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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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außerdem zwei größere Fragmente. Da ist der Wunsch verzeihlich, daß der
neue Fund uns eine der verlorenen Abtheilungen des großen römischen Ge¬
schichtswerkes gebracht hätte! -- Die größeren Bibliotheken Deutschlands sind
bis auf sehr wenige so gründlich durchsucht, daß in ihnen vielleicht einmal
einzelne Blätter zwischen Deckeln, nicht leicht ein größerer Gewinn zu hoffen ist.
Anders steht es mit dem Büchervorrath. welcher noch hie und da in Seiten¬
räumen alter Kirchen unbeachtet liegt, zumal der katholischen. Zwar ist in
früheren Jahrhunderten von diesen Stätten in der Regel verschleppt worden,
was irgend Werth hatte, aber wer unermüdlich einzudringen und zu suchen
weiß, mag in solchen unbeachteten Orten noch manchen Schatz heben, und
wir möchten unsere Leser, welche dafür Jnterrsse haben, nur darauf aufmerk¬
sam machen, daß bei dergleichen Forschungen Spinnweben und getäuschte
Erwartung nicht entmuthigen dürfen. Denn freilich gilt immer noch von
den Quellmfunden der Wissenschaft dasselbe, was unsere Vorfahren beim
Schatzgräber mit trübem Muth erfahren haben, Schätze findet man selten,
wenn man sie sucht, und noch seltener da, wo man sie erwartet, sie fallen
dem Glücklichen in die Hand, wenn er am wenigsten daran denkt.

Bei dieser Gelegenheit wird noch einmal, um einer eingegangenen Verpflich¬
tung Genüge zu thun, an den Hildesheimer Silberfund erinnert. Wie in frühe¬
rem Artikel mitgetheilt wurde, war Oberst von Cohausen von der Regierung
beauftragt worden, die Fundstätte genau und systematisch zu untersuchen und
die Einzelheiten des ersten Fundes festzustellen. Der genannte Herr hat
mit militärischer Sorgfalt und Geschicklichkeit seinen Auftrag ausgeführt.
Aus seinem Bericht ist ersichtlich, daß der Schatz bereits von den ersten Fin¬
dern vollständig gehoben wurde, die neuen Nachgrabungen haben nur einige
Ueberreste heidnischer Grabalterthümer und unwichtige Trümmerstücke aus
dem Mittelalter zu Tage gefördert. Da bei mehreren der gefundenen
Silbergeräthe die Umwandlung des dünnen Silberblechs in Chlorsilber
besonders stark gewesen und das Blech in eine graue, brüchige Masse
verwandelt war, nimmt Herr v. Cohausen an, daß bei der Deposition
des Fundes Kochsalz zugelegt worden sei. Das ist sehr möglich, denn Salz
galt den Germanen als das werthvollste Geschenk guter Götter und als kräf¬
tiges Abwehrmittel gegen bösen Zauber. -- Die gelehrten Erörterungen des
Berichterstatters über den Ursprung und die älteste Lage von Hildesheim for¬
dern hier und da die Kritik heraus; der Galgenberg, an welchem der Schatz
gefunden wurde, verdankt seinen Namen unläugbar dem gewöhnlichen Polizei-
Instrument des Mittelalters. Es ist der häufigste aller Hügelraum in
Deutschland und würde aus allen Fluren, an denen er noch haftet, zusammen¬
gezählt, wohl mehrere tausend Mal nachzuweisen sein. Es wurde in d. Bl.


außerdem zwei größere Fragmente. Da ist der Wunsch verzeihlich, daß der
neue Fund uns eine der verlorenen Abtheilungen des großen römischen Ge¬
schichtswerkes gebracht hätte! — Die größeren Bibliotheken Deutschlands sind
bis auf sehr wenige so gründlich durchsucht, daß in ihnen vielleicht einmal
einzelne Blätter zwischen Deckeln, nicht leicht ein größerer Gewinn zu hoffen ist.
Anders steht es mit dem Büchervorrath. welcher noch hie und da in Seiten¬
räumen alter Kirchen unbeachtet liegt, zumal der katholischen. Zwar ist in
früheren Jahrhunderten von diesen Stätten in der Regel verschleppt worden,
was irgend Werth hatte, aber wer unermüdlich einzudringen und zu suchen
weiß, mag in solchen unbeachteten Orten noch manchen Schatz heben, und
wir möchten unsere Leser, welche dafür Jnterrsse haben, nur darauf aufmerk¬
sam machen, daß bei dergleichen Forschungen Spinnweben und getäuschte
Erwartung nicht entmuthigen dürfen. Denn freilich gilt immer noch von
den Quellmfunden der Wissenschaft dasselbe, was unsere Vorfahren beim
Schatzgräber mit trübem Muth erfahren haben, Schätze findet man selten,
wenn man sie sucht, und noch seltener da, wo man sie erwartet, sie fallen
dem Glücklichen in die Hand, wenn er am wenigsten daran denkt.

Bei dieser Gelegenheit wird noch einmal, um einer eingegangenen Verpflich¬
tung Genüge zu thun, an den Hildesheimer Silberfund erinnert. Wie in frühe¬
rem Artikel mitgetheilt wurde, war Oberst von Cohausen von der Regierung
beauftragt worden, die Fundstätte genau und systematisch zu untersuchen und
die Einzelheiten des ersten Fundes festzustellen. Der genannte Herr hat
mit militärischer Sorgfalt und Geschicklichkeit seinen Auftrag ausgeführt.
Aus seinem Bericht ist ersichtlich, daß der Schatz bereits von den ersten Fin¬
dern vollständig gehoben wurde, die neuen Nachgrabungen haben nur einige
Ueberreste heidnischer Grabalterthümer und unwichtige Trümmerstücke aus
dem Mittelalter zu Tage gefördert. Da bei mehreren der gefundenen
Silbergeräthe die Umwandlung des dünnen Silberblechs in Chlorsilber
besonders stark gewesen und das Blech in eine graue, brüchige Masse
verwandelt war, nimmt Herr v. Cohausen an, daß bei der Deposition
des Fundes Kochsalz zugelegt worden sei. Das ist sehr möglich, denn Salz
galt den Germanen als das werthvollste Geschenk guter Götter und als kräf¬
tiges Abwehrmittel gegen bösen Zauber. — Die gelehrten Erörterungen des
Berichterstatters über den Ursprung und die älteste Lage von Hildesheim for¬
dern hier und da die Kritik heraus; der Galgenberg, an welchem der Schatz
gefunden wurde, verdankt seinen Namen unläugbar dem gewöhnlichen Polizei-
Instrument des Mittelalters. Es ist der häufigste aller Hügelraum in
Deutschland und würde aus allen Fluren, an denen er noch haftet, zusammen¬
gezählt, wohl mehrere tausend Mal nachzuweisen sein. Es wurde in d. Bl.


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[0324] außerdem zwei größere Fragmente. Da ist der Wunsch verzeihlich, daß der neue Fund uns eine der verlorenen Abtheilungen des großen römischen Ge¬ schichtswerkes gebracht hätte! — Die größeren Bibliotheken Deutschlands sind bis auf sehr wenige so gründlich durchsucht, daß in ihnen vielleicht einmal einzelne Blätter zwischen Deckeln, nicht leicht ein größerer Gewinn zu hoffen ist. Anders steht es mit dem Büchervorrath. welcher noch hie und da in Seiten¬ räumen alter Kirchen unbeachtet liegt, zumal der katholischen. Zwar ist in früheren Jahrhunderten von diesen Stätten in der Regel verschleppt worden, was irgend Werth hatte, aber wer unermüdlich einzudringen und zu suchen weiß, mag in solchen unbeachteten Orten noch manchen Schatz heben, und wir möchten unsere Leser, welche dafür Jnterrsse haben, nur darauf aufmerk¬ sam machen, daß bei dergleichen Forschungen Spinnweben und getäuschte Erwartung nicht entmuthigen dürfen. Denn freilich gilt immer noch von den Quellmfunden der Wissenschaft dasselbe, was unsere Vorfahren beim Schatzgräber mit trübem Muth erfahren haben, Schätze findet man selten, wenn man sie sucht, und noch seltener da, wo man sie erwartet, sie fallen dem Glücklichen in die Hand, wenn er am wenigsten daran denkt. Bei dieser Gelegenheit wird noch einmal, um einer eingegangenen Verpflich¬ tung Genüge zu thun, an den Hildesheimer Silberfund erinnert. Wie in frühe¬ rem Artikel mitgetheilt wurde, war Oberst von Cohausen von der Regierung beauftragt worden, die Fundstätte genau und systematisch zu untersuchen und die Einzelheiten des ersten Fundes festzustellen. Der genannte Herr hat mit militärischer Sorgfalt und Geschicklichkeit seinen Auftrag ausgeführt. Aus seinem Bericht ist ersichtlich, daß der Schatz bereits von den ersten Fin¬ dern vollständig gehoben wurde, die neuen Nachgrabungen haben nur einige Ueberreste heidnischer Grabalterthümer und unwichtige Trümmerstücke aus dem Mittelalter zu Tage gefördert. Da bei mehreren der gefundenen Silbergeräthe die Umwandlung des dünnen Silberblechs in Chlorsilber besonders stark gewesen und das Blech in eine graue, brüchige Masse verwandelt war, nimmt Herr v. Cohausen an, daß bei der Deposition des Fundes Kochsalz zugelegt worden sei. Das ist sehr möglich, denn Salz galt den Germanen als das werthvollste Geschenk guter Götter und als kräf¬ tiges Abwehrmittel gegen bösen Zauber. — Die gelehrten Erörterungen des Berichterstatters über den Ursprung und die älteste Lage von Hildesheim for¬ dern hier und da die Kritik heraus; der Galgenberg, an welchem der Schatz gefunden wurde, verdankt seinen Namen unläugbar dem gewöhnlichen Polizei- Instrument des Mittelalters. Es ist der häufigste aller Hügelraum in Deutschland und würde aus allen Fluren, an denen er noch haftet, zusammen¬ gezählt, wohl mehrere tausend Mal nachzuweisen sein. Es wurde in d. Bl.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/324>, abgerufen am 01.09.2024.