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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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lustige Naturen und noch vor wenig Jahren wäre ihnen selbst ihre gegen¬
wärtige Lage als durchaus abenteuerlich und unmöglich erschienen. Aber sie
sind jetzt hineingedrängt, der Rückweg ist versperrt und sie erkennen recht
gut, daß sie bei muthigem Ausharren dem Staate, mit dessen Interessen sie
sich eng verbunden fühlen, einen Dienst erweisen können, dessen Tragweite
noch ganz wo anders liegt, als auf religiösem Gebiet. Wenn nämlich jetzt
der bischöfliche Klerus des Kaiserstaates in festem Einvernehmen mit der Regie¬
rung seinen Widerstand soweit fortführt, daß er am Ende eine episcopale
Organisation der katholischen Kirche Oestreichs unter eigenen Kirchenfürsten mit
Landessynode und größerer Unabhängigkeit von Rom durchsetzt, so wird da¬
durch nicht nur ein neues Band gefunden, welches die Völker Oestreichs enge
aneinander schließt, es wird auch zu den süddeutschen Staaten und zum Nordbund
in einer Hauptfrage des Staatslebens eine ganz neue, unerwartet günstige
Position geschaffen. Die Regierungen und Parteien von Baiern, Würtemberg,
Baden, jetzt sämmtlich durch die ultramontane Partei bedrängt, würden zu
dem Kaiserstaat Oestreich, welcher eine den deutschen Staatsbedürfnissen mehr
entsprechende, von Rom unabhängigere katholische Kirche darstellte, in ein
Verhältniß der Anlehnung kommen müssen, welches sich sofort aus anderen Ge¬
bieten als den konfessionellen geltend machen würde. Ebenso würde Oestreich,
als Hort dessen, was man jetzt die liberale Richtung im Katholicismus nennen
muß, bei einem großen Theil der Katholiken im Nordbund eine große Bedeu¬
tung gewinnen.

Von Neuem und in modernem Sinn würde Oestreich Vorkämpfer des
deutschen Katholicismus. Jetzt gegen Rom und im Einvernehmen mit dem
deutschen Gewissen. Es liegt auf der Hand, welche Anziehungskraft eine
solche Hegemonie des Kaiserstaats auf die Herzen der katholischen Deutschen
ausüben wüßte.

Es wäre auf diesem Gebiete für Preußen sehr schwer, durch ähnliches
inniges Einvernehmen mit seinen katholischen Bischöfen der Autorität der
östreichischen Kirche den Einfluß zu nehmen. Und wieder seine eigenthüm¬
lichen Vertheidigungswaffen hat der Protestantismus zu gebrauchen fast ver¬
lernt. Die Ministerien Raumer und Muster haben in Preußen so vortreff¬
lich gearbeitet die Culturbedeutung der protestantischen Kirche zu schwächen
und die ultramontanen Störenfriede zu heben, daß der Norden für lange Zeit
in Kirchenfragen unfrei gemacht ist.

In der That ist es für Preußen ein verhängnißvoller Umstand, daß der
ausbrechende Streit in der römischen Kirche den Staat mit einem Cultus¬
ministerium versehen findet, dessen Leiter kaum eine höhere leitende Idee haben,
als die eine: daß Ideen sehr leicht gefährlich werden können. Die ruhmlosen
Kennzeichen dieses Ministeriums sind formgewandte Dürftigkeit und ortho-


lustige Naturen und noch vor wenig Jahren wäre ihnen selbst ihre gegen¬
wärtige Lage als durchaus abenteuerlich und unmöglich erschienen. Aber sie
sind jetzt hineingedrängt, der Rückweg ist versperrt und sie erkennen recht
gut, daß sie bei muthigem Ausharren dem Staate, mit dessen Interessen sie
sich eng verbunden fühlen, einen Dienst erweisen können, dessen Tragweite
noch ganz wo anders liegt, als auf religiösem Gebiet. Wenn nämlich jetzt
der bischöfliche Klerus des Kaiserstaates in festem Einvernehmen mit der Regie¬
rung seinen Widerstand soweit fortführt, daß er am Ende eine episcopale
Organisation der katholischen Kirche Oestreichs unter eigenen Kirchenfürsten mit
Landessynode und größerer Unabhängigkeit von Rom durchsetzt, so wird da¬
durch nicht nur ein neues Band gefunden, welches die Völker Oestreichs enge
aneinander schließt, es wird auch zu den süddeutschen Staaten und zum Nordbund
in einer Hauptfrage des Staatslebens eine ganz neue, unerwartet günstige
Position geschaffen. Die Regierungen und Parteien von Baiern, Würtemberg,
Baden, jetzt sämmtlich durch die ultramontane Partei bedrängt, würden zu
dem Kaiserstaat Oestreich, welcher eine den deutschen Staatsbedürfnissen mehr
entsprechende, von Rom unabhängigere katholische Kirche darstellte, in ein
Verhältniß der Anlehnung kommen müssen, welches sich sofort aus anderen Ge¬
bieten als den konfessionellen geltend machen würde. Ebenso würde Oestreich,
als Hort dessen, was man jetzt die liberale Richtung im Katholicismus nennen
muß, bei einem großen Theil der Katholiken im Nordbund eine große Bedeu¬
tung gewinnen.

Von Neuem und in modernem Sinn würde Oestreich Vorkämpfer des
deutschen Katholicismus. Jetzt gegen Rom und im Einvernehmen mit dem
deutschen Gewissen. Es liegt auf der Hand, welche Anziehungskraft eine
solche Hegemonie des Kaiserstaats auf die Herzen der katholischen Deutschen
ausüben wüßte.

Es wäre auf diesem Gebiete für Preußen sehr schwer, durch ähnliches
inniges Einvernehmen mit seinen katholischen Bischöfen der Autorität der
östreichischen Kirche den Einfluß zu nehmen. Und wieder seine eigenthüm¬
lichen Vertheidigungswaffen hat der Protestantismus zu gebrauchen fast ver¬
lernt. Die Ministerien Raumer und Muster haben in Preußen so vortreff¬
lich gearbeitet die Culturbedeutung der protestantischen Kirche zu schwächen
und die ultramontanen Störenfriede zu heben, daß der Norden für lange Zeit
in Kirchenfragen unfrei gemacht ist.

In der That ist es für Preußen ein verhängnißvoller Umstand, daß der
ausbrechende Streit in der römischen Kirche den Staat mit einem Cultus¬
ministerium versehen findet, dessen Leiter kaum eine höhere leitende Idee haben,
als die eine: daß Ideen sehr leicht gefährlich werden können. Die ruhmlosen
Kennzeichen dieses Ministeriums sind formgewandte Dürftigkeit und ortho-


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[0284] lustige Naturen und noch vor wenig Jahren wäre ihnen selbst ihre gegen¬ wärtige Lage als durchaus abenteuerlich und unmöglich erschienen. Aber sie sind jetzt hineingedrängt, der Rückweg ist versperrt und sie erkennen recht gut, daß sie bei muthigem Ausharren dem Staate, mit dessen Interessen sie sich eng verbunden fühlen, einen Dienst erweisen können, dessen Tragweite noch ganz wo anders liegt, als auf religiösem Gebiet. Wenn nämlich jetzt der bischöfliche Klerus des Kaiserstaates in festem Einvernehmen mit der Regie¬ rung seinen Widerstand soweit fortführt, daß er am Ende eine episcopale Organisation der katholischen Kirche Oestreichs unter eigenen Kirchenfürsten mit Landessynode und größerer Unabhängigkeit von Rom durchsetzt, so wird da¬ durch nicht nur ein neues Band gefunden, welches die Völker Oestreichs enge aneinander schließt, es wird auch zu den süddeutschen Staaten und zum Nordbund in einer Hauptfrage des Staatslebens eine ganz neue, unerwartet günstige Position geschaffen. Die Regierungen und Parteien von Baiern, Würtemberg, Baden, jetzt sämmtlich durch die ultramontane Partei bedrängt, würden zu dem Kaiserstaat Oestreich, welcher eine den deutschen Staatsbedürfnissen mehr entsprechende, von Rom unabhängigere katholische Kirche darstellte, in ein Verhältniß der Anlehnung kommen müssen, welches sich sofort aus anderen Ge¬ bieten als den konfessionellen geltend machen würde. Ebenso würde Oestreich, als Hort dessen, was man jetzt die liberale Richtung im Katholicismus nennen muß, bei einem großen Theil der Katholiken im Nordbund eine große Bedeu¬ tung gewinnen. Von Neuem und in modernem Sinn würde Oestreich Vorkämpfer des deutschen Katholicismus. Jetzt gegen Rom und im Einvernehmen mit dem deutschen Gewissen. Es liegt auf der Hand, welche Anziehungskraft eine solche Hegemonie des Kaiserstaats auf die Herzen der katholischen Deutschen ausüben wüßte. Es wäre auf diesem Gebiete für Preußen sehr schwer, durch ähnliches inniges Einvernehmen mit seinen katholischen Bischöfen der Autorität der östreichischen Kirche den Einfluß zu nehmen. Und wieder seine eigenthüm¬ lichen Vertheidigungswaffen hat der Protestantismus zu gebrauchen fast ver¬ lernt. Die Ministerien Raumer und Muster haben in Preußen so vortreff¬ lich gearbeitet die Culturbedeutung der protestantischen Kirche zu schwächen und die ultramontanen Störenfriede zu heben, daß der Norden für lange Zeit in Kirchenfragen unfrei gemacht ist. In der That ist es für Preußen ein verhängnißvoller Umstand, daß der ausbrechende Streit in der römischen Kirche den Staat mit einem Cultus¬ ministerium versehen findet, dessen Leiter kaum eine höhere leitende Idee haben, als die eine: daß Ideen sehr leicht gefährlich werden können. Die ruhmlosen Kennzeichen dieses Ministeriums sind formgewandte Dürftigkeit und ortho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/284>, abgerufen am 20.06.2024.