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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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anders verfahren, dessen Wirken sich keineswegs mit Sicherheit vorausbe¬
rechnen läßt?

Der eine Punkt, den wir an dem Gesetzentwurf der Reichstagseommission
auszustellen haben, ist die beabsichtigte Zusammensetzung des Heimathsgerichts-
hofes. Der zweite Punkt betrifft den Mangel einer Staatsanwaltschaft.

Der Werth der Staatsanwaltschaft wird allerdings in Zweifel gezogen.
Aber die Klagen, die laut werden, richten sich gegen diese und jene mißbräuch¬
liche Ausartung, gegen diese und jene unrichtige Gestaltung des Amts, sie steigern
sich nur selten zu dem Verlangen, das Amt wieder zu beseitigen. Die Staats¬
anwaltschaft gehört im Ganzen zu den neuen Einrichtungen, die rasch Wurzel
gesaßt haben und in das Volksbewußtsein übergegangen sind. Ihre Unent-
behrlichkeit für die Verwaltungsrechtspflege ist in Frankreich wie in Baden
-- dem der bairische Entwurf nachahmen will -- anerkannt worden. Um
so zweifelhafter ist die Gestaltung der Staatsanwaltschaft bei den öffentlichen
Gerichtshöfen. In Frankreich ist die Besorgung der Geschäfte Requeten-
meistern übertragen. Die Einsetzung einer selbständigen Generalproeuratur
des Staatsraths gehört seit langen Jahren in das Bereich der Wünsche, ohne
daß der Grund, warum sie vermißt wird, ersichtlich ist. Ob blos finanzielle
oder noch andere Rücksichten im Spiele, steht dahin. In Baden ist ein
anderer Weg eingeschlagen worden. Jedes Ministerium ordnet in den
Sachen seines Ressorts einen "Vertreter des öffentlichen Interesses" ab, der
das Amt des Staatsanwalts für den einzelnen Fall beim Verwaltungs¬
gerichtshof übt und den Instruktionen seines Ressortchefs folgt. Das Amt
ermangelt dadurch leicht der Selbständigkeit, die gerade für die Staatsan¬
waltschaft angestrebt wird. Indeß scheinen die praktischen Ersahrungen nicht
gegen die Einrichtung zu sprechen, eher ließe sich aus ihnen auf die Ent¬
behrlichkeit der Staatsanwaltschaft ein Schluß ziehen. Die seitherige Gesetz¬
gebung wies dem Verwaltungsgerichtshof als Hauptbestandtheil seiner Thätig¬
keit die Entscheidung über Bürgeraufnahmesachen zu, Fragen, wo es mit
dem besten Erfolge eingewirkt hat, weil es zwischen einer nicht mehr zeitge¬
mäßen Gesetzgebung und den drängenden Anforderungen des Lebens gedeihlich
vermitteln konnte und zu vermitteln wußte. Die Praxis stellte sich jedoch
in diesen Sachen rasch fest und die Vertreter des öffentlichen Interesses
pflegen in neuerer Zeit nur noch zu erscheinen, wo es die Natur des Falls
nöthig macht. Wesentlich ist ihre persönliche Theilnahme an den stets öffent¬
lichen Sitzungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht.

Für den Bund ist ein Moment von maßgebender Bedeutung. Die
Thätigkeit der Staatsanwaltschaft fällt unter die dem Präsidium übertragene
Ueberwachung der Bundesgesetze und es scheint nothwendig, daß das Amt
wenigstens in oberster Instanz nicht vom Bundesrat!), der nach dem Ent-


anders verfahren, dessen Wirken sich keineswegs mit Sicherheit vorausbe¬
rechnen läßt?

Der eine Punkt, den wir an dem Gesetzentwurf der Reichstagseommission
auszustellen haben, ist die beabsichtigte Zusammensetzung des Heimathsgerichts-
hofes. Der zweite Punkt betrifft den Mangel einer Staatsanwaltschaft.

Der Werth der Staatsanwaltschaft wird allerdings in Zweifel gezogen.
Aber die Klagen, die laut werden, richten sich gegen diese und jene mißbräuch¬
liche Ausartung, gegen diese und jene unrichtige Gestaltung des Amts, sie steigern
sich nur selten zu dem Verlangen, das Amt wieder zu beseitigen. Die Staats¬
anwaltschaft gehört im Ganzen zu den neuen Einrichtungen, die rasch Wurzel
gesaßt haben und in das Volksbewußtsein übergegangen sind. Ihre Unent-
behrlichkeit für die Verwaltungsrechtspflege ist in Frankreich wie in Baden
— dem der bairische Entwurf nachahmen will — anerkannt worden. Um
so zweifelhafter ist die Gestaltung der Staatsanwaltschaft bei den öffentlichen
Gerichtshöfen. In Frankreich ist die Besorgung der Geschäfte Requeten-
meistern übertragen. Die Einsetzung einer selbständigen Generalproeuratur
des Staatsraths gehört seit langen Jahren in das Bereich der Wünsche, ohne
daß der Grund, warum sie vermißt wird, ersichtlich ist. Ob blos finanzielle
oder noch andere Rücksichten im Spiele, steht dahin. In Baden ist ein
anderer Weg eingeschlagen worden. Jedes Ministerium ordnet in den
Sachen seines Ressorts einen „Vertreter des öffentlichen Interesses" ab, der
das Amt des Staatsanwalts für den einzelnen Fall beim Verwaltungs¬
gerichtshof übt und den Instruktionen seines Ressortchefs folgt. Das Amt
ermangelt dadurch leicht der Selbständigkeit, die gerade für die Staatsan¬
waltschaft angestrebt wird. Indeß scheinen die praktischen Ersahrungen nicht
gegen die Einrichtung zu sprechen, eher ließe sich aus ihnen auf die Ent¬
behrlichkeit der Staatsanwaltschaft ein Schluß ziehen. Die seitherige Gesetz¬
gebung wies dem Verwaltungsgerichtshof als Hauptbestandtheil seiner Thätig¬
keit die Entscheidung über Bürgeraufnahmesachen zu, Fragen, wo es mit
dem besten Erfolge eingewirkt hat, weil es zwischen einer nicht mehr zeitge¬
mäßen Gesetzgebung und den drängenden Anforderungen des Lebens gedeihlich
vermitteln konnte und zu vermitteln wußte. Die Praxis stellte sich jedoch
in diesen Sachen rasch fest und die Vertreter des öffentlichen Interesses
pflegen in neuerer Zeit nur noch zu erscheinen, wo es die Natur des Falls
nöthig macht. Wesentlich ist ihre persönliche Theilnahme an den stets öffent¬
lichen Sitzungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht.

Für den Bund ist ein Moment von maßgebender Bedeutung. Die
Thätigkeit der Staatsanwaltschaft fällt unter die dem Präsidium übertragene
Ueberwachung der Bundesgesetze und es scheint nothwendig, daß das Amt
wenigstens in oberster Instanz nicht vom Bundesrat!), der nach dem Ent-


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[0228] anders verfahren, dessen Wirken sich keineswegs mit Sicherheit vorausbe¬ rechnen läßt? Der eine Punkt, den wir an dem Gesetzentwurf der Reichstagseommission auszustellen haben, ist die beabsichtigte Zusammensetzung des Heimathsgerichts- hofes. Der zweite Punkt betrifft den Mangel einer Staatsanwaltschaft. Der Werth der Staatsanwaltschaft wird allerdings in Zweifel gezogen. Aber die Klagen, die laut werden, richten sich gegen diese und jene mißbräuch¬ liche Ausartung, gegen diese und jene unrichtige Gestaltung des Amts, sie steigern sich nur selten zu dem Verlangen, das Amt wieder zu beseitigen. Die Staats¬ anwaltschaft gehört im Ganzen zu den neuen Einrichtungen, die rasch Wurzel gesaßt haben und in das Volksbewußtsein übergegangen sind. Ihre Unent- behrlichkeit für die Verwaltungsrechtspflege ist in Frankreich wie in Baden — dem der bairische Entwurf nachahmen will — anerkannt worden. Um so zweifelhafter ist die Gestaltung der Staatsanwaltschaft bei den öffentlichen Gerichtshöfen. In Frankreich ist die Besorgung der Geschäfte Requeten- meistern übertragen. Die Einsetzung einer selbständigen Generalproeuratur des Staatsraths gehört seit langen Jahren in das Bereich der Wünsche, ohne daß der Grund, warum sie vermißt wird, ersichtlich ist. Ob blos finanzielle oder noch andere Rücksichten im Spiele, steht dahin. In Baden ist ein anderer Weg eingeschlagen worden. Jedes Ministerium ordnet in den Sachen seines Ressorts einen „Vertreter des öffentlichen Interesses" ab, der das Amt des Staatsanwalts für den einzelnen Fall beim Verwaltungs¬ gerichtshof übt und den Instruktionen seines Ressortchefs folgt. Das Amt ermangelt dadurch leicht der Selbständigkeit, die gerade für die Staatsan¬ waltschaft angestrebt wird. Indeß scheinen die praktischen Ersahrungen nicht gegen die Einrichtung zu sprechen, eher ließe sich aus ihnen auf die Ent¬ behrlichkeit der Staatsanwaltschaft ein Schluß ziehen. Die seitherige Gesetz¬ gebung wies dem Verwaltungsgerichtshof als Hauptbestandtheil seiner Thätig¬ keit die Entscheidung über Bürgeraufnahmesachen zu, Fragen, wo es mit dem besten Erfolge eingewirkt hat, weil es zwischen einer nicht mehr zeitge¬ mäßen Gesetzgebung und den drängenden Anforderungen des Lebens gedeihlich vermitteln konnte und zu vermitteln wußte. Die Praxis stellte sich jedoch in diesen Sachen rasch fest und die Vertreter des öffentlichen Interesses pflegen in neuerer Zeit nur noch zu erscheinen, wo es die Natur des Falls nöthig macht. Wesentlich ist ihre persönliche Theilnahme an den stets öffent¬ lichen Sitzungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht. Für den Bund ist ein Moment von maßgebender Bedeutung. Die Thätigkeit der Staatsanwaltschaft fällt unter die dem Präsidium übertragene Ueberwachung der Bundesgesetze und es scheint nothwendig, daß das Amt wenigstens in oberster Instanz nicht vom Bundesrat!), der nach dem Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/228>, abgerufen am 27.07.2024.