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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zweifelhafter Herkunft und willkürlich getauft; die Bilder selbst haben wenig
Anziehungskraft. Nur ein einziges, die "Aussendung der Apostel durch
Christus" von Wohlgemuth (jetzt in die Münchener Frauenkirche ge¬
hörig), können wir als zweifellos dieses Namens würdig bezeichnen- Es hat
das volle Gepräge des rauhen und derben Realismus, welcher an diesem
Meister bekannt ist; die unerfreulich häßlichen Gesichter sind übrigens hier
durch Uebermalung über das gewöhnliche Maß verunstaltet. -- Und was
von der deutschen Schule, das gilt in noch höherem Grade von der flämi¬
schen. Denn unter den zahlreichen Porträts und Heiligenbildern, die uns mit
niederländischen Künstlernamen vorgestellt werden, befindet sich nur von Einem
Meister etwas wirklich Hervorragendes, und dies ist glücklicher Weise Van
Eyck. Eins von den fünf Bildern, die ihm zugeschrieben sind, steht auf ab¬
soluter Höhe. Es ist das dreiviertel nach rechts gewandte Brustbild eines
Mannes von 60 Jahren, der Kreuz und Glöckchen des Antoniusordens um
den Hals trägt; die Augen blicken grad heraus, der Mund steht halb offen,
die Hände hält er leicht geballt in die Höhe der Brust, eine Bewegung, dereri
Absicht nicht deutlich ist, nur hat er in den Fingern der Rechten drei wilde
Nelken (daher die Benennung 1'momens -r 1'oeiIIöt). Den Kopf bedeckt eine
Pelzmütze und ein Saffianband hält den Kragen des grauen Pelzrockes
zusammen.

Als das Bild vor Jahren in der Sammlung des Herrn Engels in Köln
ausgestellt war, stritt man, ob es für echt zu halten sei, und selbst heute
werden seltsamer Weise noch immer einzelne Zweifel laut. Und doch würde
es schwer sein, unter Van Eyck's sonstigen Porträts ein einziges aufzuweisen,
das so durch und durch den eigenthümlichen Charakter des Meisters trüge
und das höheren Rang verdiente, als eben dieses. Vergleicht man Van Eyck
mit Holbein, wozu hier die seltenste Gelegenheit gegeben ist, so muß man an¬
erkennen, daß es der Augsburger Meister dem niederländischen an Fleiß und
Geduld gleichthut, aber dabei wird einzuräumen sein, daß jener ohne den
Vortheil des Fortschritts, den das Jahrhundert, das ihn von Van Eyck
trennt, mit sich gebracht, wol kaum auf Einer Stufe mit diesem stehen, noch
die Meisterschaft seiner Detailmalerei erlangt haben würde. Angesichts der
hier vorliegenden Porträts von Beiden ergreift bei Holbein die wahre Pro¬
portionalität und Freiheit der Auffassung, bei Van Eyck die wunderbar
scharfe Naturbeobachtung und Genauigkeit. Van Eyck kann nicht verbergen,
wie sehr er die Sitzungen seines Originals braucht; der Alte hat die Hände
aufgehoben und hält sie so lange in dieser Weise, daß sie durch Ermüdung
zusammengezogen sind, das Antlitz hat den Grad von Starrheit, den ein
Mensch annimmt, der die Gesichtsmuekeln so wenig als irgend möglich be¬
wegen darf; der Mund ist geöffnet, damit das Athmen unmerklicher von


zweifelhafter Herkunft und willkürlich getauft; die Bilder selbst haben wenig
Anziehungskraft. Nur ein einziges, die „Aussendung der Apostel durch
Christus" von Wohlgemuth (jetzt in die Münchener Frauenkirche ge¬
hörig), können wir als zweifellos dieses Namens würdig bezeichnen- Es hat
das volle Gepräge des rauhen und derben Realismus, welcher an diesem
Meister bekannt ist; die unerfreulich häßlichen Gesichter sind übrigens hier
durch Uebermalung über das gewöhnliche Maß verunstaltet. — Und was
von der deutschen Schule, das gilt in noch höherem Grade von der flämi¬
schen. Denn unter den zahlreichen Porträts und Heiligenbildern, die uns mit
niederländischen Künstlernamen vorgestellt werden, befindet sich nur von Einem
Meister etwas wirklich Hervorragendes, und dies ist glücklicher Weise Van
Eyck. Eins von den fünf Bildern, die ihm zugeschrieben sind, steht auf ab¬
soluter Höhe. Es ist das dreiviertel nach rechts gewandte Brustbild eines
Mannes von 60 Jahren, der Kreuz und Glöckchen des Antoniusordens um
den Hals trägt; die Augen blicken grad heraus, der Mund steht halb offen,
die Hände hält er leicht geballt in die Höhe der Brust, eine Bewegung, dereri
Absicht nicht deutlich ist, nur hat er in den Fingern der Rechten drei wilde
Nelken (daher die Benennung 1'momens -r 1'oeiIIöt). Den Kopf bedeckt eine
Pelzmütze und ein Saffianband hält den Kragen des grauen Pelzrockes
zusammen.

Als das Bild vor Jahren in der Sammlung des Herrn Engels in Köln
ausgestellt war, stritt man, ob es für echt zu halten sei, und selbst heute
werden seltsamer Weise noch immer einzelne Zweifel laut. Und doch würde
es schwer sein, unter Van Eyck's sonstigen Porträts ein einziges aufzuweisen,
das so durch und durch den eigenthümlichen Charakter des Meisters trüge
und das höheren Rang verdiente, als eben dieses. Vergleicht man Van Eyck
mit Holbein, wozu hier die seltenste Gelegenheit gegeben ist, so muß man an¬
erkennen, daß es der Augsburger Meister dem niederländischen an Fleiß und
Geduld gleichthut, aber dabei wird einzuräumen sein, daß jener ohne den
Vortheil des Fortschritts, den das Jahrhundert, das ihn von Van Eyck
trennt, mit sich gebracht, wol kaum auf Einer Stufe mit diesem stehen, noch
die Meisterschaft seiner Detailmalerei erlangt haben würde. Angesichts der
hier vorliegenden Porträts von Beiden ergreift bei Holbein die wahre Pro¬
portionalität und Freiheit der Auffassung, bei Van Eyck die wunderbar
scharfe Naturbeobachtung und Genauigkeit. Van Eyck kann nicht verbergen,
wie sehr er die Sitzungen seines Originals braucht; der Alte hat die Hände
aufgehoben und hält sie so lange in dieser Weise, daß sie durch Ermüdung
zusammengezogen sind, das Antlitz hat den Grad von Starrheit, den ein
Mensch annimmt, der die Gesichtsmuekeln so wenig als irgend möglich be¬
wegen darf; der Mund ist geöffnet, damit das Athmen unmerklicher von


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[0063] zweifelhafter Herkunft und willkürlich getauft; die Bilder selbst haben wenig Anziehungskraft. Nur ein einziges, die „Aussendung der Apostel durch Christus" von Wohlgemuth (jetzt in die Münchener Frauenkirche ge¬ hörig), können wir als zweifellos dieses Namens würdig bezeichnen- Es hat das volle Gepräge des rauhen und derben Realismus, welcher an diesem Meister bekannt ist; die unerfreulich häßlichen Gesichter sind übrigens hier durch Uebermalung über das gewöhnliche Maß verunstaltet. — Und was von der deutschen Schule, das gilt in noch höherem Grade von der flämi¬ schen. Denn unter den zahlreichen Porträts und Heiligenbildern, die uns mit niederländischen Künstlernamen vorgestellt werden, befindet sich nur von Einem Meister etwas wirklich Hervorragendes, und dies ist glücklicher Weise Van Eyck. Eins von den fünf Bildern, die ihm zugeschrieben sind, steht auf ab¬ soluter Höhe. Es ist das dreiviertel nach rechts gewandte Brustbild eines Mannes von 60 Jahren, der Kreuz und Glöckchen des Antoniusordens um den Hals trägt; die Augen blicken grad heraus, der Mund steht halb offen, die Hände hält er leicht geballt in die Höhe der Brust, eine Bewegung, dereri Absicht nicht deutlich ist, nur hat er in den Fingern der Rechten drei wilde Nelken (daher die Benennung 1'momens -r 1'oeiIIöt). Den Kopf bedeckt eine Pelzmütze und ein Saffianband hält den Kragen des grauen Pelzrockes zusammen. Als das Bild vor Jahren in der Sammlung des Herrn Engels in Köln ausgestellt war, stritt man, ob es für echt zu halten sei, und selbst heute werden seltsamer Weise noch immer einzelne Zweifel laut. Und doch würde es schwer sein, unter Van Eyck's sonstigen Porträts ein einziges aufzuweisen, das so durch und durch den eigenthümlichen Charakter des Meisters trüge und das höheren Rang verdiente, als eben dieses. Vergleicht man Van Eyck mit Holbein, wozu hier die seltenste Gelegenheit gegeben ist, so muß man an¬ erkennen, daß es der Augsburger Meister dem niederländischen an Fleiß und Geduld gleichthut, aber dabei wird einzuräumen sein, daß jener ohne den Vortheil des Fortschritts, den das Jahrhundert, das ihn von Van Eyck trennt, mit sich gebracht, wol kaum auf Einer Stufe mit diesem stehen, noch die Meisterschaft seiner Detailmalerei erlangt haben würde. Angesichts der hier vorliegenden Porträts von Beiden ergreift bei Holbein die wahre Pro¬ portionalität und Freiheit der Auffassung, bei Van Eyck die wunderbar scharfe Naturbeobachtung und Genauigkeit. Van Eyck kann nicht verbergen, wie sehr er die Sitzungen seines Originals braucht; der Alte hat die Hände aufgehoben und hält sie so lange in dieser Weise, daß sie durch Ermüdung zusammengezogen sind, das Antlitz hat den Grad von Starrheit, den ein Mensch annimmt, der die Gesichtsmuekeln so wenig als irgend möglich be¬ wegen darf; der Mund ist geöffnet, damit das Athmen unmerklicher von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/63>, abgerufen am 02.10.2024.