhalten, die Minister
mußten die an sie gestellte Frage beantworten; zuerst waren es die fünf:
Giskra. Herbst. Hafner. Pierer und Brestel. die sich in einer Denkschrift dar-
über aussprachen, dann die andern drei, denen die Denkschrift zugefertigt wurde.
Die ersteren betonten zunächst einstimmig die unvermeidliche Nothwendigkeit
einer Verstärkung des Reichsraths, wobei sie jedoch die Art ihrer Ausfüh¬
rung nicht näher bezeichneten, zumal darüber unter ihnen selbst nicht volle
Einhelligkeit bestand, und namentlich Herbst sich dagegen aussprach, „das
Recht der Landtage zu beugen." An Galizien wollten sie administrative Con¬
cessionen machen, alle weiteren führten ihnen zum Föderalismus, den sie mit
Recht in jeder, wenn auch nur provisorischen Form verwarfen. Dagegen
schlugen die anderen Drei die Auflösung aller Landtage und des Reichsraths
mit der Einberufung eines neuen vor, der die Wahlreform sowie die nöthi¬
gen Aenderungen der Verfassung beschließen und hiedurch eine gleichzeitige
Betheiligung der Abgeordneten aller Länder und Stände an seinen Verhand¬
lungen erzielen sollte. Daß diese Ansicht höheren Orts, wo man sich immer
mehr einer erweiterten Länderautonomie und somit dem Föderalismus zu¬
neigte, gnädige Billigung erhielt, war selbstverständlich, allein das Herren¬
haus und bald nachher auch die zweite Kammer entschieden zu Gunsten der
Fünf, was dann das Ausscheiden der Drei aus dem Ministerium zur Folge
hatte. Graf Beust gab deshalb seinen Feldzugsplan nicht auf, er verfolgte
ihn vielmehr, anscheinend als Zuschauer, in der That aber als leidenschaft¬
licher Gegner der Fünf mit verdoppeltem Eifer. Worauf nun Alles ankam,
war die Art und Weise der Wahlreform und hierin bot ihm Dr. Giskra
eine willkommene Blöße. Wie schon vorher bemerkt, hatten die Fünf vor¬
züglich die Verstärkung des Reichsraths im Auge; die Frage über die
Durchführung der directen Wahlen war unter ihnen noch eine offene.
Dr. Giskra hatte darüber eine, wie die Zeitungen sagten, fast sieben Bogen
füllende Schrift ausgearbeitet. Er beschränkte sich auf directe Wahlen aus
den Gruppen für die Landtagswahlen, nur die Zahl der Abgeordneten sollte
verdoppelt, das alte System der halbfeudalen Interessenvertretung aber bei¬
behalten werden. /

Dies hatte zur Folge, daß der Großgrundbesitz mehr als den vierten Theil
der Abgeordneten in den neuen Reichsrath entsenden, die nur ländliche In¬
teressen vertretenden Märkte vereint mit den Städten stimmen und die Wahl¬
bezirke der Landbevölkerung unverändert bleiben sollten.

Das Motiv bei diesem Plane war Furcht. Eine Aenderung der Wahl¬
reform konnte für Böhmen. das in das Abgeordnetenhaus von 203 Mit¬
gliedern gegenwärtig 54, und vielleicht auch für Mähren, das 22 entsendet,


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[0364] schließlich auch sämmtliche Bürgerminister beitraten. Die schimmernde Phrase, die den Riß verdeckte, konnte natürlich nicht lange vorhalten, die Minister mußten die an sie gestellte Frage beantworten; zuerst waren es die fünf: Giskra. Herbst. Hafner. Pierer und Brestel. die sich in einer Denkschrift dar- über aussprachen, dann die andern drei, denen die Denkschrift zugefertigt wurde. Die ersteren betonten zunächst einstimmig die unvermeidliche Nothwendigkeit einer Verstärkung des Reichsraths, wobei sie jedoch die Art ihrer Ausfüh¬ rung nicht näher bezeichneten, zumal darüber unter ihnen selbst nicht volle Einhelligkeit bestand, und namentlich Herbst sich dagegen aussprach, „das Recht der Landtage zu beugen." An Galizien wollten sie administrative Con¬ cessionen machen, alle weiteren führten ihnen zum Föderalismus, den sie mit Recht in jeder, wenn auch nur provisorischen Form verwarfen. Dagegen schlugen die anderen Drei die Auflösung aller Landtage und des Reichsraths mit der Einberufung eines neuen vor, der die Wahlreform sowie die nöthi¬ gen Aenderungen der Verfassung beschließen und hiedurch eine gleichzeitige Betheiligung der Abgeordneten aller Länder und Stände an seinen Verhand¬ lungen erzielen sollte. Daß diese Ansicht höheren Orts, wo man sich immer mehr einer erweiterten Länderautonomie und somit dem Föderalismus zu¬ neigte, gnädige Billigung erhielt, war selbstverständlich, allein das Herren¬ haus und bald nachher auch die zweite Kammer entschieden zu Gunsten der Fünf, was dann das Ausscheiden der Drei aus dem Ministerium zur Folge hatte. Graf Beust gab deshalb seinen Feldzugsplan nicht auf, er verfolgte ihn vielmehr, anscheinend als Zuschauer, in der That aber als leidenschaft¬ licher Gegner der Fünf mit verdoppeltem Eifer. Worauf nun Alles ankam, war die Art und Weise der Wahlreform und hierin bot ihm Dr. Giskra eine willkommene Blöße. Wie schon vorher bemerkt, hatten die Fünf vor¬ züglich die Verstärkung des Reichsraths im Auge; die Frage über die Durchführung der directen Wahlen war unter ihnen noch eine offene. Dr. Giskra hatte darüber eine, wie die Zeitungen sagten, fast sieben Bogen füllende Schrift ausgearbeitet. Er beschränkte sich auf directe Wahlen aus den Gruppen für die Landtagswahlen, nur die Zahl der Abgeordneten sollte verdoppelt, das alte System der halbfeudalen Interessenvertretung aber bei¬ behalten werden. / Dies hatte zur Folge, daß der Großgrundbesitz mehr als den vierten Theil der Abgeordneten in den neuen Reichsrath entsenden, die nur ländliche In¬ teressen vertretenden Märkte vereint mit den Städten stimmen und die Wahl¬ bezirke der Landbevölkerung unverändert bleiben sollten. Das Motiv bei diesem Plane war Furcht. Eine Aenderung der Wahl¬ reform konnte für Böhmen. das in das Abgeordnetenhaus von 203 Mit¬ gliedern gegenwärtig 54, und vielleicht auch für Mähren, das 22 entsendet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/364>, abgerufen am 01.09.2024.