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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Die alte Stadt nimmt ungefähr einen Flächenraum ein von der Länge
einer Viertelmeile und der Breite einer Achtelmeile, im Norden vom Tiber,
im Osten von der früheren Meeresküste begrenzt; an den übrigen Seiten ist die
Ausdehnung noch nicht genau festgestellt, doch zeigen hie und da aufgedeckte
Grabstätten, die jedenfalls außerhalb der Mauern lagen, daß die früher oft
ausgesprochene Annahme von achtzigtausend Einwohnern wohl zu hoch ge¬
griffen ist. Schutt und Erde, Dornengestrüpp, Weiden und Getreidefelder
bedecken noch den weitaus größeren Theil der alten Colonie; von den bedeu¬
tenderen Bauten ragen die Ruinen hervor, kleine Terraineinschnitte deuten
den Lauf der Straßen an. Die Ausgrabungen sind an verschiedenen Punkten
unternommen, so daß sie kein in sich zusammenhängendes Bild einer antiken
Stadt geben, wie dies Pompeji so anziehend macht; auch haben die früheren
einer wissenschaftlichen Erkenntniß mehr geschadet als genützt, insofern sie
nur auf Erlangung von Kunstwerken gerichtet waren. Hatte man diese
ihrer Ruhestätte entrissen, so warf man meist, ohne sich um die Reste der
zugleich aufgedeckten Baulichkeiten zu kümmern und die inschriftlichen Denk¬
mäler mit ihnen in Beziehung zu setzen, die ausgegrabene Erde wieder an
ihre Stelle und hinterließ so den Nachkommen eine sehr undankbare Erbschaft.
Gegenwärtig verfährt man etwas rationeller. Andererseits besitzt Ostia auch
einen Vorzug vor Pompeji, indem es in Folge der weit späteren Zerstörung
Aufschlüsse über einen beträchtlich längeren Zeitraum bieten kann. Allerdings
ist es nicht leicht, die verschiedenen Epochen, denen die einzelnen Monumente
angehören, genau zu unterscheiden, indessen wird das Streben danach jetzt
durch eine vermehrte Achtsamkeit aus das Detail von Seiten der Chefs der
Ausgrabungen, der Herren Visconti, Nachkommen des berühmten Archäologen,
unterstützt.

Die Bauten, welche den Haupterwerbszweigen der Stadt, Handel und
Schifffahrt dienten, die Schiffswerften und Magazine, Quais und Landesteilen
sind bisher wenig erforscht worden. Das Emporium scheint eine große, halb¬
kreisförmige Anlage gewesen zu sein, geschmückt mit vielen Statuen, die nun
aber schon überallhin zerstreut sind. An dasselbe schlössen sich dem Flusse
entlang in weiter Ausdehnung die Magazine für die Haupthandelsartikel:
Getreide. Wein und Oel. Die Art der Aufbewahrung der letztgenannten
Flüssigkeiten erkennt man noch in dem Erdgeschosse eines Gebäudes, wo in
fünf Reihen je sechs runde thönerne Gesäße, Dolien, jedes von der Mäch¬
tigkeit einer Tonne mittlerer Größe, fast bis an den Rand in die Erde ein¬
gegraben sind und dadurch ihren Inhalt frisch und kühl bewahrt haben
werden. Als Theile der Schiffswerften und Docks pflegt man Ueberbleibsel
von Schleusen, sowie einige Pfeiler und Bögen aus Tuff zu bezeichnen,


Die alte Stadt nimmt ungefähr einen Flächenraum ein von der Länge
einer Viertelmeile und der Breite einer Achtelmeile, im Norden vom Tiber,
im Osten von der früheren Meeresküste begrenzt; an den übrigen Seiten ist die
Ausdehnung noch nicht genau festgestellt, doch zeigen hie und da aufgedeckte
Grabstätten, die jedenfalls außerhalb der Mauern lagen, daß die früher oft
ausgesprochene Annahme von achtzigtausend Einwohnern wohl zu hoch ge¬
griffen ist. Schutt und Erde, Dornengestrüpp, Weiden und Getreidefelder
bedecken noch den weitaus größeren Theil der alten Colonie; von den bedeu¬
tenderen Bauten ragen die Ruinen hervor, kleine Terraineinschnitte deuten
den Lauf der Straßen an. Die Ausgrabungen sind an verschiedenen Punkten
unternommen, so daß sie kein in sich zusammenhängendes Bild einer antiken
Stadt geben, wie dies Pompeji so anziehend macht; auch haben die früheren
einer wissenschaftlichen Erkenntniß mehr geschadet als genützt, insofern sie
nur auf Erlangung von Kunstwerken gerichtet waren. Hatte man diese
ihrer Ruhestätte entrissen, so warf man meist, ohne sich um die Reste der
zugleich aufgedeckten Baulichkeiten zu kümmern und die inschriftlichen Denk¬
mäler mit ihnen in Beziehung zu setzen, die ausgegrabene Erde wieder an
ihre Stelle und hinterließ so den Nachkommen eine sehr undankbare Erbschaft.
Gegenwärtig verfährt man etwas rationeller. Andererseits besitzt Ostia auch
einen Vorzug vor Pompeji, indem es in Folge der weit späteren Zerstörung
Aufschlüsse über einen beträchtlich längeren Zeitraum bieten kann. Allerdings
ist es nicht leicht, die verschiedenen Epochen, denen die einzelnen Monumente
angehören, genau zu unterscheiden, indessen wird das Streben danach jetzt
durch eine vermehrte Achtsamkeit aus das Detail von Seiten der Chefs der
Ausgrabungen, der Herren Visconti, Nachkommen des berühmten Archäologen,
unterstützt.

Die Bauten, welche den Haupterwerbszweigen der Stadt, Handel und
Schifffahrt dienten, die Schiffswerften und Magazine, Quais und Landesteilen
sind bisher wenig erforscht worden. Das Emporium scheint eine große, halb¬
kreisförmige Anlage gewesen zu sein, geschmückt mit vielen Statuen, die nun
aber schon überallhin zerstreut sind. An dasselbe schlössen sich dem Flusse
entlang in weiter Ausdehnung die Magazine für die Haupthandelsartikel:
Getreide. Wein und Oel. Die Art der Aufbewahrung der letztgenannten
Flüssigkeiten erkennt man noch in dem Erdgeschosse eines Gebäudes, wo in
fünf Reihen je sechs runde thönerne Gesäße, Dolien, jedes von der Mäch¬
tigkeit einer Tonne mittlerer Größe, fast bis an den Rand in die Erde ein¬
gegraben sind und dadurch ihren Inhalt frisch und kühl bewahrt haben
werden. Als Theile der Schiffswerften und Docks pflegt man Ueberbleibsel
von Schleusen, sowie einige Pfeiler und Bögen aus Tuff zu bezeichnen,


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[0342] Die alte Stadt nimmt ungefähr einen Flächenraum ein von der Länge einer Viertelmeile und der Breite einer Achtelmeile, im Norden vom Tiber, im Osten von der früheren Meeresküste begrenzt; an den übrigen Seiten ist die Ausdehnung noch nicht genau festgestellt, doch zeigen hie und da aufgedeckte Grabstätten, die jedenfalls außerhalb der Mauern lagen, daß die früher oft ausgesprochene Annahme von achtzigtausend Einwohnern wohl zu hoch ge¬ griffen ist. Schutt und Erde, Dornengestrüpp, Weiden und Getreidefelder bedecken noch den weitaus größeren Theil der alten Colonie; von den bedeu¬ tenderen Bauten ragen die Ruinen hervor, kleine Terraineinschnitte deuten den Lauf der Straßen an. Die Ausgrabungen sind an verschiedenen Punkten unternommen, so daß sie kein in sich zusammenhängendes Bild einer antiken Stadt geben, wie dies Pompeji so anziehend macht; auch haben die früheren einer wissenschaftlichen Erkenntniß mehr geschadet als genützt, insofern sie nur auf Erlangung von Kunstwerken gerichtet waren. Hatte man diese ihrer Ruhestätte entrissen, so warf man meist, ohne sich um die Reste der zugleich aufgedeckten Baulichkeiten zu kümmern und die inschriftlichen Denk¬ mäler mit ihnen in Beziehung zu setzen, die ausgegrabene Erde wieder an ihre Stelle und hinterließ so den Nachkommen eine sehr undankbare Erbschaft. Gegenwärtig verfährt man etwas rationeller. Andererseits besitzt Ostia auch einen Vorzug vor Pompeji, indem es in Folge der weit späteren Zerstörung Aufschlüsse über einen beträchtlich längeren Zeitraum bieten kann. Allerdings ist es nicht leicht, die verschiedenen Epochen, denen die einzelnen Monumente angehören, genau zu unterscheiden, indessen wird das Streben danach jetzt durch eine vermehrte Achtsamkeit aus das Detail von Seiten der Chefs der Ausgrabungen, der Herren Visconti, Nachkommen des berühmten Archäologen, unterstützt. Die Bauten, welche den Haupterwerbszweigen der Stadt, Handel und Schifffahrt dienten, die Schiffswerften und Magazine, Quais und Landesteilen sind bisher wenig erforscht worden. Das Emporium scheint eine große, halb¬ kreisförmige Anlage gewesen zu sein, geschmückt mit vielen Statuen, die nun aber schon überallhin zerstreut sind. An dasselbe schlössen sich dem Flusse entlang in weiter Ausdehnung die Magazine für die Haupthandelsartikel: Getreide. Wein und Oel. Die Art der Aufbewahrung der letztgenannten Flüssigkeiten erkennt man noch in dem Erdgeschosse eines Gebäudes, wo in fünf Reihen je sechs runde thönerne Gesäße, Dolien, jedes von der Mäch¬ tigkeit einer Tonne mittlerer Größe, fast bis an den Rand in die Erde ein¬ gegraben sind und dadurch ihren Inhalt frisch und kühl bewahrt haben werden. Als Theile der Schiffswerften und Docks pflegt man Ueberbleibsel von Schleusen, sowie einige Pfeiler und Bögen aus Tuff zu bezeichnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/342>, abgerufen am 01.09.2024.