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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Scheidung Vehn-Colonien zu nennen pflegt, und unter denen Papenburg, der
Hauptsitz der hannoverschen Rhederei und Schiffsbauerei, voransteht. Das
sind diejenigen, welche durch schiffbare Wasserzüge, natürliche oder künstliche,
mit der übrigen Welt in bequemer, wohlfeiler und beständiger Verbindung
stehen. Diese Colonien vermögen mittelst ihrer Canäle das Hauptproduct
des Moores, die brennbare Erde, ihren Torf, zu lohnenden Preisen ab¬
zusetzen, und als Rückfracht ebenfalls billig den Stall- oder Straßendünger
heranzuschaffen, dessen der abgetorfte oder des Abtorsens nicht verlohnende
Moorboden, um Frucht zu tragen, bedarf. In einer völlig verschiedenen
Lage befinden sich die canallosen Colonien, wie sie das leichtsinnig nur auf
Bevölkerungszunahme hinarbeitende achtzehnte Jahrhundert zwischen Osna¬
brück und Emden nur zu zahlreich angelegt hat, zum Theil aus den Stras-
compagnien preußischer Regimenter nach dem Frieden von Hubertsburg.
Die Bewohner dieser traurigen Ansiedelungen sind schlechterdings auf Buch-
waizenbau angewiesen, und haben dafür keinen anderen Dünger als die Asche
der abgebrannten Pflanzendecke. Ohne Zweifel ist dies ein schmählicher Raub¬
bau. Nach sechs- bis höchstens achtjährigen Ertrage muß der gebrannte Boden
dreißig bis vierzig Jahre ruhen, bevor er wieder ertragsfähig wird. Auf ein
Jahrhundert kommen daher nur ungefähr fünfzehn Ernte- und fünfundachtzig
Brachjahre. Aber was würde es nützen, hierüber den unglücklichen Moorcolo-
nisten moralische Predigten Z. 1a Liebig zu halten? Sie würden antworten, falls
sie den Sinn der Belehrung überhaupt zu fassen vermöchten, daß man ihnen
nur gütigst irgend eine andere Art ihren Hunger zu stillen nachweisen möge,
so werde Niemand dankbarer sein als sie. wenn das Brennen ganz aufhöre.

Was wir Uebrigen gelegentlich, und je nach dem Grade der Entfernung
verdünnt vom Moorrauch leiden, das leiden die Interessenten dieser Brand-
'auteur regelmäßig und aufs stärkste concentrirt. Selbst Nachts können sie
oft in der dichtverschlossenen Hütte nicht davor schlafen, obwohl das Ver¬
fahren nur bei Tage vorgenommen wird. Der ewige Qualm allein hat
schon manchen Moorbewohner aus Verzweiflung zum Trunkenbolde gemacht.

Das radicale Mittel, den Moorbrand entbehrlich zu machen, würde
Canalbau sein. Dann könnten sich die Anbauer wirksameren Dünger ver¬
schaffen, und Torf, falls sie hinlänglich heizkräftigen haben, vortheilhaft ab¬
setzen. Wo keine Stadt oder Marsch in der Nähe ist, um ihnen Stall- und
Straßendünger zur Verfügung zu stellen, würden sie z. B. die Kalipräparate be¬
ziehen, welche Staßfurt neuerdings so reichlich und verhältnißmäßig billig liefert.
Einstweilen verspricht auch eine ausgedehntere Benutzung dieser Präparate
schon das Brennen zu beschränken. Ihre Anwendbarkeit und Wirksamkeit
steht zwar noch nicht über jeden Zweifel hinaus fest, doch sind die bisher an¬
gestellten Versuche hinlänglich g-glückt, um zu wetteren zu reizen.


Scheidung Vehn-Colonien zu nennen pflegt, und unter denen Papenburg, der
Hauptsitz der hannoverschen Rhederei und Schiffsbauerei, voransteht. Das
sind diejenigen, welche durch schiffbare Wasserzüge, natürliche oder künstliche,
mit der übrigen Welt in bequemer, wohlfeiler und beständiger Verbindung
stehen. Diese Colonien vermögen mittelst ihrer Canäle das Hauptproduct
des Moores, die brennbare Erde, ihren Torf, zu lohnenden Preisen ab¬
zusetzen, und als Rückfracht ebenfalls billig den Stall- oder Straßendünger
heranzuschaffen, dessen der abgetorfte oder des Abtorsens nicht verlohnende
Moorboden, um Frucht zu tragen, bedarf. In einer völlig verschiedenen
Lage befinden sich die canallosen Colonien, wie sie das leichtsinnig nur auf
Bevölkerungszunahme hinarbeitende achtzehnte Jahrhundert zwischen Osna¬
brück und Emden nur zu zahlreich angelegt hat, zum Theil aus den Stras-
compagnien preußischer Regimenter nach dem Frieden von Hubertsburg.
Die Bewohner dieser traurigen Ansiedelungen sind schlechterdings auf Buch-
waizenbau angewiesen, und haben dafür keinen anderen Dünger als die Asche
der abgebrannten Pflanzendecke. Ohne Zweifel ist dies ein schmählicher Raub¬
bau. Nach sechs- bis höchstens achtjährigen Ertrage muß der gebrannte Boden
dreißig bis vierzig Jahre ruhen, bevor er wieder ertragsfähig wird. Auf ein
Jahrhundert kommen daher nur ungefähr fünfzehn Ernte- und fünfundachtzig
Brachjahre. Aber was würde es nützen, hierüber den unglücklichen Moorcolo-
nisten moralische Predigten Z. 1a Liebig zu halten? Sie würden antworten, falls
sie den Sinn der Belehrung überhaupt zu fassen vermöchten, daß man ihnen
nur gütigst irgend eine andere Art ihren Hunger zu stillen nachweisen möge,
so werde Niemand dankbarer sein als sie. wenn das Brennen ganz aufhöre.

Was wir Uebrigen gelegentlich, und je nach dem Grade der Entfernung
verdünnt vom Moorrauch leiden, das leiden die Interessenten dieser Brand-
'auteur regelmäßig und aufs stärkste concentrirt. Selbst Nachts können sie
oft in der dichtverschlossenen Hütte nicht davor schlafen, obwohl das Ver¬
fahren nur bei Tage vorgenommen wird. Der ewige Qualm allein hat
schon manchen Moorbewohner aus Verzweiflung zum Trunkenbolde gemacht.

Das radicale Mittel, den Moorbrand entbehrlich zu machen, würde
Canalbau sein. Dann könnten sich die Anbauer wirksameren Dünger ver¬
schaffen, und Torf, falls sie hinlänglich heizkräftigen haben, vortheilhaft ab¬
setzen. Wo keine Stadt oder Marsch in der Nähe ist, um ihnen Stall- und
Straßendünger zur Verfügung zu stellen, würden sie z. B. die Kalipräparate be¬
ziehen, welche Staßfurt neuerdings so reichlich und verhältnißmäßig billig liefert.
Einstweilen verspricht auch eine ausgedehntere Benutzung dieser Präparate
schon das Brennen zu beschränken. Ihre Anwendbarkeit und Wirksamkeit
steht zwar noch nicht über jeden Zweifel hinaus fest, doch sind die bisher an¬
gestellten Versuche hinlänglich g-glückt, um zu wetteren zu reizen.


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[0334] Scheidung Vehn-Colonien zu nennen pflegt, und unter denen Papenburg, der Hauptsitz der hannoverschen Rhederei und Schiffsbauerei, voransteht. Das sind diejenigen, welche durch schiffbare Wasserzüge, natürliche oder künstliche, mit der übrigen Welt in bequemer, wohlfeiler und beständiger Verbindung stehen. Diese Colonien vermögen mittelst ihrer Canäle das Hauptproduct des Moores, die brennbare Erde, ihren Torf, zu lohnenden Preisen ab¬ zusetzen, und als Rückfracht ebenfalls billig den Stall- oder Straßendünger heranzuschaffen, dessen der abgetorfte oder des Abtorsens nicht verlohnende Moorboden, um Frucht zu tragen, bedarf. In einer völlig verschiedenen Lage befinden sich die canallosen Colonien, wie sie das leichtsinnig nur auf Bevölkerungszunahme hinarbeitende achtzehnte Jahrhundert zwischen Osna¬ brück und Emden nur zu zahlreich angelegt hat, zum Theil aus den Stras- compagnien preußischer Regimenter nach dem Frieden von Hubertsburg. Die Bewohner dieser traurigen Ansiedelungen sind schlechterdings auf Buch- waizenbau angewiesen, und haben dafür keinen anderen Dünger als die Asche der abgebrannten Pflanzendecke. Ohne Zweifel ist dies ein schmählicher Raub¬ bau. Nach sechs- bis höchstens achtjährigen Ertrage muß der gebrannte Boden dreißig bis vierzig Jahre ruhen, bevor er wieder ertragsfähig wird. Auf ein Jahrhundert kommen daher nur ungefähr fünfzehn Ernte- und fünfundachtzig Brachjahre. Aber was würde es nützen, hierüber den unglücklichen Moorcolo- nisten moralische Predigten Z. 1a Liebig zu halten? Sie würden antworten, falls sie den Sinn der Belehrung überhaupt zu fassen vermöchten, daß man ihnen nur gütigst irgend eine andere Art ihren Hunger zu stillen nachweisen möge, so werde Niemand dankbarer sein als sie. wenn das Brennen ganz aufhöre. Was wir Uebrigen gelegentlich, und je nach dem Grade der Entfernung verdünnt vom Moorrauch leiden, das leiden die Interessenten dieser Brand- 'auteur regelmäßig und aufs stärkste concentrirt. Selbst Nachts können sie oft in der dichtverschlossenen Hütte nicht davor schlafen, obwohl das Ver¬ fahren nur bei Tage vorgenommen wird. Der ewige Qualm allein hat schon manchen Moorbewohner aus Verzweiflung zum Trunkenbolde gemacht. Das radicale Mittel, den Moorbrand entbehrlich zu machen, würde Canalbau sein. Dann könnten sich die Anbauer wirksameren Dünger ver¬ schaffen, und Torf, falls sie hinlänglich heizkräftigen haben, vortheilhaft ab¬ setzen. Wo keine Stadt oder Marsch in der Nähe ist, um ihnen Stall- und Straßendünger zur Verfügung zu stellen, würden sie z. B. die Kalipräparate be¬ ziehen, welche Staßfurt neuerdings so reichlich und verhältnißmäßig billig liefert. Einstweilen verspricht auch eine ausgedehntere Benutzung dieser Präparate schon das Brennen zu beschränken. Ihre Anwendbarkeit und Wirksamkeit steht zwar noch nicht über jeden Zweifel hinaus fest, doch sind die bisher an¬ gestellten Versuche hinlänglich g-glückt, um zu wetteren zu reizen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/334>, abgerufen am 18.12.2024.