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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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von 11--12, später von 3--6, und in der Direktion der Sonntagskirchen¬
musik; letztere des Morgens um 8 Uhr. Diese, habe ich heute erst angetreten-
und zwar komme ich soeben daher. Ich haÄe auf den Wunsch mehrerer
Freunde meine Messe mit Orchester eingeübt, und um mit dieser zu beginnen,
am vorigen Sonntag den bisherigen Jnterimsdirector Potenz noch einmal
zu dirigiren ersucht. Am heutigen Sonntag, als Anfang der Meßwoche, ist
es gebräuchlich, das Kyrie oder Gloria der Messe zu geben; nach der ersten
Orchesterprobe, die ich von meiner Messe gemacht hatte, wünschten die Mu¬
siker, daß sie das erste Mal und zu meinem Amtsantritte ganz gegeben
würde, welches mir auf meine Anfrage der Superintendent auch gern zu¬
gestand; so gab ich erst 3 Sätze und nach der Epistel die übrigen. Es ist
im Chor und Orchester eine sehr erfreuliche Willigkeit, ein Interesse für die
Sache, welches dem Dirigenten so erleichternd entgegenkommt, daß auch ein
so ungeübter und wenig geschickter als ich es wohl bin, keine schwere Aufgabe
hat, etwas so schwieriges, als diese Messe ist, zur geebneten und von merk¬
lichen Fehlern freien Aufführung zu bringen. Man ist mit der heutigen
ganz zufrieden gewesen.

Den 7. Oel ob er. Mendelssohn kam am vorigen Freitage hier durch
auf seiner Rückreise von der Schweiz. Da er am 1. October in Berlin sein
sollte, hielt er sich nicht auf. er ward aber so dringend angegangen, das
erste Gewandhausconcert, welches Sonntag, den 2., stattfand, zu dirigiren,
daß er zu diesem schon wieder hier war. Das Orchester ist hier unter seiner
Leitung in Symphonien ganz vortrefflich, es ist eine Schärfe und Elasticität
im Ganzen, wie man sie nicht leicht wiederfindet Mendelssohn hat selbst
seine große Freude daran, will aber das Verdienst sich nicht zugeschrieben
wissen, indem, wie er sagt, in Berlin, wo so viele gute Kräfte im Einzelnen
vorhanden sind, bei alle seinem Eifer und unendlicher Mühe nichts ähn¬
liches herzustellen gewesen sei. Man hofft in Leipzig noch sehr, daß Men¬
delssohn zurückkehren werde, sicheres weiß Niemand, da er selbst noch keines¬
wegs bestimmt ist. Bei David habe ich 3 Quartetten von Schumann
gehört, die ersten, die er geschrieben, die mir sehr gefallen, ja mich in Ver¬
wunderung über sein Talent gesetzt haben, das ich mir bei Weitem nicht so
bedeutend vorgestellt hatte, nach den kleineren Claviersachen, die ich früher
von ihm kennen lernte, die gar so aphoristisch und brockenhaft waren und sich
in bloßer Sonderbarkeit gefielen. An Ungewöhnlichem in Form und Inhalt
fehlt es auch hier nicht, aber es ist mit Geist gefaßt und zusammengehalten
und recht Vieles ist sehr schön. Im Theater habe ich die Königin von
Cypern von Halevy gehört; das Buch ist unvergleichlich besser als das deutsche,
es ist nicht zu begreifen, wie Lachner es sich von dem Uebersetzer so konnte
verhunzen lassen. Der König ist hier eine handelnde, nicht blos leidende


von 11—12, später von 3—6, und in der Direktion der Sonntagskirchen¬
musik; letztere des Morgens um 8 Uhr. Diese, habe ich heute erst angetreten-
und zwar komme ich soeben daher. Ich haÄe auf den Wunsch mehrerer
Freunde meine Messe mit Orchester eingeübt, und um mit dieser zu beginnen,
am vorigen Sonntag den bisherigen Jnterimsdirector Potenz noch einmal
zu dirigiren ersucht. Am heutigen Sonntag, als Anfang der Meßwoche, ist
es gebräuchlich, das Kyrie oder Gloria der Messe zu geben; nach der ersten
Orchesterprobe, die ich von meiner Messe gemacht hatte, wünschten die Mu¬
siker, daß sie das erste Mal und zu meinem Amtsantritte ganz gegeben
würde, welches mir auf meine Anfrage der Superintendent auch gern zu¬
gestand; so gab ich erst 3 Sätze und nach der Epistel die übrigen. Es ist
im Chor und Orchester eine sehr erfreuliche Willigkeit, ein Interesse für die
Sache, welches dem Dirigenten so erleichternd entgegenkommt, daß auch ein
so ungeübter und wenig geschickter als ich es wohl bin, keine schwere Aufgabe
hat, etwas so schwieriges, als diese Messe ist, zur geebneten und von merk¬
lichen Fehlern freien Aufführung zu bringen. Man ist mit der heutigen
ganz zufrieden gewesen.

Den 7. Oel ob er. Mendelssohn kam am vorigen Freitage hier durch
auf seiner Rückreise von der Schweiz. Da er am 1. October in Berlin sein
sollte, hielt er sich nicht auf. er ward aber so dringend angegangen, das
erste Gewandhausconcert, welches Sonntag, den 2., stattfand, zu dirigiren,
daß er zu diesem schon wieder hier war. Das Orchester ist hier unter seiner
Leitung in Symphonien ganz vortrefflich, es ist eine Schärfe und Elasticität
im Ganzen, wie man sie nicht leicht wiederfindet Mendelssohn hat selbst
seine große Freude daran, will aber das Verdienst sich nicht zugeschrieben
wissen, indem, wie er sagt, in Berlin, wo so viele gute Kräfte im Einzelnen
vorhanden sind, bei alle seinem Eifer und unendlicher Mühe nichts ähn¬
liches herzustellen gewesen sei. Man hofft in Leipzig noch sehr, daß Men¬
delssohn zurückkehren werde, sicheres weiß Niemand, da er selbst noch keines¬
wegs bestimmt ist. Bei David habe ich 3 Quartetten von Schumann
gehört, die ersten, die er geschrieben, die mir sehr gefallen, ja mich in Ver¬
wunderung über sein Talent gesetzt haben, das ich mir bei Weitem nicht so
bedeutend vorgestellt hatte, nach den kleineren Claviersachen, die ich früher
von ihm kennen lernte, die gar so aphoristisch und brockenhaft waren und sich
in bloßer Sonderbarkeit gefielen. An Ungewöhnlichem in Form und Inhalt
fehlt es auch hier nicht, aber es ist mit Geist gefaßt und zusammengehalten
und recht Vieles ist sehr schön. Im Theater habe ich die Königin von
Cypern von Halevy gehört; das Buch ist unvergleichlich besser als das deutsche,
es ist nicht zu begreifen, wie Lachner es sich von dem Uebersetzer so konnte
verhunzen lassen. Der König ist hier eine handelnde, nicht blos leidende


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[0184] von 11—12, später von 3—6, und in der Direktion der Sonntagskirchen¬ musik; letztere des Morgens um 8 Uhr. Diese, habe ich heute erst angetreten- und zwar komme ich soeben daher. Ich haÄe auf den Wunsch mehrerer Freunde meine Messe mit Orchester eingeübt, und um mit dieser zu beginnen, am vorigen Sonntag den bisherigen Jnterimsdirector Potenz noch einmal zu dirigiren ersucht. Am heutigen Sonntag, als Anfang der Meßwoche, ist es gebräuchlich, das Kyrie oder Gloria der Messe zu geben; nach der ersten Orchesterprobe, die ich von meiner Messe gemacht hatte, wünschten die Mu¬ siker, daß sie das erste Mal und zu meinem Amtsantritte ganz gegeben würde, welches mir auf meine Anfrage der Superintendent auch gern zu¬ gestand; so gab ich erst 3 Sätze und nach der Epistel die übrigen. Es ist im Chor und Orchester eine sehr erfreuliche Willigkeit, ein Interesse für die Sache, welches dem Dirigenten so erleichternd entgegenkommt, daß auch ein so ungeübter und wenig geschickter als ich es wohl bin, keine schwere Aufgabe hat, etwas so schwieriges, als diese Messe ist, zur geebneten und von merk¬ lichen Fehlern freien Aufführung zu bringen. Man ist mit der heutigen ganz zufrieden gewesen. Den 7. Oel ob er. Mendelssohn kam am vorigen Freitage hier durch auf seiner Rückreise von der Schweiz. Da er am 1. October in Berlin sein sollte, hielt er sich nicht auf. er ward aber so dringend angegangen, das erste Gewandhausconcert, welches Sonntag, den 2., stattfand, zu dirigiren, daß er zu diesem schon wieder hier war. Das Orchester ist hier unter seiner Leitung in Symphonien ganz vortrefflich, es ist eine Schärfe und Elasticität im Ganzen, wie man sie nicht leicht wiederfindet Mendelssohn hat selbst seine große Freude daran, will aber das Verdienst sich nicht zugeschrieben wissen, indem, wie er sagt, in Berlin, wo so viele gute Kräfte im Einzelnen vorhanden sind, bei alle seinem Eifer und unendlicher Mühe nichts ähn¬ liches herzustellen gewesen sei. Man hofft in Leipzig noch sehr, daß Men¬ delssohn zurückkehren werde, sicheres weiß Niemand, da er selbst noch keines¬ wegs bestimmt ist. Bei David habe ich 3 Quartetten von Schumann gehört, die ersten, die er geschrieben, die mir sehr gefallen, ja mich in Ver¬ wunderung über sein Talent gesetzt haben, das ich mir bei Weitem nicht so bedeutend vorgestellt hatte, nach den kleineren Claviersachen, die ich früher von ihm kennen lernte, die gar so aphoristisch und brockenhaft waren und sich in bloßer Sonderbarkeit gefielen. An Ungewöhnlichem in Form und Inhalt fehlt es auch hier nicht, aber es ist mit Geist gefaßt und zusammengehalten und recht Vieles ist sehr schön. Im Theater habe ich die Königin von Cypern von Halevy gehört; das Buch ist unvergleichlich besser als das deutsche, es ist nicht zu begreifen, wie Lachner es sich von dem Uebersetzer so konnte verhunzen lassen. Der König ist hier eine handelnde, nicht blos leidende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/184>, abgerufen am 27.07.2024.