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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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den norddeutschen Bund, liegt heute, von der Heerstraße der Berliner Politik
weiter ab als vor zwei und vor drei Jahren und nachdem man einmal absichtlich
an ihm vorübergegangen, ist es unwahrscheinlich, daß man zu ihm zurückkehren
werde. Der von den Beziehungen zum Süden handelnde Passus der Thronrede
enthält Nichts, was zu einer Deutung in diesem Sinne berechtigte und selbst
innerhalb der liberalen Nationalpartei sind die Meinungen über diesen Punkt
höchst getheilt. So bleibt, wenn man nicht zu dem geschäftigen Müßiggang
moralischer und diplomatischer Eroberungsspielereien verurtheilt sein will,
Nichts übrig, als den Bogen, der sich nicht biegen will, zum Brechen zu
bringen. Erst aus der Nessel flagranter Gefahr kann die Blume Sicherheit
gepflückt werden. Bei der Spitze seines Unsinns ist der Particularismus noch
lange nicht angekommen und zu dieser Spitze muß er getrieben werden. Das
ist ja gerade der Fluch unserer Zustände gewesen, daß die unverwüstliche Ge¬
sundheit und Tüchtigkeit der deutschen Natur den Particularismus von den
letzten Consequenzen seiner Niedertracht zurückhielt, ihm gewisse Lichtseiten
abgewann, über seine wahre Natur täuschte und sein sieches Leben mit ihrem
Blut fristete. So jämmerlich der alte Bund auch war, gewisse äußere An-
standsrücksichten zwang er auch den der nationalen Sache feindlichsten Re¬
gierungen ab und Preußen sorgte durch den Zollverein dafür, daß die mate-
riellen Interessen des Volks von der Selbstsucht und Kurzsichtigkeit der klei¬
nen Souveräne nicht ganz ruinirt werden konnten.

Von den Verträgen, die ihm die Beachtung der elementarsten nationa¬
len Anstandsrücksichten aufzwangen und die die Nothwendigkeit einer künfti¬
gen Gesammtorganisation Deutschlands principiell anerkannten, sucht der
Süden loszukommen. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, wird sich die eigenste
Natur seiner "Patrioten" zeigen und mit der nöthigen Freiheit entwickeln
können. Welchen Grund hätten wir, diese Eventualität zu fürchten, -- was
nöthigt uns, die moralische Bankerotterklärung unverbesserlicher Gegner hin¬
zuhalten, für ihren guten Namen eine Sorge zu tragen, welche sie selbst längst
abgeworfen haben? Gebe man dem ultramontanen Altbayernthum denn endlich
die Portion Luft und Licht, nach welcher es seit einem Menschenalter seufzt,
die ihm unter Ludwig I. und Maximilian II. durch norddeutsch-protestantische
Künstler und Gelehrte, unter Ludwig II. durch norddeutsche Politiker ver-
kürzt worden sein soll! Die Herren haben ihr Lebetag alle Vortheile einer
Oppositionspartei genossen, sie haben wesentlich davon gelebt, daß sie nicht
zu handeln und verantwortlich zu sein brauchten. Sechs Monate ihres Re¬
giments würden der nationalen Sache nachhaltigere Dienste erweisen, als
ebenso viel Jahre einer Regierung, die vermitteln will, wo eine Vermittelung
nicht möglich ist. Wenn die Militärverträge gekündigt, die von der heutigen
Generation als Gespenster verlachten Zollschranken aufgerichtet sind, der


den norddeutschen Bund, liegt heute, von der Heerstraße der Berliner Politik
weiter ab als vor zwei und vor drei Jahren und nachdem man einmal absichtlich
an ihm vorübergegangen, ist es unwahrscheinlich, daß man zu ihm zurückkehren
werde. Der von den Beziehungen zum Süden handelnde Passus der Thronrede
enthält Nichts, was zu einer Deutung in diesem Sinne berechtigte und selbst
innerhalb der liberalen Nationalpartei sind die Meinungen über diesen Punkt
höchst getheilt. So bleibt, wenn man nicht zu dem geschäftigen Müßiggang
moralischer und diplomatischer Eroberungsspielereien verurtheilt sein will,
Nichts übrig, als den Bogen, der sich nicht biegen will, zum Brechen zu
bringen. Erst aus der Nessel flagranter Gefahr kann die Blume Sicherheit
gepflückt werden. Bei der Spitze seines Unsinns ist der Particularismus noch
lange nicht angekommen und zu dieser Spitze muß er getrieben werden. Das
ist ja gerade der Fluch unserer Zustände gewesen, daß die unverwüstliche Ge¬
sundheit und Tüchtigkeit der deutschen Natur den Particularismus von den
letzten Consequenzen seiner Niedertracht zurückhielt, ihm gewisse Lichtseiten
abgewann, über seine wahre Natur täuschte und sein sieches Leben mit ihrem
Blut fristete. So jämmerlich der alte Bund auch war, gewisse äußere An-
standsrücksichten zwang er auch den der nationalen Sache feindlichsten Re¬
gierungen ab und Preußen sorgte durch den Zollverein dafür, daß die mate-
riellen Interessen des Volks von der Selbstsucht und Kurzsichtigkeit der klei¬
nen Souveräne nicht ganz ruinirt werden konnten.

Von den Verträgen, die ihm die Beachtung der elementarsten nationa¬
len Anstandsrücksichten aufzwangen und die die Nothwendigkeit einer künfti¬
gen Gesammtorganisation Deutschlands principiell anerkannten, sucht der
Süden loszukommen. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, wird sich die eigenste
Natur seiner „Patrioten" zeigen und mit der nöthigen Freiheit entwickeln
können. Welchen Grund hätten wir, diese Eventualität zu fürchten, — was
nöthigt uns, die moralische Bankerotterklärung unverbesserlicher Gegner hin¬
zuhalten, für ihren guten Namen eine Sorge zu tragen, welche sie selbst längst
abgeworfen haben? Gebe man dem ultramontanen Altbayernthum denn endlich
die Portion Luft und Licht, nach welcher es seit einem Menschenalter seufzt,
die ihm unter Ludwig I. und Maximilian II. durch norddeutsch-protestantische
Künstler und Gelehrte, unter Ludwig II. durch norddeutsche Politiker ver-
kürzt worden sein soll! Die Herren haben ihr Lebetag alle Vortheile einer
Oppositionspartei genossen, sie haben wesentlich davon gelebt, daß sie nicht
zu handeln und verantwortlich zu sein brauchten. Sechs Monate ihres Re¬
giments würden der nationalen Sache nachhaltigere Dienste erweisen, als
ebenso viel Jahre einer Regierung, die vermitteln will, wo eine Vermittelung
nicht möglich ist. Wenn die Militärverträge gekündigt, die von der heutigen
Generation als Gespenster verlachten Zollschranken aufgerichtet sind, der


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[0358] den norddeutschen Bund, liegt heute, von der Heerstraße der Berliner Politik weiter ab als vor zwei und vor drei Jahren und nachdem man einmal absichtlich an ihm vorübergegangen, ist es unwahrscheinlich, daß man zu ihm zurückkehren werde. Der von den Beziehungen zum Süden handelnde Passus der Thronrede enthält Nichts, was zu einer Deutung in diesem Sinne berechtigte und selbst innerhalb der liberalen Nationalpartei sind die Meinungen über diesen Punkt höchst getheilt. So bleibt, wenn man nicht zu dem geschäftigen Müßiggang moralischer und diplomatischer Eroberungsspielereien verurtheilt sein will, Nichts übrig, als den Bogen, der sich nicht biegen will, zum Brechen zu bringen. Erst aus der Nessel flagranter Gefahr kann die Blume Sicherheit gepflückt werden. Bei der Spitze seines Unsinns ist der Particularismus noch lange nicht angekommen und zu dieser Spitze muß er getrieben werden. Das ist ja gerade der Fluch unserer Zustände gewesen, daß die unverwüstliche Ge¬ sundheit und Tüchtigkeit der deutschen Natur den Particularismus von den letzten Consequenzen seiner Niedertracht zurückhielt, ihm gewisse Lichtseiten abgewann, über seine wahre Natur täuschte und sein sieches Leben mit ihrem Blut fristete. So jämmerlich der alte Bund auch war, gewisse äußere An- standsrücksichten zwang er auch den der nationalen Sache feindlichsten Re¬ gierungen ab und Preußen sorgte durch den Zollverein dafür, daß die mate- riellen Interessen des Volks von der Selbstsucht und Kurzsichtigkeit der klei¬ nen Souveräne nicht ganz ruinirt werden konnten. Von den Verträgen, die ihm die Beachtung der elementarsten nationa¬ len Anstandsrücksichten aufzwangen und die die Nothwendigkeit einer künfti¬ gen Gesammtorganisation Deutschlands principiell anerkannten, sucht der Süden loszukommen. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, wird sich die eigenste Natur seiner „Patrioten" zeigen und mit der nöthigen Freiheit entwickeln können. Welchen Grund hätten wir, diese Eventualität zu fürchten, — was nöthigt uns, die moralische Bankerotterklärung unverbesserlicher Gegner hin¬ zuhalten, für ihren guten Namen eine Sorge zu tragen, welche sie selbst längst abgeworfen haben? Gebe man dem ultramontanen Altbayernthum denn endlich die Portion Luft und Licht, nach welcher es seit einem Menschenalter seufzt, die ihm unter Ludwig I. und Maximilian II. durch norddeutsch-protestantische Künstler und Gelehrte, unter Ludwig II. durch norddeutsche Politiker ver- kürzt worden sein soll! Die Herren haben ihr Lebetag alle Vortheile einer Oppositionspartei genossen, sie haben wesentlich davon gelebt, daß sie nicht zu handeln und verantwortlich zu sein brauchten. Sechs Monate ihres Re¬ giments würden der nationalen Sache nachhaltigere Dienste erweisen, als ebenso viel Jahre einer Regierung, die vermitteln will, wo eine Vermittelung nicht möglich ist. Wenn die Militärverträge gekündigt, die von der heutigen Generation als Gespenster verlachten Zollschranken aufgerichtet sind, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/358>, abgerufen am 29.06.2024.