Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.Diese Fragen boten ein einseitiges, entweder östreichisches oder russisches Schon sehr bald, nachdem die Zusammenkunft Josephs mit Katharina Diese Fragen boten ein einseitiges, entweder östreichisches oder russisches Schon sehr bald, nachdem die Zusammenkunft Josephs mit Katharina <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123879"/> <p xml:id="ID_794"> Diese Fragen boten ein einseitiges, entweder östreichisches oder russisches<lb/> Interesse dar; auch waren sie nur kurze Zeit auf der Tagesordnung. Von<lb/> unvergleichlich größerem und dauerndem Interesse aber war die orientalische<lb/> Frage, welche während der zehn Jahre des Briefwechsels zwischen Joseph<lb/> und Katharina auf der Tagesordnung blieb und die meiste Aufmerksamkeit<lb/> und Thätigkeit in Anspruch nahm. In dieser Zeit tauchte der Plan auf, der<lb/> Existenz der Türkei in Europa ein Ende zu machen; ein Königreich Dacier,<lb/> ein griechisches Kaiserthum zu gründen. In dieselbe Zeit fällt die Besetzung<lb/> der Krim, die Belagerung und Einnahme von Otschakow durch die Russen<lb/> und von Belgrad durch die Oestreicher, in dieselbe Zeit das enge Bündniß<lb/> zwischen Rußland und Oestreich, um nach einem neuen Türkenkriege, dessen<lb/> Ende Joseph nicht mehr erleben sollte, das osmanische Reich zu theilen.<lb/> Dieses Alles wog schwerer als das bairische Tauschproject, der Scheldestreit<lb/> oder der schwedisch-russische Krieg. Es war mehr System und Consequenz<lb/> in der Behandlung der orientalischen Angelegenheiten durch Joseph und<lb/> Katharina, als in vielen anderen Fragen, welche in jener Zeit die Cabinette<lb/> beschäftigten.</p><lb/> <p xml:id="ID_795" next="#ID_796"> Schon sehr bald, nachdem die Zusammenkunft Josephs mit Katharina<lb/> in Mohilew (1780) stattgefunden hatte und ein freundschaftlicher Briefwechsel<lb/> eröffnet worden war, schlug Joseph der Kaiserin einen Garantievertrag vor<lb/> (1. Jan. 1782 S. 31). Gleichzeitig beginnen die Klagen der Kaiserin über<lb/> die Verletzung des Vertrags von Kutschuk-Kainardji durch die Türken. Sie<lb/> ersucht den Kaiser um seine guten Dienste bei der Pforte, worauf er mit<lb/> großer Bereitwilligkeit eingeht, dabei aber in schmeichelhafter Weise bemerkt,<lb/> daß die Kaiserin, welcher die Potemkin, Rumjanzow, Orlow, Repnin u. A.<lb/> zu Gebote stehen, eigentlich keiner weiteren Hilfe bedürfe (S. 43). Der förm¬<lb/> liche Abschluß eines Allianzvertrages zwischen Joseph und Katharina kam<lb/> wegen einer Formsache nicht zu Stande, welcher man damals große Wichtig¬<lb/> keit beimaß. Katharina verlangte das Allemal, welches bekanntlich darin<lb/> besteht, daß in einem der auszufertigenden Exemplare des Vertrages der eine,<lb/> in dem zweiten aber der andere der vertragschließenden Theile sich in der<lb/> ersten Stelle unterschreibt. Joseph glaubte als Oberhaupt des deutschen<lb/> Reiches, besonders in Rücksicht auf die Kurfürsten nicht darauf eingehen zu<lb/> dürfen. Er spottet fast über „das Phantom des Ehrenpostens", den er be¬<lb/> kleide, aber er lehnt den formellen Abschluß eines Vertrags ab. Statt dessen<lb/> schlug er vor. in gegenseitigen, sast völlig gleichlautenden Briefen Verpflich¬<lb/> tungen zu übernehmen, welche die bindende Kraft von rechtsgiltig abge¬<lb/> schlossenen Verträgen haben sollten. Der Vortheil einer solchen Erledigung<lb/> dieser Angelegenheit, meint Joseph, liege darin, daß man mit vollem Fug<lb/> und Recht allen andern Staaten gegenüber das Bestehen eines Vertrages</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
Diese Fragen boten ein einseitiges, entweder östreichisches oder russisches
Interesse dar; auch waren sie nur kurze Zeit auf der Tagesordnung. Von
unvergleichlich größerem und dauerndem Interesse aber war die orientalische
Frage, welche während der zehn Jahre des Briefwechsels zwischen Joseph
und Katharina auf der Tagesordnung blieb und die meiste Aufmerksamkeit
und Thätigkeit in Anspruch nahm. In dieser Zeit tauchte der Plan auf, der
Existenz der Türkei in Europa ein Ende zu machen; ein Königreich Dacier,
ein griechisches Kaiserthum zu gründen. In dieselbe Zeit fällt die Besetzung
der Krim, die Belagerung und Einnahme von Otschakow durch die Russen
und von Belgrad durch die Oestreicher, in dieselbe Zeit das enge Bündniß
zwischen Rußland und Oestreich, um nach einem neuen Türkenkriege, dessen
Ende Joseph nicht mehr erleben sollte, das osmanische Reich zu theilen.
Dieses Alles wog schwerer als das bairische Tauschproject, der Scheldestreit
oder der schwedisch-russische Krieg. Es war mehr System und Consequenz
in der Behandlung der orientalischen Angelegenheiten durch Joseph und
Katharina, als in vielen anderen Fragen, welche in jener Zeit die Cabinette
beschäftigten.
Schon sehr bald, nachdem die Zusammenkunft Josephs mit Katharina
in Mohilew (1780) stattgefunden hatte und ein freundschaftlicher Briefwechsel
eröffnet worden war, schlug Joseph der Kaiserin einen Garantievertrag vor
(1. Jan. 1782 S. 31). Gleichzeitig beginnen die Klagen der Kaiserin über
die Verletzung des Vertrags von Kutschuk-Kainardji durch die Türken. Sie
ersucht den Kaiser um seine guten Dienste bei der Pforte, worauf er mit
großer Bereitwilligkeit eingeht, dabei aber in schmeichelhafter Weise bemerkt,
daß die Kaiserin, welcher die Potemkin, Rumjanzow, Orlow, Repnin u. A.
zu Gebote stehen, eigentlich keiner weiteren Hilfe bedürfe (S. 43). Der förm¬
liche Abschluß eines Allianzvertrages zwischen Joseph und Katharina kam
wegen einer Formsache nicht zu Stande, welcher man damals große Wichtig¬
keit beimaß. Katharina verlangte das Allemal, welches bekanntlich darin
besteht, daß in einem der auszufertigenden Exemplare des Vertrages der eine,
in dem zweiten aber der andere der vertragschließenden Theile sich in der
ersten Stelle unterschreibt. Joseph glaubte als Oberhaupt des deutschen
Reiches, besonders in Rücksicht auf die Kurfürsten nicht darauf eingehen zu
dürfen. Er spottet fast über „das Phantom des Ehrenpostens", den er be¬
kleide, aber er lehnt den formellen Abschluß eines Vertrags ab. Statt dessen
schlug er vor. in gegenseitigen, sast völlig gleichlautenden Briefen Verpflich¬
tungen zu übernehmen, welche die bindende Kraft von rechtsgiltig abge¬
schlossenen Verträgen haben sollten. Der Vortheil einer solchen Erledigung
dieser Angelegenheit, meint Joseph, liege darin, daß man mit vollem Fug
und Recht allen andern Staaten gegenüber das Bestehen eines Vertrages
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |