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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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(Daran von Chr. M. Wieland's Hand:)

"Ich kann nicht umhin, mein lieber Sohn Geßner, diesem Brief un¬
seres Louis etliche Zeilen von meiner Hand beyzufügen, um Euch sein An¬
liegen bestens zu empfehlen und Euch zu sagen, daß Ihr mir einen höchst
angenehmen Dienst erweisen würdet, wenn Ihr ihn (versteht sich ohne Euern
mindesten Nachtheil) für einige Zeit, zu Euerm Kostgänger annehmen, ihm
gute, nützliche Bekanntschaften in Bern verschaffen und ihn wo mög.
lich auf die Art, die er selbst wünscht, oder auf einige andere seiner Fähigkeit
angemessene Weise beschäftigen wolltet. Ich hoffe, er wird Euer Zutrauen
bald gewinnen. Er hat sehr viel Kopf, Anlagen und Karakter; und, seiner
anscheinenden Kälte ungeachtet, kann ich für die Güte und Redlichkeit seines
Herzens stehen." .... (Es folgen einige geschäftliche Notizen über das
attische Museum, dessen Eingehenlassen W. schon mit dem 3. Hefte des
3. Bandes beabsichtigte.) "Nun Adio mein lieber Sohn H. Ich umarme
Euch von ganzem Herzen. E. G. V.


W."

Chr. M. Wieland an Ludwig Wieland. --O. (Osmannstädt), den
10. Juni 1802. -- Mein lieber Sohn ! Ich kann mich nicht darüber beschweren,
daß mir Dein Brief vom 9. May von eurer neuesten Revolution nichts mehreres
offenbart, als was ich schon aä satiewtom usyus in den Zeitungen gelesen
hatte. Freilich wünschte ich über die Beschaffenheit und den Zusammenhang
der Ursachen und Wirkungen aller zeitherigen Politischen Krämpfe und Wehen
der neuen helvetischen Republik, (die für mich lettres oloses sind), endlich
ein mal ins Klare zu kommen, ich sehe aber wohl, daß, wenn Dir auch alle
geheimen Triebräder und das ganze äössous ass cardo8 bekannt wäre, (was
doch wohl schwerlich der Fall sein mag), es doch keineswegs räthlich wäre,
die Aufschlüsse, die Du mir darüber geben könntest, einem Briefe zu ver¬
trauen. Das wovon ich gänzlich überzeugt bin ist, daß dem kleinen Helvezien
sowie dem großen Frankreich, nur durch Einen Mann geholfen werden könnte,
der für Euch wäre, was Napoleon Bonaparte für die Franzosen ist. Gäbe
es innerhalb der Rhone, der Aar und des Rheins einen solchen Mann, so
müßte er sich schon lange gezeigt haben. In meiner Jugend kannte ich einen,
aber er kam 40 Jahre zu früh in die Welt. Es war der ehemalige Bürger¬
meister Heidegger in Zürich. Leider ist nicht zu hoffen, daß seines Gleichen
sobald wieder erscheine. Mit bloßen guten verständigen ehrlichen Bieder¬
männern vom gewöhnlichen Schweizer-Schrot und Korn ist euch so wenig
gedient, als mit Spitzköpfen, Schwärmern, demokratischen Knollfinken oder
vernagelten Berner und Friburger Aristokraten. Ich sehe nur ein Mittel,
wie die Schweitz Wiedergebohren werden kann, und dies ist, daß Napoleon


(Daran von Chr. M. Wieland's Hand:)

„Ich kann nicht umhin, mein lieber Sohn Geßner, diesem Brief un¬
seres Louis etliche Zeilen von meiner Hand beyzufügen, um Euch sein An¬
liegen bestens zu empfehlen und Euch zu sagen, daß Ihr mir einen höchst
angenehmen Dienst erweisen würdet, wenn Ihr ihn (versteht sich ohne Euern
mindesten Nachtheil) für einige Zeit, zu Euerm Kostgänger annehmen, ihm
gute, nützliche Bekanntschaften in Bern verschaffen und ihn wo mög.
lich auf die Art, die er selbst wünscht, oder auf einige andere seiner Fähigkeit
angemessene Weise beschäftigen wolltet. Ich hoffe, er wird Euer Zutrauen
bald gewinnen. Er hat sehr viel Kopf, Anlagen und Karakter; und, seiner
anscheinenden Kälte ungeachtet, kann ich für die Güte und Redlichkeit seines
Herzens stehen." .... (Es folgen einige geschäftliche Notizen über das
attische Museum, dessen Eingehenlassen W. schon mit dem 3. Hefte des
3. Bandes beabsichtigte.) „Nun Adio mein lieber Sohn H. Ich umarme
Euch von ganzem Herzen. E. G. V.


W."

Chr. M. Wieland an Ludwig Wieland. —O. (Osmannstädt), den
10. Juni 1802. — Mein lieber Sohn ! Ich kann mich nicht darüber beschweren,
daß mir Dein Brief vom 9. May von eurer neuesten Revolution nichts mehreres
offenbart, als was ich schon aä satiewtom usyus in den Zeitungen gelesen
hatte. Freilich wünschte ich über die Beschaffenheit und den Zusammenhang
der Ursachen und Wirkungen aller zeitherigen Politischen Krämpfe und Wehen
der neuen helvetischen Republik, (die für mich lettres oloses sind), endlich
ein mal ins Klare zu kommen, ich sehe aber wohl, daß, wenn Dir auch alle
geheimen Triebräder und das ganze äössous ass cardo8 bekannt wäre, (was
doch wohl schwerlich der Fall sein mag), es doch keineswegs räthlich wäre,
die Aufschlüsse, die Du mir darüber geben könntest, einem Briefe zu ver¬
trauen. Das wovon ich gänzlich überzeugt bin ist, daß dem kleinen Helvezien
sowie dem großen Frankreich, nur durch Einen Mann geholfen werden könnte,
der für Euch wäre, was Napoleon Bonaparte für die Franzosen ist. Gäbe
es innerhalb der Rhone, der Aar und des Rheins einen solchen Mann, so
müßte er sich schon lange gezeigt haben. In meiner Jugend kannte ich einen,
aber er kam 40 Jahre zu früh in die Welt. Es war der ehemalige Bürger¬
meister Heidegger in Zürich. Leider ist nicht zu hoffen, daß seines Gleichen
sobald wieder erscheine. Mit bloßen guten verständigen ehrlichen Bieder¬
männern vom gewöhnlichen Schweizer-Schrot und Korn ist euch so wenig
gedient, als mit Spitzköpfen, Schwärmern, demokratischen Knollfinken oder
vernagelten Berner und Friburger Aristokraten. Ich sehe nur ein Mittel,
wie die Schweitz Wiedergebohren werden kann, und dies ist, daß Napoleon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/268>, abgerufen am 01.09.2024.