Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Stande bringt, wenn er es gut zu Stande bringt; so finde ich eben jenes
Liedchen sehr hübsch und charakteristisch, nur freilich nicht für Wichen im
Stück zu singen, so wenig als "freudvoll und leidvoll". Dies letztere höre
ich überhaupt von der Oboe im Zwischenact viel lieber als von der Sängerin.
Ich kann es nicht mißbilligen, daß Tieck es vorzog, die Schauspielerin irgend
eine andere Melodie, von Reichardt oder einem Andern anstatt der Beethoven-
schen Composition singen zu lassen. So gern ich sonst seine Musik zum
Egmont habe, so finde ich eben diese Lieder nicht in dem Styl, den die
Sache erfordert, vor allen viel zu abhängig vom Orchester, das hier so viel
als möglich unbemerkbar sein müßte, das "freudvoll und leidvoll" überdies
noch ziemlich unsingbar; konnte es doch kaum die Kister leidlich herausbringen
in seiner ungeschickt hohen Lage. Von Herrn sah. kann ich nicht viel mehr
sagen, als daß er uns durch große Redeseligkeit und Selbstgefälligkeit im
Reden viel seckirt hat. Er ließ sich bei mir in der Schule eine Bach'sche
Motette singen und hat dem Chor darauf zugesprochen und ihm guten Rath
ertheilt, als wenn seine Worte Gott weiß wie golden wären.

Mendelssohn bleibt nur bis zum 20. November hier, um dann ganz
nach Berlin zu ziehen. Er geht ungern, und es ist ihm vom König von
Sachsen, der ihn persönlich sehr gern hat. ein gleicher Gehalt wie sein Ber¬
liner, 3000 Thlr. angeboten worden, wenn er in Sachsen bleiben wollte. --
Die Umstände müssen es nicht zugelassen haben, es anzunehmen. Ich habe
aus der Auction von Potenz, die einen Catalog von 3000 Nummern hat,
viel für meine Kirchenmusik erstanden, unter anderen zwei Messen von
Cherubini, welche, namentlich die 4te in L-ciur, von großer Schönheit sind.
Ich freue mich darauf, sie aufzuführen. Der hiesige Gottesdienst läßt nicht
allein Meßcompofitionen zu, der Ritus verlangt selbst an Festtagen, gegen
12mal jährlich, die Messe in ihrer Bedeutung, zwar nur Kyrie und Gloria
ich bringe aber dann die übrigen Sätze als Hymnen nach. Im Durchschnitt
genommen muß sich auch unsere Kirche an die katholische Musik halten, die
Protestantischen Cantorenproductionen sind zu prosaischer Natur. Das kann
man zwar von denen Bachs, der auch ein protestantischer Cantor war, nicht
sagen, aber hier stößt es sich wieder an die der unsrigen gar zu entfernte
Orchesterbehandlung, und es ist schwer, unter vielem an sich recht Schönen
etwas Praktikables aufzufinden.

R. Schumann, der sehr fleißig componirt. hat jetzt eine Cantate in drei
Theilen nach Laka Roock "die Perl und das Paradies", weist mit den Wor"
ten des Gedichts geschrieben und wird sie im November aufführen. Ich habe
eine Probe mit kleinem Chor und Quartett gehört, es scheint alles recht
blühend und frisch. Wie das Ganze sich ausnehmen wird, weiß ich noch
nicht, es hängt alles ohne Unterbrechung zusammen, nicht mit Recitativ und


zu Stande bringt, wenn er es gut zu Stande bringt; so finde ich eben jenes
Liedchen sehr hübsch und charakteristisch, nur freilich nicht für Wichen im
Stück zu singen, so wenig als „freudvoll und leidvoll". Dies letztere höre
ich überhaupt von der Oboe im Zwischenact viel lieber als von der Sängerin.
Ich kann es nicht mißbilligen, daß Tieck es vorzog, die Schauspielerin irgend
eine andere Melodie, von Reichardt oder einem Andern anstatt der Beethoven-
schen Composition singen zu lassen. So gern ich sonst seine Musik zum
Egmont habe, so finde ich eben diese Lieder nicht in dem Styl, den die
Sache erfordert, vor allen viel zu abhängig vom Orchester, das hier so viel
als möglich unbemerkbar sein müßte, das „freudvoll und leidvoll" überdies
noch ziemlich unsingbar; konnte es doch kaum die Kister leidlich herausbringen
in seiner ungeschickt hohen Lage. Von Herrn sah. kann ich nicht viel mehr
sagen, als daß er uns durch große Redeseligkeit und Selbstgefälligkeit im
Reden viel seckirt hat. Er ließ sich bei mir in der Schule eine Bach'sche
Motette singen und hat dem Chor darauf zugesprochen und ihm guten Rath
ertheilt, als wenn seine Worte Gott weiß wie golden wären.

Mendelssohn bleibt nur bis zum 20. November hier, um dann ganz
nach Berlin zu ziehen. Er geht ungern, und es ist ihm vom König von
Sachsen, der ihn persönlich sehr gern hat. ein gleicher Gehalt wie sein Ber¬
liner, 3000 Thlr. angeboten worden, wenn er in Sachsen bleiben wollte. —
Die Umstände müssen es nicht zugelassen haben, es anzunehmen. Ich habe
aus der Auction von Potenz, die einen Catalog von 3000 Nummern hat,
viel für meine Kirchenmusik erstanden, unter anderen zwei Messen von
Cherubini, welche, namentlich die 4te in L-ciur, von großer Schönheit sind.
Ich freue mich darauf, sie aufzuführen. Der hiesige Gottesdienst läßt nicht
allein Meßcompofitionen zu, der Ritus verlangt selbst an Festtagen, gegen
12mal jährlich, die Messe in ihrer Bedeutung, zwar nur Kyrie und Gloria
ich bringe aber dann die übrigen Sätze als Hymnen nach. Im Durchschnitt
genommen muß sich auch unsere Kirche an die katholische Musik halten, die
Protestantischen Cantorenproductionen sind zu prosaischer Natur. Das kann
man zwar von denen Bachs, der auch ein protestantischer Cantor war, nicht
sagen, aber hier stößt es sich wieder an die der unsrigen gar zu entfernte
Orchesterbehandlung, und es ist schwer, unter vielem an sich recht Schönen
etwas Praktikables aufzufinden.

R. Schumann, der sehr fleißig componirt. hat jetzt eine Cantate in drei
Theilen nach Laka Roock „die Perl und das Paradies", weist mit den Wor»
ten des Gedichts geschrieben und wird sie im November aufführen. Ich habe
eine Probe mit kleinem Chor und Quartett gehört, es scheint alles recht
blühend und frisch. Wie das Ganze sich ausnehmen wird, weiß ich noch
nicht, es hängt alles ohne Unterbrechung zusammen, nicht mit Recitativ und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123815"/>
            <p xml:id="ID_586" prev="#ID_585"> zu Stande bringt, wenn er es gut zu Stande bringt; so finde ich eben jenes<lb/>
Liedchen sehr hübsch und charakteristisch, nur freilich nicht für Wichen im<lb/>
Stück zu singen, so wenig als &#x201E;freudvoll und leidvoll". Dies letztere höre<lb/>
ich überhaupt von der Oboe im Zwischenact viel lieber als von der Sängerin.<lb/>
Ich kann es nicht mißbilligen, daß Tieck es vorzog, die Schauspielerin irgend<lb/>
eine andere Melodie, von Reichardt oder einem Andern anstatt der Beethoven-<lb/>
schen Composition singen zu lassen. So gern ich sonst seine Musik zum<lb/>
Egmont habe, so finde ich eben diese Lieder nicht in dem Styl, den die<lb/>
Sache erfordert, vor allen viel zu abhängig vom Orchester, das hier so viel<lb/>
als möglich unbemerkbar sein müßte, das &#x201E;freudvoll und leidvoll" überdies<lb/>
noch ziemlich unsingbar; konnte es doch kaum die Kister leidlich herausbringen<lb/>
in seiner ungeschickt hohen Lage. Von Herrn sah. kann ich nicht viel mehr<lb/>
sagen, als daß er uns durch große Redeseligkeit und Selbstgefälligkeit im<lb/>
Reden viel seckirt hat. Er ließ sich bei mir in der Schule eine Bach'sche<lb/>
Motette singen und hat dem Chor darauf zugesprochen und ihm guten Rath<lb/>
ertheilt, als wenn seine Worte Gott weiß wie golden wären.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_587"> Mendelssohn bleibt nur bis zum 20. November hier, um dann ganz<lb/>
nach Berlin zu ziehen. Er geht ungern, und es ist ihm vom König von<lb/>
Sachsen, der ihn persönlich sehr gern hat. ein gleicher Gehalt wie sein Ber¬<lb/>
liner, 3000 Thlr. angeboten worden, wenn er in Sachsen bleiben wollte. &#x2014;<lb/>
Die Umstände müssen es nicht zugelassen haben, es anzunehmen. Ich habe<lb/>
aus der Auction von Potenz, die einen Catalog von 3000 Nummern hat,<lb/>
viel für meine Kirchenmusik erstanden, unter anderen zwei Messen von<lb/>
Cherubini, welche, namentlich die 4te in L-ciur, von großer Schönheit sind.<lb/>
Ich freue mich darauf, sie aufzuführen. Der hiesige Gottesdienst läßt nicht<lb/>
allein Meßcompofitionen zu, der Ritus verlangt selbst an Festtagen, gegen<lb/>
12mal jährlich, die Messe in ihrer Bedeutung, zwar nur Kyrie und Gloria<lb/>
ich bringe aber dann die übrigen Sätze als Hymnen nach. Im Durchschnitt<lb/>
genommen muß sich auch unsere Kirche an die katholische Musik halten, die<lb/>
Protestantischen Cantorenproductionen sind zu prosaischer Natur. Das kann<lb/>
man zwar von denen Bachs, der auch ein protestantischer Cantor war, nicht<lb/>
sagen, aber hier stößt es sich wieder an die der unsrigen gar zu entfernte<lb/>
Orchesterbehandlung, und es ist schwer, unter vielem an sich recht Schönen<lb/>
etwas Praktikables aufzufinden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_588" next="#ID_589"> R. Schumann, der sehr fleißig componirt. hat jetzt eine Cantate in drei<lb/>
Theilen nach Laka Roock &#x201E;die Perl und das Paradies", weist mit den Wor»<lb/>
ten des Gedichts geschrieben und wird sie im November aufführen. Ich habe<lb/>
eine Probe mit kleinem Chor und Quartett gehört, es scheint alles recht<lb/>
blühend und frisch. Wie das Ganze sich ausnehmen wird, weiß ich noch<lb/>
nicht, es hängt alles ohne Unterbrechung zusammen, nicht mit Recitativ und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0195] zu Stande bringt, wenn er es gut zu Stande bringt; so finde ich eben jenes Liedchen sehr hübsch und charakteristisch, nur freilich nicht für Wichen im Stück zu singen, so wenig als „freudvoll und leidvoll". Dies letztere höre ich überhaupt von der Oboe im Zwischenact viel lieber als von der Sängerin. Ich kann es nicht mißbilligen, daß Tieck es vorzog, die Schauspielerin irgend eine andere Melodie, von Reichardt oder einem Andern anstatt der Beethoven- schen Composition singen zu lassen. So gern ich sonst seine Musik zum Egmont habe, so finde ich eben diese Lieder nicht in dem Styl, den die Sache erfordert, vor allen viel zu abhängig vom Orchester, das hier so viel als möglich unbemerkbar sein müßte, das „freudvoll und leidvoll" überdies noch ziemlich unsingbar; konnte es doch kaum die Kister leidlich herausbringen in seiner ungeschickt hohen Lage. Von Herrn sah. kann ich nicht viel mehr sagen, als daß er uns durch große Redeseligkeit und Selbstgefälligkeit im Reden viel seckirt hat. Er ließ sich bei mir in der Schule eine Bach'sche Motette singen und hat dem Chor darauf zugesprochen und ihm guten Rath ertheilt, als wenn seine Worte Gott weiß wie golden wären. Mendelssohn bleibt nur bis zum 20. November hier, um dann ganz nach Berlin zu ziehen. Er geht ungern, und es ist ihm vom König von Sachsen, der ihn persönlich sehr gern hat. ein gleicher Gehalt wie sein Ber¬ liner, 3000 Thlr. angeboten worden, wenn er in Sachsen bleiben wollte. — Die Umstände müssen es nicht zugelassen haben, es anzunehmen. Ich habe aus der Auction von Potenz, die einen Catalog von 3000 Nummern hat, viel für meine Kirchenmusik erstanden, unter anderen zwei Messen von Cherubini, welche, namentlich die 4te in L-ciur, von großer Schönheit sind. Ich freue mich darauf, sie aufzuführen. Der hiesige Gottesdienst läßt nicht allein Meßcompofitionen zu, der Ritus verlangt selbst an Festtagen, gegen 12mal jährlich, die Messe in ihrer Bedeutung, zwar nur Kyrie und Gloria ich bringe aber dann die übrigen Sätze als Hymnen nach. Im Durchschnitt genommen muß sich auch unsere Kirche an die katholische Musik halten, die Protestantischen Cantorenproductionen sind zu prosaischer Natur. Das kann man zwar von denen Bachs, der auch ein protestantischer Cantor war, nicht sagen, aber hier stößt es sich wieder an die der unsrigen gar zu entfernte Orchesterbehandlung, und es ist schwer, unter vielem an sich recht Schönen etwas Praktikables aufzufinden. R. Schumann, der sehr fleißig componirt. hat jetzt eine Cantate in drei Theilen nach Laka Roock „die Perl und das Paradies", weist mit den Wor» ten des Gedichts geschrieben und wird sie im November aufführen. Ich habe eine Probe mit kleinem Chor und Quartett gehört, es scheint alles recht blühend und frisch. Wie das Ganze sich ausnehmen wird, weiß ich noch nicht, es hängt alles ohne Unterbrechung zusammen, nicht mit Recitativ und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/195
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/195>, abgerufen am 18.12.2024.