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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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als sie in den vierziger Jahren die Umgestaltung der Rechtsgesetzgebung
öffentlich anregten, kaum ahnen konnten, ist Gewißheit: wohl ehe das Jahr¬
hundert zur Neige geht, wird Deutschland die Rückbildung seines römisch¬
versetzten Rechts in deutsches Recht vollendet haben. Die Massenhaftigkeit
des Rechtsstoffs, der bearbeitet sein will, ist fast erdrückend, die Anstren¬
gungen . die den Mitlebenden auferlegt werden, nur schwer erträglich; allein
das große Ziel eines und eines deutschen Rechts rückt sichtlich näher, und
welcher Mann, welcher Mann des deutschen Rechts wollte da nicht gern die
Anstrengungen des Augenblicks über sich nehmen?

Mit der Verdeutschung des Rechts geht die Verdeutschung der Rechts¬
sprache Hand in Hand. Die römischen Ausdrücke und Wendungen, welche
überwucherten, verlieren sich in merklicher Weise, an ihre Stelle treten deutsche
Wörter, denen oft ein neuer Sinn gegeben wird. So ist das Wort Genossen¬
schaft allgemein als Rechtsausdruck für die Vorschußvereine aufgenommen. Das
Wort Rechtshilfe wird geläufig. Strafrecht und Strafgesetzbuch verdrängen
Criminalrecht und Criminalgesetzbuch. Wie immer ist der Anfang, die Um¬
kehr zur einheimischen Rechtssprache, am schwersten gewesen. Nachdem sich
das Ohr wieder an die ersten deutschen Ausdrücke gewöhnt, schärft sich auch
die Empfindung für die Fremdheit der fremden, regt sich das Verlangen
nach weiteren deutschen Ausdrücken. Und der Stand der Sprachwissenschaft
kommt dem Volkssinn zu nutze. Sie liefert Aufschlüsse über den langen an
Wechseln reichen Bildungsgang unserer Sprache, sie kann wie alle Wissen¬
schaft die Wege weisen, aus denen wir weiter gehen sollen, wenn sie auch
die neubildende und schaffende Thätigkeit selbst anderen Händen zu über¬
lassen hat.

Sieht sich aber die deutsche Sprachwissenschaft in der Lage die ihr
zufallende Aufgabe zu erfüllen? Ist ihr der Antheil an der Gesetzgebung,
der ihr zustehen soll und darf, gesichert? Der flüchtigste Blick sagt, daß es
nicht der Fall, daß aus diesem Gebiet die Verbindung zwischen Wissenschaft
und Leben noch nicht hergestellt ist. Das Bedürfniß des Tages herrscht bei der
Neubelebung der deutschen Rechtssprache und ist in der That nicht ohne glück¬
liche Erfolge gewesen. Wörter wie Genossenschaft und Rechtshilfe sind auf
empirischem Wege gewonnen, der Umschwung in nationaler Richtung ist
durch den Drang der Noth hervorgerufen worden. Allein der Empirismus hat
es an sich, daß durch ihn das Gute wohl gefunden, aber nicht sicher und
klaren Bewußtseins gefunden wird, neben Erfolgen hat er auch Mißerfolge
aufzuweisen. Er wird wie von selbst daraus geführt das ihm vorschwebende
Ziel einer rein deutschen Rechtssprache durch Uebersetzung der Fremdwörter
erreichen zu wollen, während es in Wirklichkeit dadurch nur bisweilen
erreicht wird. Das Bundesgesetz über Gewährung der Rechtshilfe (1869)


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als sie in den vierziger Jahren die Umgestaltung der Rechtsgesetzgebung
öffentlich anregten, kaum ahnen konnten, ist Gewißheit: wohl ehe das Jahr¬
hundert zur Neige geht, wird Deutschland die Rückbildung seines römisch¬
versetzten Rechts in deutsches Recht vollendet haben. Die Massenhaftigkeit
des Rechtsstoffs, der bearbeitet sein will, ist fast erdrückend, die Anstren¬
gungen . die den Mitlebenden auferlegt werden, nur schwer erträglich; allein
das große Ziel eines und eines deutschen Rechts rückt sichtlich näher, und
welcher Mann, welcher Mann des deutschen Rechts wollte da nicht gern die
Anstrengungen des Augenblicks über sich nehmen?

Mit der Verdeutschung des Rechts geht die Verdeutschung der Rechts¬
sprache Hand in Hand. Die römischen Ausdrücke und Wendungen, welche
überwucherten, verlieren sich in merklicher Weise, an ihre Stelle treten deutsche
Wörter, denen oft ein neuer Sinn gegeben wird. So ist das Wort Genossen¬
schaft allgemein als Rechtsausdruck für die Vorschußvereine aufgenommen. Das
Wort Rechtshilfe wird geläufig. Strafrecht und Strafgesetzbuch verdrängen
Criminalrecht und Criminalgesetzbuch. Wie immer ist der Anfang, die Um¬
kehr zur einheimischen Rechtssprache, am schwersten gewesen. Nachdem sich
das Ohr wieder an die ersten deutschen Ausdrücke gewöhnt, schärft sich auch
die Empfindung für die Fremdheit der fremden, regt sich das Verlangen
nach weiteren deutschen Ausdrücken. Und der Stand der Sprachwissenschaft
kommt dem Volkssinn zu nutze. Sie liefert Aufschlüsse über den langen an
Wechseln reichen Bildungsgang unserer Sprache, sie kann wie alle Wissen¬
schaft die Wege weisen, aus denen wir weiter gehen sollen, wenn sie auch
die neubildende und schaffende Thätigkeit selbst anderen Händen zu über¬
lassen hat.

Sieht sich aber die deutsche Sprachwissenschaft in der Lage die ihr
zufallende Aufgabe zu erfüllen? Ist ihr der Antheil an der Gesetzgebung,
der ihr zustehen soll und darf, gesichert? Der flüchtigste Blick sagt, daß es
nicht der Fall, daß aus diesem Gebiet die Verbindung zwischen Wissenschaft
und Leben noch nicht hergestellt ist. Das Bedürfniß des Tages herrscht bei der
Neubelebung der deutschen Rechtssprache und ist in der That nicht ohne glück¬
liche Erfolge gewesen. Wörter wie Genossenschaft und Rechtshilfe sind auf
empirischem Wege gewonnen, der Umschwung in nationaler Richtung ist
durch den Drang der Noth hervorgerufen worden. Allein der Empirismus hat
es an sich, daß durch ihn das Gute wohl gefunden, aber nicht sicher und
klaren Bewußtseins gefunden wird, neben Erfolgen hat er auch Mißerfolge
aufzuweisen. Er wird wie von selbst daraus geführt das ihm vorschwebende
Ziel einer rein deutschen Rechtssprache durch Uebersetzung der Fremdwörter
erreichen zu wollen, während es in Wirklichkeit dadurch nur bisweilen
erreicht wird. Das Bundesgesetz über Gewährung der Rechtshilfe (1869)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/337>, abgerufen am 27.07.2024.