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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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geschwächt, aber keineswegs ganz vernichtet. Die Geschichte der itali¬
schen Kunst hat es vorwiegend mit der Untersuchung zu thun, wie sich
in den einzelnen Perioden das Verhältniß des griechischen Einflusses zu den
nationalen Kunstelementen gestaltet. Von der Lebenskraft der nationalen
Richtung in der Kaiserzeit zeugen die auf Kriegsthaten und Staatsactionen
bezüglichen Sculpturen, mit denen Triumphbögen und andere öffentliche
Monumente geschmückt wurden. Läßt sich auch hier in der Anordnung und
in der Behandlung mannigfacher Motive der Einfluß der hellenistischen Kunst
nicht verkennen, so ist die Charakteristik jedenfalls von dem Leben der Epoche,
in welchem jene Monumente entstanden, durchdrungen und national im
höchsten Sinne des Worts. Es wäre wunderbar gewesen, wenn die campa¬
nischen Wandmaler, weß Stammes sie auch sein mochten, nicht unter Um¬
ständen von dieser realistischen Richtung berührt worden wären; vielmehr
konnte es nicht ausbleiben, daß hier und da der Idealismus der Original-
compositionen durch Einführung realistischer Motive getrübt wurde. Diese
Erscheinung tritt namentlich in der Bildung der Köpfe hervor, die öfter ein
eigenthümlich individuelles Gepräge haben, welches offenbar dem Einflüsse der
den Wandmaler umgebenden Wirklichkeit zuzuschreiben ist.

So sind auf einem pompeianischen Rundbilde die Köpfe des Hippolytos
und der Phaidra so individuell gebildet, daß man sie beinah für Portraits
halten könnte. Dasselbe gilt von dem Kopfe des Perseus auf mehreren Bil¬
dern, welche den Helden darstellen, wie er die Andromeda eine Spiegelung
des Medusenhauptes in einem Gewässer betrachten läßt. In dieses Bereich
wird auch die merkwürdige Darstellung des Daidalos gehören, welcher auf
einem Bilde, wo er der Pasiphae die von ihm gefertigte Kuh zeigt, bartlos,
mit vollständig kahlem Haupte und eigenthümlich scharf geschnittenen Zügen
auftritt, die an die Portraits des älteren Scipio erinnern; möglich, daß der
Wandmaler die Züge etwa eines kunsterfahrenen Pompeianers in dem mytho¬
logischen Prototyp aller Kunstfertigkeit verewigte; jedenfalls dürfen wir
schwerlich hoffen, jemals im Stande zu sein, für jene Darstellungsweise, die
auf vollständig individuellen Motiven beruht, eine sichere Erklärung zu finden.
Die Composition, welche Danae mit dem Perseusknaben auf Seriphos dar¬
stellt, kehrt in drei Repliken wieder und läßt sich mit hinreichender Sicherheit
auf Artemon, einen Meister der Diadochenperiode, zurückführen. Auf zwei
Bildern dieses Gegenstandes ist Perseus in idealer Nacktheit dargestellt,
wie wir den Knaben aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Original zu
gewärtigen haben. Wenn er auf einer Replik als Wickelkind gebildet ist
ganz in der ungestalten Weise wie die Italiener noch heut zu Tage ihre
Bandini einzuschnüren pflegen, so wird auch diese Darstellungsweise als ein


geschwächt, aber keineswegs ganz vernichtet. Die Geschichte der itali¬
schen Kunst hat es vorwiegend mit der Untersuchung zu thun, wie sich
in den einzelnen Perioden das Verhältniß des griechischen Einflusses zu den
nationalen Kunstelementen gestaltet. Von der Lebenskraft der nationalen
Richtung in der Kaiserzeit zeugen die auf Kriegsthaten und Staatsactionen
bezüglichen Sculpturen, mit denen Triumphbögen und andere öffentliche
Monumente geschmückt wurden. Läßt sich auch hier in der Anordnung und
in der Behandlung mannigfacher Motive der Einfluß der hellenistischen Kunst
nicht verkennen, so ist die Charakteristik jedenfalls von dem Leben der Epoche,
in welchem jene Monumente entstanden, durchdrungen und national im
höchsten Sinne des Worts. Es wäre wunderbar gewesen, wenn die campa¬
nischen Wandmaler, weß Stammes sie auch sein mochten, nicht unter Um¬
ständen von dieser realistischen Richtung berührt worden wären; vielmehr
konnte es nicht ausbleiben, daß hier und da der Idealismus der Original-
compositionen durch Einführung realistischer Motive getrübt wurde. Diese
Erscheinung tritt namentlich in der Bildung der Köpfe hervor, die öfter ein
eigenthümlich individuelles Gepräge haben, welches offenbar dem Einflüsse der
den Wandmaler umgebenden Wirklichkeit zuzuschreiben ist.

So sind auf einem pompeianischen Rundbilde die Köpfe des Hippolytos
und der Phaidra so individuell gebildet, daß man sie beinah für Portraits
halten könnte. Dasselbe gilt von dem Kopfe des Perseus auf mehreren Bil¬
dern, welche den Helden darstellen, wie er die Andromeda eine Spiegelung
des Medusenhauptes in einem Gewässer betrachten läßt. In dieses Bereich
wird auch die merkwürdige Darstellung des Daidalos gehören, welcher auf
einem Bilde, wo er der Pasiphae die von ihm gefertigte Kuh zeigt, bartlos,
mit vollständig kahlem Haupte und eigenthümlich scharf geschnittenen Zügen
auftritt, die an die Portraits des älteren Scipio erinnern; möglich, daß der
Wandmaler die Züge etwa eines kunsterfahrenen Pompeianers in dem mytho¬
logischen Prototyp aller Kunstfertigkeit verewigte; jedenfalls dürfen wir
schwerlich hoffen, jemals im Stande zu sein, für jene Darstellungsweise, die
auf vollständig individuellen Motiven beruht, eine sichere Erklärung zu finden.
Die Composition, welche Danae mit dem Perseusknaben auf Seriphos dar¬
stellt, kehrt in drei Repliken wieder und läßt sich mit hinreichender Sicherheit
auf Artemon, einen Meister der Diadochenperiode, zurückführen. Auf zwei
Bildern dieses Gegenstandes ist Perseus in idealer Nacktheit dargestellt,
wie wir den Knaben aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Original zu
gewärtigen haben. Wenn er auf einer Replik als Wickelkind gebildet ist
ganz in der ungestalten Weise wie die Italiener noch heut zu Tage ihre
Bandini einzuschnüren pflegen, so wird auch diese Darstellungsweise als ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/294>, abgerufen am 01.09.2024.