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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Monat bei dem Schattenspiel des "Midas-Urtheils" von seiner reagirenden
Laune mit einem improvisirten Ausfall gestreift worden waren.

Ich rede hier immer von dem Jahre 1781. Dies ist allerdings im
Widerspruch mit Goethe's eigener über ein Menschenalter später gemachten
Angabe im Vorbericht sowohl zur Druckausgabe als in dem zur Tiefurter
Handschrift, der die Weihnachtsaufstellung ein Jahr früher setzt. Allein schon
Riemer hat richtig bemerkt, daß auf dieses Maler- und Dichterwerk die
Aeußerung der Göchhausen im Brief an Merck vom 11. Februar 1782
zu beziehen ist: "Noch etwas ist diesen Winter zu Stande gekommen,
Wovon ich aber nichts schreibe, weil ich's vielleicht bald selbst schicken kann
und wahre Essenz für dero Magen sein wird-" Ebenso richtig hat Düntzer
den Brief der Herzogin Amalie an Knebel vom Is. Januar 1782 an¬
gezogen, wo es heißt: "Sie werden aus dem Brief der Göchhausen und aus
der Beilage gesehen haben, wie wir unser Leben hinbringen, das
Tableau muß man mit Augen sehen, um sich eine lebendige Vorstellung
davon zu machen. Ich bin ganz stolz, so einen Schatz zu besitzen. Es ist
also unwidersprechlich, wenn Düntzer die Entstehung des Gedichtes erst im
Winter 1781, wie in diesen Briefsteller, so in Goethe's Billet an Frau v. Stein
vom 20.Decbr. 1781 bezeugt findet: "Meine Verse zu der Zeichnung
sind bald fertig. Gestern Abend ging's ganz frisch." Allerdings berechtigt
die Ankündigung der Göchhausen an Merck, und dann wieder der lebensvolle
Brief von Goethe's Mutter, den der Sohn im Februar oder März der Frau
von Stein (II. S. 156) miitheilte, auch zu dem Schluß, daß das Neueste
von Pi. im ersten Vierteljahr 1782 der Frau Rath und den Vertrauten in
ihrer Nähe zur Kenntnißnahme übersendet worden. Mir ist urkundlich be¬
bekannt, daß Bild und Verse gegen Ende Februar der Frau Rath zugingen
und daß damit von ihr zu Anfang März Bölling, Riese und Merck
bewirthet wurden -- Merck, der Nichts von der Recitation nachschreiben
und Nichts vom Bild abzeichnen durfte, aber mit lebhafter Ueberraschung
in dem Manne, der auf dem Söller der Kritik die Kleider ausklopft, sich
selbst erkannte.

Dies wäre denn für Goethe's Zeitangabe die Berichtigung, die ich voraus¬
schicken mußte, indem ich aus dem Tiefurter Manuskript nun auch den Vor¬
bericht als eine Original-Variante von jenem der Druckausgabe beigefügten
hier mittheilen will. Wenn der gedruckte die neckischen Anzüglichkeiten der
Weihnachtsaufstellung im Gemach der Herzogin Mutter mit der Einrichtung
dieses Bescheerungsabends bei der Fürstin selbst insofern motivirt, als er
sagt, auf den mannigfach bebauten Tischen und Gestellen habe von den Per¬
sonen des nächsten Kreises der Fürstin "jeder Einzelne solche Gaben gefür.
den, die ihn theils für seine Verdienste um die Gesellschaft belohnen und er-


Grenzbotcn II. 1870. 4S

Monat bei dem Schattenspiel des „Midas-Urtheils" von seiner reagirenden
Laune mit einem improvisirten Ausfall gestreift worden waren.

Ich rede hier immer von dem Jahre 1781. Dies ist allerdings im
Widerspruch mit Goethe's eigener über ein Menschenalter später gemachten
Angabe im Vorbericht sowohl zur Druckausgabe als in dem zur Tiefurter
Handschrift, der die Weihnachtsaufstellung ein Jahr früher setzt. Allein schon
Riemer hat richtig bemerkt, daß auf dieses Maler- und Dichterwerk die
Aeußerung der Göchhausen im Brief an Merck vom 11. Februar 1782
zu beziehen ist: „Noch etwas ist diesen Winter zu Stande gekommen,
Wovon ich aber nichts schreibe, weil ich's vielleicht bald selbst schicken kann
und wahre Essenz für dero Magen sein wird-" Ebenso richtig hat Düntzer
den Brief der Herzogin Amalie an Knebel vom Is. Januar 1782 an¬
gezogen, wo es heißt: „Sie werden aus dem Brief der Göchhausen und aus
der Beilage gesehen haben, wie wir unser Leben hinbringen, das
Tableau muß man mit Augen sehen, um sich eine lebendige Vorstellung
davon zu machen. Ich bin ganz stolz, so einen Schatz zu besitzen. Es ist
also unwidersprechlich, wenn Düntzer die Entstehung des Gedichtes erst im
Winter 1781, wie in diesen Briefsteller, so in Goethe's Billet an Frau v. Stein
vom 20.Decbr. 1781 bezeugt findet: „Meine Verse zu der Zeichnung
sind bald fertig. Gestern Abend ging's ganz frisch." Allerdings berechtigt
die Ankündigung der Göchhausen an Merck, und dann wieder der lebensvolle
Brief von Goethe's Mutter, den der Sohn im Februar oder März der Frau
von Stein (II. S. 156) miitheilte, auch zu dem Schluß, daß das Neueste
von Pi. im ersten Vierteljahr 1782 der Frau Rath und den Vertrauten in
ihrer Nähe zur Kenntnißnahme übersendet worden. Mir ist urkundlich be¬
bekannt, daß Bild und Verse gegen Ende Februar der Frau Rath zugingen
und daß damit von ihr zu Anfang März Bölling, Riese und Merck
bewirthet wurden — Merck, der Nichts von der Recitation nachschreiben
und Nichts vom Bild abzeichnen durfte, aber mit lebhafter Ueberraschung
in dem Manne, der auf dem Söller der Kritik die Kleider ausklopft, sich
selbst erkannte.

Dies wäre denn für Goethe's Zeitangabe die Berichtigung, die ich voraus¬
schicken mußte, indem ich aus dem Tiefurter Manuskript nun auch den Vor¬
bericht als eine Original-Variante von jenem der Druckausgabe beigefügten
hier mittheilen will. Wenn der gedruckte die neckischen Anzüglichkeiten der
Weihnachtsaufstellung im Gemach der Herzogin Mutter mit der Einrichtung
dieses Bescheerungsabends bei der Fürstin selbst insofern motivirt, als er
sagt, auf den mannigfach bebauten Tischen und Gestellen habe von den Per¬
sonen des nächsten Kreises der Fürstin „jeder Einzelne solche Gaben gefür.
den, die ihn theils für seine Verdienste um die Gesellschaft belohnen und er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/359>, abgerufen am 01.09.2024.