Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zweiten Jahrhundert, welche in den Ruinen verschiedener den Dendrophoren
gehörender Gebäude aufgefunden worden sind. Die Dendrophoren oder
Baumträger bildeten eine Corporation, die in Ostia wie anderswo in einer
noch nicht völlig aufgeklärten Verbindung mit der Zunft der Zimmerleute
gestanden hat. Es war Sitte, daß der Corperation wegen gewisser Immu¬
nitäten von ihren Vorstehern, auch von Anderen Götterbilder dedicirt wurden;
als solche sind aber auch nur Bilder einheimischer Götter bekannt geworden,
so der Mutter Erde, dann Mars und Virtus, das ist die kriegerische Tüchtig¬
keit, und endlich Siloam, der alte Wald- und Grenzgott, der auch sonst in
Ostia viel Verehrung gefunden hat und wie er einen großen Ast in der
Rechten führt, so selber zum Dcndrophor wurde. Von diesen Stiftungen
sind uns freilich nur die Weiheinschriften erhalten, aber einen Ersatz für das
Fehlende bietet eine gut conservirte bronzene Venusstatuette von etwa ein
Drittel Lebensgröße, die in der Nähe gefunden ist. Obwohl in der Weise
der späteren Kunst von etwas schweren und vollen Formen, war sie doch
geeignet, sich die Anerkennung der Kunstfreunde zu erwerben und ist zu
bedauern, daß ihre Nacktheit die Aufstellung in einem der öffentlichen Museen
der prüde gewordenen hiesigen Regierung bisher gehindert hat.

Neben diesen Denkmälern der älteren religiösen Anschauungsweise
ziehen auch jene anderen, welche den endlich mächtig gewordenen Einfluß der
fremden Culte bezeugen, die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich, in
Ostia jedenfalls in höherem Grade, als die Uebervleibsel des Kaisercultus.
Denn wenn auch die politisch-religiöse Verherrlichung der Monarchie von
Seiten besonders der Beamtenkreise hier so wenig gefehlt hat, wie irgendwo
im weiten Reiche, so scheint sie es doch nicht zu einer großen Blüthe gebracht
zu haben. Die Verhältnisse der Colonie waren zu bescheiden, um so Impo¬
santes zu leisten, wie Rom und die anderen Großstädte. Auch die fremden
Culte treten in Ostia nicht eben mit Staunen erregendem Glänze aus, das
Interesse, welches sie erwecken, ist nicht so äußerlicher Art.

Im Alterthume war man in Rom tolerant. Der Staat suchte im Allge¬
meinen nur staatsgefährliche Lehren und unsittliche Gebräuche abzuwehren,
das Volk aber mußte allmälig geneigt werden, fremde Religionen aufzunehmen,
weil ihm, wenn auch lange, doch nicht für immer verborgen bleiben konnte,
daß die seinem alten Cultus zu Grunde liegenden Ideen nicht wenig nüchtern
waren. Offenbar ist es eine tiefere, religiöse Erregung gewesen, welche die
einheimischen Götter verdrängte, eine Thatsache, die selbst die schlimmen Ver-
irrungen des Gefühls, an denen die spätere römische Religionsgeschichte reich
ist, erträglich macht. Die Entwickelungen, welche Kunst und Philosophie
der Griechen den alten Vorstellungen gegeben hatten, ihre Erläuterungen
und Verfeinerungen, waren für das große Publicum kaum brauchbar; zumal


zweiten Jahrhundert, welche in den Ruinen verschiedener den Dendrophoren
gehörender Gebäude aufgefunden worden sind. Die Dendrophoren oder
Baumträger bildeten eine Corporation, die in Ostia wie anderswo in einer
noch nicht völlig aufgeklärten Verbindung mit der Zunft der Zimmerleute
gestanden hat. Es war Sitte, daß der Corperation wegen gewisser Immu¬
nitäten von ihren Vorstehern, auch von Anderen Götterbilder dedicirt wurden;
als solche sind aber auch nur Bilder einheimischer Götter bekannt geworden,
so der Mutter Erde, dann Mars und Virtus, das ist die kriegerische Tüchtig¬
keit, und endlich Siloam, der alte Wald- und Grenzgott, der auch sonst in
Ostia viel Verehrung gefunden hat und wie er einen großen Ast in der
Rechten führt, so selber zum Dcndrophor wurde. Von diesen Stiftungen
sind uns freilich nur die Weiheinschriften erhalten, aber einen Ersatz für das
Fehlende bietet eine gut conservirte bronzene Venusstatuette von etwa ein
Drittel Lebensgröße, die in der Nähe gefunden ist. Obwohl in der Weise
der späteren Kunst von etwas schweren und vollen Formen, war sie doch
geeignet, sich die Anerkennung der Kunstfreunde zu erwerben und ist zu
bedauern, daß ihre Nacktheit die Aufstellung in einem der öffentlichen Museen
der prüde gewordenen hiesigen Regierung bisher gehindert hat.

Neben diesen Denkmälern der älteren religiösen Anschauungsweise
ziehen auch jene anderen, welche den endlich mächtig gewordenen Einfluß der
fremden Culte bezeugen, die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich, in
Ostia jedenfalls in höherem Grade, als die Uebervleibsel des Kaisercultus.
Denn wenn auch die politisch-religiöse Verherrlichung der Monarchie von
Seiten besonders der Beamtenkreise hier so wenig gefehlt hat, wie irgendwo
im weiten Reiche, so scheint sie es doch nicht zu einer großen Blüthe gebracht
zu haben. Die Verhältnisse der Colonie waren zu bescheiden, um so Impo¬
santes zu leisten, wie Rom und die anderen Großstädte. Auch die fremden
Culte treten in Ostia nicht eben mit Staunen erregendem Glänze aus, das
Interesse, welches sie erwecken, ist nicht so äußerlicher Art.

Im Alterthume war man in Rom tolerant. Der Staat suchte im Allge¬
meinen nur staatsgefährliche Lehren und unsittliche Gebräuche abzuwehren,
das Volk aber mußte allmälig geneigt werden, fremde Religionen aufzunehmen,
weil ihm, wenn auch lange, doch nicht für immer verborgen bleiben konnte,
daß die seinem alten Cultus zu Grunde liegenden Ideen nicht wenig nüchtern
waren. Offenbar ist es eine tiefere, religiöse Erregung gewesen, welche die
einheimischen Götter verdrängte, eine Thatsache, die selbst die schlimmen Ver-
irrungen des Gefühls, an denen die spätere römische Religionsgeschichte reich
ist, erträglich macht. Die Entwickelungen, welche Kunst und Philosophie
der Griechen den alten Vorstellungen gegeben hatten, ihre Erläuterungen
und Verfeinerungen, waren für das große Publicum kaum brauchbar; zumal


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123966"/>
          <p xml:id="ID_1029" prev="#ID_1028"> zweiten Jahrhundert, welche in den Ruinen verschiedener den Dendrophoren<lb/>
gehörender Gebäude aufgefunden worden sind. Die Dendrophoren oder<lb/>
Baumträger bildeten eine Corporation, die in Ostia wie anderswo in einer<lb/>
noch nicht völlig aufgeklärten Verbindung mit der Zunft der Zimmerleute<lb/>
gestanden hat. Es war Sitte, daß der Corperation wegen gewisser Immu¬<lb/>
nitäten von ihren Vorstehern, auch von Anderen Götterbilder dedicirt wurden;<lb/>
als solche sind aber auch nur Bilder einheimischer Götter bekannt geworden,<lb/>
so der Mutter Erde, dann Mars und Virtus, das ist die kriegerische Tüchtig¬<lb/>
keit, und endlich Siloam, der alte Wald- und Grenzgott, der auch sonst in<lb/>
Ostia viel Verehrung gefunden hat und wie er einen großen Ast in der<lb/>
Rechten führt, so selber zum Dcndrophor wurde. Von diesen Stiftungen<lb/>
sind uns freilich nur die Weiheinschriften erhalten, aber einen Ersatz für das<lb/>
Fehlende bietet eine gut conservirte bronzene Venusstatuette von etwa ein<lb/>
Drittel Lebensgröße, die in der Nähe gefunden ist. Obwohl in der Weise<lb/>
der späteren Kunst von etwas schweren und vollen Formen, war sie doch<lb/>
geeignet, sich die Anerkennung der Kunstfreunde zu erwerben und ist zu<lb/>
bedauern, daß ihre Nacktheit die Aufstellung in einem der öffentlichen Museen<lb/>
der prüde gewordenen hiesigen Regierung bisher gehindert hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1030"> Neben diesen Denkmälern der älteren religiösen Anschauungsweise<lb/>
ziehen auch jene anderen, welche den endlich mächtig gewordenen Einfluß der<lb/>
fremden Culte bezeugen, die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich, in<lb/>
Ostia jedenfalls in höherem Grade, als die Uebervleibsel des Kaisercultus.<lb/>
Denn wenn auch die politisch-religiöse Verherrlichung der Monarchie von<lb/>
Seiten besonders der Beamtenkreise hier so wenig gefehlt hat, wie irgendwo<lb/>
im weiten Reiche, so scheint sie es doch nicht zu einer großen Blüthe gebracht<lb/>
zu haben. Die Verhältnisse der Colonie waren zu bescheiden, um so Impo¬<lb/>
santes zu leisten, wie Rom und die anderen Großstädte. Auch die fremden<lb/>
Culte treten in Ostia nicht eben mit Staunen erregendem Glänze aus, das<lb/>
Interesse, welches sie erwecken, ist nicht so äußerlicher Art.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1031" next="#ID_1032"> Im Alterthume war man in Rom tolerant. Der Staat suchte im Allge¬<lb/>
meinen nur staatsgefährliche Lehren und unsittliche Gebräuche abzuwehren,<lb/>
das Volk aber mußte allmälig geneigt werden, fremde Religionen aufzunehmen,<lb/>
weil ihm, wenn auch lange, doch nicht für immer verborgen bleiben konnte,<lb/>
daß die seinem alten Cultus zu Grunde liegenden Ideen nicht wenig nüchtern<lb/>
waren. Offenbar ist es eine tiefere, religiöse Erregung gewesen, welche die<lb/>
einheimischen Götter verdrängte, eine Thatsache, die selbst die schlimmen Ver-<lb/>
irrungen des Gefühls, an denen die spätere römische Religionsgeschichte reich<lb/>
ist, erträglich macht. Die Entwickelungen, welche Kunst und Philosophie<lb/>
der Griechen den alten Vorstellungen gegeben hatten, ihre Erläuterungen<lb/>
und Verfeinerungen, waren für das große Publicum kaum brauchbar; zumal</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] zweiten Jahrhundert, welche in den Ruinen verschiedener den Dendrophoren gehörender Gebäude aufgefunden worden sind. Die Dendrophoren oder Baumträger bildeten eine Corporation, die in Ostia wie anderswo in einer noch nicht völlig aufgeklärten Verbindung mit der Zunft der Zimmerleute gestanden hat. Es war Sitte, daß der Corperation wegen gewisser Immu¬ nitäten von ihren Vorstehern, auch von Anderen Götterbilder dedicirt wurden; als solche sind aber auch nur Bilder einheimischer Götter bekannt geworden, so der Mutter Erde, dann Mars und Virtus, das ist die kriegerische Tüchtig¬ keit, und endlich Siloam, der alte Wald- und Grenzgott, der auch sonst in Ostia viel Verehrung gefunden hat und wie er einen großen Ast in der Rechten führt, so selber zum Dcndrophor wurde. Von diesen Stiftungen sind uns freilich nur die Weiheinschriften erhalten, aber einen Ersatz für das Fehlende bietet eine gut conservirte bronzene Venusstatuette von etwa ein Drittel Lebensgröße, die in der Nähe gefunden ist. Obwohl in der Weise der späteren Kunst von etwas schweren und vollen Formen, war sie doch geeignet, sich die Anerkennung der Kunstfreunde zu erwerben und ist zu bedauern, daß ihre Nacktheit die Aufstellung in einem der öffentlichen Museen der prüde gewordenen hiesigen Regierung bisher gehindert hat. Neben diesen Denkmälern der älteren religiösen Anschauungsweise ziehen auch jene anderen, welche den endlich mächtig gewordenen Einfluß der fremden Culte bezeugen, die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich, in Ostia jedenfalls in höherem Grade, als die Uebervleibsel des Kaisercultus. Denn wenn auch die politisch-religiöse Verherrlichung der Monarchie von Seiten besonders der Beamtenkreise hier so wenig gefehlt hat, wie irgendwo im weiten Reiche, so scheint sie es doch nicht zu einer großen Blüthe gebracht zu haben. Die Verhältnisse der Colonie waren zu bescheiden, um so Impo¬ santes zu leisten, wie Rom und die anderen Großstädte. Auch die fremden Culte treten in Ostia nicht eben mit Staunen erregendem Glänze aus, das Interesse, welches sie erwecken, ist nicht so äußerlicher Art. Im Alterthume war man in Rom tolerant. Der Staat suchte im Allge¬ meinen nur staatsgefährliche Lehren und unsittliche Gebräuche abzuwehren, das Volk aber mußte allmälig geneigt werden, fremde Religionen aufzunehmen, weil ihm, wenn auch lange, doch nicht für immer verborgen bleiben konnte, daß die seinem alten Cultus zu Grunde liegenden Ideen nicht wenig nüchtern waren. Offenbar ist es eine tiefere, religiöse Erregung gewesen, welche die einheimischen Götter verdrängte, eine Thatsache, die selbst die schlimmen Ver- irrungen des Gefühls, an denen die spätere römische Religionsgeschichte reich ist, erträglich macht. Die Entwickelungen, welche Kunst und Philosophie der Griechen den alten Vorstellungen gegeben hatten, ihre Erläuterungen und Verfeinerungen, waren für das große Publicum kaum brauchbar; zumal

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/346>, abgerufen am 18.12.2024.