Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

oder nur auf Effect berechneter Production führen. "Wie rasch sind zehn
Monate vergangen! Das Publikum erinnert sich der Bilder des vorigen
Jahres noch allzugenau, und es begehrt doch etwas Neues zu sehen! Pflicht
des Künstler ist es, ihren Gönnern etwas Reizendes, noch nicht Dagewesenes
zu bieten!" Aehnliche Gedanken mögen leicht den Ehrgeizigen dahin bringen,
daß er um der augenblicklichen Gunst willen den Weg der hohen Kunst ver¬
läßt, und dem nur Gefälligen, Formgewandten aber Gedankenlosen nachgibt!
Immerhin ist es erstaunlich, wie zahlreich neben dem Verrückten und Aben¬
teuerlichen die wirklich guten und ansprechenden Bilder aus dem jährlichen
Salon sind, und namentlich welche Fülle von technischer Fertigkeit, von kühnen
Combinationen in den Farben, von Keckheit in der Wahl der Gegenstände
uns da vor Augen tritt. Wenn wir aber tiefer eindringen und wahr¬
nehmen, daß wir dabei doch kaum gemüthlich bewegt worden sind, sondern
daß nur unsere Augen oder unser Witz und Verstand gereizt und erregt
waren, so begreifen wir leicht, wie Mancher dazu verleitet wird, diese Art
von Ausstellungen überhaupt aus unserem Kunstleben verbannen zu wollen.

Da die Verzeichnisse*) der ausgestellten Werke genaue Nachrichten über
die Verfasser zu geben pflegen, so bilden sie eine wichtige Quelle für die
Geschichte der modernen Malerei und Sculptur; denn auch die Ausländer
finden wir hier vertreten, wenn auch natürlich in weit geringerer Anzahl.
So ist denn die ganze Reihe der Cataloge wieder gedruckt worden, da die
alten Exemplare selten aufzutreiben waren. -- In Zusammensetzung der zur
Prüfung der eingelieferten Arbeiten bestellten Commission hat Herr Maurice
Richard bereits eine Reform getroffen, die längst von den ausstellen¬
den Künstlern gefordert, nun allgemein willkommen geheißen worden ist.
Bisher (seit 1864) bestand folgende Einrichtung. Wahlberechtigt waren alle
Künstler, die bereits ein oder mehrere Male**) ausgestellt, welche eine Medaille,
den römischen Preis oder das Kreuz der Ehrenlegion als Belohnung ihrer
Verdienste erhalten haben. Sie hatten zwei Drittel der Jury zu wählen;
das letzte Drittel ernannte die Verwaltung direct, meist mit Hinzuziehung




-) Interessant ist folgende Zusammenstellung; die Zahl der ausgestellten Werke betrug:
1853: 1768 1861: 4097 1866: 3297
1855: 2711 1863: 2919 1867: 2745
1857: 3474 1864: 3085 1868: 4213
1859: 3887 1865: 3554 1869: 4230'
Total 39,980
Hiervon kommen auf die Malerei 30,857,- Sculptur 4982; Architektur 1055; Kupferstiche
2282; Lithographie 804, Die? Jahr sind 6684 Kunstwerke angenommen worden. --
") Ungiltig ist das "tolle" Jahr 1848. da diesmal alle eingelieferten Werke ohne Unter-
schied aufgenommen worden waren.

oder nur auf Effect berechneter Production führen. „Wie rasch sind zehn
Monate vergangen! Das Publikum erinnert sich der Bilder des vorigen
Jahres noch allzugenau, und es begehrt doch etwas Neues zu sehen! Pflicht
des Künstler ist es, ihren Gönnern etwas Reizendes, noch nicht Dagewesenes
zu bieten!" Aehnliche Gedanken mögen leicht den Ehrgeizigen dahin bringen,
daß er um der augenblicklichen Gunst willen den Weg der hohen Kunst ver¬
läßt, und dem nur Gefälligen, Formgewandten aber Gedankenlosen nachgibt!
Immerhin ist es erstaunlich, wie zahlreich neben dem Verrückten und Aben¬
teuerlichen die wirklich guten und ansprechenden Bilder aus dem jährlichen
Salon sind, und namentlich welche Fülle von technischer Fertigkeit, von kühnen
Combinationen in den Farben, von Keckheit in der Wahl der Gegenstände
uns da vor Augen tritt. Wenn wir aber tiefer eindringen und wahr¬
nehmen, daß wir dabei doch kaum gemüthlich bewegt worden sind, sondern
daß nur unsere Augen oder unser Witz und Verstand gereizt und erregt
waren, so begreifen wir leicht, wie Mancher dazu verleitet wird, diese Art
von Ausstellungen überhaupt aus unserem Kunstleben verbannen zu wollen.

Da die Verzeichnisse*) der ausgestellten Werke genaue Nachrichten über
die Verfasser zu geben pflegen, so bilden sie eine wichtige Quelle für die
Geschichte der modernen Malerei und Sculptur; denn auch die Ausländer
finden wir hier vertreten, wenn auch natürlich in weit geringerer Anzahl.
So ist denn die ganze Reihe der Cataloge wieder gedruckt worden, da die
alten Exemplare selten aufzutreiben waren. — In Zusammensetzung der zur
Prüfung der eingelieferten Arbeiten bestellten Commission hat Herr Maurice
Richard bereits eine Reform getroffen, die längst von den ausstellen¬
den Künstlern gefordert, nun allgemein willkommen geheißen worden ist.
Bisher (seit 1864) bestand folgende Einrichtung. Wahlberechtigt waren alle
Künstler, die bereits ein oder mehrere Male**) ausgestellt, welche eine Medaille,
den römischen Preis oder das Kreuz der Ehrenlegion als Belohnung ihrer
Verdienste erhalten haben. Sie hatten zwei Drittel der Jury zu wählen;
das letzte Drittel ernannte die Verwaltung direct, meist mit Hinzuziehung




-) Interessant ist folgende Zusammenstellung; die Zahl der ausgestellten Werke betrug:
1853: 1768 1861: 4097 1866: 3297
1855: 2711 1863: 2919 1867: 2745
1857: 3474 1864: 3085 1868: 4213
1859: 3887 1865: 3554 1869: 4230'
Total 39,980
Hiervon kommen auf die Malerei 30,857,- Sculptur 4982; Architektur 1055; Kupferstiche
2282; Lithographie 804, Die? Jahr sind 6684 Kunstwerke angenommen worden. —
") Ungiltig ist das „tolle" Jahr 1848. da diesmal alle eingelieferten Werke ohne Unter-
schied aufgenommen worden waren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123798"/>
          <p xml:id="ID_527" prev="#ID_526"> oder nur auf Effect berechneter Production führen. &#x201E;Wie rasch sind zehn<lb/>
Monate vergangen! Das Publikum erinnert sich der Bilder des vorigen<lb/>
Jahres noch allzugenau, und es begehrt doch etwas Neues zu sehen! Pflicht<lb/>
des Künstler ist es, ihren Gönnern etwas Reizendes, noch nicht Dagewesenes<lb/>
zu bieten!" Aehnliche Gedanken mögen leicht den Ehrgeizigen dahin bringen,<lb/>
daß er um der augenblicklichen Gunst willen den Weg der hohen Kunst ver¬<lb/>
läßt, und dem nur Gefälligen, Formgewandten aber Gedankenlosen nachgibt!<lb/>
Immerhin ist es erstaunlich, wie zahlreich neben dem Verrückten und Aben¬<lb/>
teuerlichen die wirklich guten und ansprechenden Bilder aus dem jährlichen<lb/>
Salon sind, und namentlich welche Fülle von technischer Fertigkeit, von kühnen<lb/>
Combinationen in den Farben, von Keckheit in der Wahl der Gegenstände<lb/>
uns da vor Augen tritt. Wenn wir aber tiefer eindringen und wahr¬<lb/>
nehmen, daß wir dabei doch kaum gemüthlich bewegt worden sind, sondern<lb/>
daß nur unsere Augen oder unser Witz und Verstand gereizt und erregt<lb/>
waren, so begreifen wir leicht, wie Mancher dazu verleitet wird, diese Art<lb/>
von Ausstellungen überhaupt aus unserem Kunstleben verbannen zu wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_528"> Da die Verzeichnisse*) der ausgestellten Werke genaue Nachrichten über<lb/>
die Verfasser zu geben pflegen, so bilden sie eine wichtige Quelle für die<lb/>
Geschichte der modernen Malerei und Sculptur; denn auch die Ausländer<lb/>
finden wir hier vertreten, wenn auch natürlich in weit geringerer Anzahl.<lb/>
So ist denn die ganze Reihe der Cataloge wieder gedruckt worden, da die<lb/>
alten Exemplare selten aufzutreiben waren. &#x2014; In Zusammensetzung der zur<lb/>
Prüfung der eingelieferten Arbeiten bestellten Commission hat Herr Maurice<lb/>
Richard bereits eine Reform getroffen, die längst von den ausstellen¬<lb/>
den Künstlern gefordert, nun allgemein willkommen geheißen worden ist.<lb/>
Bisher (seit 1864) bestand folgende Einrichtung. Wahlberechtigt waren alle<lb/>
Künstler, die bereits ein oder mehrere Male**) ausgestellt, welche eine Medaille,<lb/>
den römischen Preis oder das Kreuz der Ehrenlegion als Belohnung ihrer<lb/>
Verdienste erhalten haben. Sie hatten zwei Drittel der Jury zu wählen;<lb/>
das letzte Drittel ernannte die Verwaltung direct, meist mit Hinzuziehung</p><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot">
            <p xml:id="ID_529"> -) Interessant ist folgende Zusammenstellung; die Zahl der ausgestellten Werke betrug:</p>
            <list>
              <item> 1853: 1768 1861: 4097 1866: 3297</item>
              <item> 1855: 2711 1863: 2919 1867: 2745</item>
              <item> 1857: 3474 1864: 3085 1868: 4213</item>
              <item> 1859: 3887 1865: 3554 1869: 4230'</item>
              <item> Total 39,980</item>
            </list>
            <p xml:id="ID_530"> Hiervon kommen auf die Malerei 30,857,- Sculptur 4982; Architektur 1055; Kupferstiche<lb/>
2282; Lithographie 804,</p>
            <p xml:id="ID_531" next="#ID_532"> Die? Jahr sind 6684 Kunstwerke angenommen worden. &#x2014;</p>
          </note><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> ") Ungiltig ist das &#x201E;tolle" Jahr 1848. da diesmal alle eingelieferten Werke ohne Unter-<lb/>
schied aufgenommen worden waren.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] oder nur auf Effect berechneter Production führen. „Wie rasch sind zehn Monate vergangen! Das Publikum erinnert sich der Bilder des vorigen Jahres noch allzugenau, und es begehrt doch etwas Neues zu sehen! Pflicht des Künstler ist es, ihren Gönnern etwas Reizendes, noch nicht Dagewesenes zu bieten!" Aehnliche Gedanken mögen leicht den Ehrgeizigen dahin bringen, daß er um der augenblicklichen Gunst willen den Weg der hohen Kunst ver¬ läßt, und dem nur Gefälligen, Formgewandten aber Gedankenlosen nachgibt! Immerhin ist es erstaunlich, wie zahlreich neben dem Verrückten und Aben¬ teuerlichen die wirklich guten und ansprechenden Bilder aus dem jährlichen Salon sind, und namentlich welche Fülle von technischer Fertigkeit, von kühnen Combinationen in den Farben, von Keckheit in der Wahl der Gegenstände uns da vor Augen tritt. Wenn wir aber tiefer eindringen und wahr¬ nehmen, daß wir dabei doch kaum gemüthlich bewegt worden sind, sondern daß nur unsere Augen oder unser Witz und Verstand gereizt und erregt waren, so begreifen wir leicht, wie Mancher dazu verleitet wird, diese Art von Ausstellungen überhaupt aus unserem Kunstleben verbannen zu wollen. Da die Verzeichnisse*) der ausgestellten Werke genaue Nachrichten über die Verfasser zu geben pflegen, so bilden sie eine wichtige Quelle für die Geschichte der modernen Malerei und Sculptur; denn auch die Ausländer finden wir hier vertreten, wenn auch natürlich in weit geringerer Anzahl. So ist denn die ganze Reihe der Cataloge wieder gedruckt worden, da die alten Exemplare selten aufzutreiben waren. — In Zusammensetzung der zur Prüfung der eingelieferten Arbeiten bestellten Commission hat Herr Maurice Richard bereits eine Reform getroffen, die längst von den ausstellen¬ den Künstlern gefordert, nun allgemein willkommen geheißen worden ist. Bisher (seit 1864) bestand folgende Einrichtung. Wahlberechtigt waren alle Künstler, die bereits ein oder mehrere Male**) ausgestellt, welche eine Medaille, den römischen Preis oder das Kreuz der Ehrenlegion als Belohnung ihrer Verdienste erhalten haben. Sie hatten zwei Drittel der Jury zu wählen; das letzte Drittel ernannte die Verwaltung direct, meist mit Hinzuziehung -) Interessant ist folgende Zusammenstellung; die Zahl der ausgestellten Werke betrug: 1853: 1768 1861: 4097 1866: 3297 1855: 2711 1863: 2919 1867: 2745 1857: 3474 1864: 3085 1868: 4213 1859: 3887 1865: 3554 1869: 4230' Total 39,980 Hiervon kommen auf die Malerei 30,857,- Sculptur 4982; Architektur 1055; Kupferstiche 2282; Lithographie 804, Die? Jahr sind 6684 Kunstwerke angenommen worden. — ") Ungiltig ist das „tolle" Jahr 1848. da diesmal alle eingelieferten Werke ohne Unter- schied aufgenommen worden waren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/178>, abgerufen am 18.12.2024.