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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Maß politischer Freiheit nicht als Ersatz für die nationale Autonomie. Sie machen
mit Freuden von den Rechten Gebrauch, welche die Decemberverfassung ihnen
gewährt, aber einzig und allein, um die Verfassung zu bekämpfen. Sie bleiben der
Reichsverfassung fern, in der Presse und den Volksversammlungen wird eine
völlig revolutionäre Sprache geführt, und in Gegenden mit gemischter Be¬
völkerung ist ohne Belagerungszustand kaum auszukommen. Hiernach bleibt
nur eine Wahl: entweder kehren wir zum Absolutismus zurück und schlagen
die nationale Opposition zu Boden, oder wir versuchen aufrichtig die Ver¬
söhnung derselben. Aus Liebhaberei wird kein vernünftiger Deutsch-Oestreicher
dem Föderalismus das Wort reden, der ohne schwere Krisen gewiß nicht
einzuführen wäre, der für einige Zeit wahrscheinlich die Culturbewegung auf¬
halten würde. Gesegnet sollte sein, wer uns einen andern Ausweg zeigte,
aber ein solcher will sich nicht finden.

Die heftigsten Gegner der Autonomie sind diejenigen Politiker, für
welche der Bestand Oestreichs überhaupt nur noch eine Frage der Zeit ist
und welche die Auflösung des Reiches in ihrem eigenen Interesse herbeisehnen,
unbekümmert um die ungeheueren Conseauenzen. welche diese haben müßte
nämlich das Vorrücken Rußlands, das Aufgehen Ungarns in einen südslavi¬
schen Staat, das Preisgeben aller der Vorposten des Deutschthums in
Böhmen, Galizien, Siebenbürgen, Krain u. s. w. So beschränkt der Ge¬
sichtskreis dieser Leute ist, dürfen sie doch immer noch eher für Politiker gelten
als jenes Gros der Liberalen, welche die Maximen der östreichischen Bureau¬
kratie als Erbschaft übernommen haben und vermeinen, dieselben mit der
Doctrin des modernen Liberalismus in Einklang bringen zu können. Allen
Respect vor den alten Bureaukraten. Ihnen steht fest, daß im Geiste
Maria Theresia's. Joseph's II. und Franz II. fortregiert werden müsse;
Oestreich ist ihnen ein deutscher Staat, und wer sich demselben nicht gutwillig
einfügen will, der muß gezwungen, gebrochen, erstickt werden; der Constitu-
tionalismus ist ihnen eine Uebergangsphase, ihr Ziel der clssxotisine edairö.
Mit ihnen läßt sich reden. Aber Geduld gehört dazu, mit Menschen zu
streiten, welche an einer fixen Idee hängen und das einzige Mittel, dieselbe
lebendig zu machen, verschmähen, die auf jeden neuen Beweis, daß ihr System
undurchführbar sei. die schnelle Antwort haben: es muß gehen, und die lieber
den Staat selbst opfern, als eine vorgefaßte Meinung. Sie nennen das
Consequenz -- ein Wort, das in der Politik, der Erfahrungswissenschaft pa>r
excellence, schon viel Unheil angerichtet hat.

In Diesen Kreisen ist hohe Entrüstung über eine Schrift, welche aus
der östreichischen Partei hervorgegangen ist, "Oestreich und die Bürg¬
schaften seines Bestandes, politische Studie von Dr. Adolph Fisch-
Hof" (Wien, Wallishausser'sche Buchhandlung). Alle Hausmittel der Jour-


Maß politischer Freiheit nicht als Ersatz für die nationale Autonomie. Sie machen
mit Freuden von den Rechten Gebrauch, welche die Decemberverfassung ihnen
gewährt, aber einzig und allein, um die Verfassung zu bekämpfen. Sie bleiben der
Reichsverfassung fern, in der Presse und den Volksversammlungen wird eine
völlig revolutionäre Sprache geführt, und in Gegenden mit gemischter Be¬
völkerung ist ohne Belagerungszustand kaum auszukommen. Hiernach bleibt
nur eine Wahl: entweder kehren wir zum Absolutismus zurück und schlagen
die nationale Opposition zu Boden, oder wir versuchen aufrichtig die Ver¬
söhnung derselben. Aus Liebhaberei wird kein vernünftiger Deutsch-Oestreicher
dem Föderalismus das Wort reden, der ohne schwere Krisen gewiß nicht
einzuführen wäre, der für einige Zeit wahrscheinlich die Culturbewegung auf¬
halten würde. Gesegnet sollte sein, wer uns einen andern Ausweg zeigte,
aber ein solcher will sich nicht finden.

Die heftigsten Gegner der Autonomie sind diejenigen Politiker, für
welche der Bestand Oestreichs überhaupt nur noch eine Frage der Zeit ist
und welche die Auflösung des Reiches in ihrem eigenen Interesse herbeisehnen,
unbekümmert um die ungeheueren Conseauenzen. welche diese haben müßte
nämlich das Vorrücken Rußlands, das Aufgehen Ungarns in einen südslavi¬
schen Staat, das Preisgeben aller der Vorposten des Deutschthums in
Böhmen, Galizien, Siebenbürgen, Krain u. s. w. So beschränkt der Ge¬
sichtskreis dieser Leute ist, dürfen sie doch immer noch eher für Politiker gelten
als jenes Gros der Liberalen, welche die Maximen der östreichischen Bureau¬
kratie als Erbschaft übernommen haben und vermeinen, dieselben mit der
Doctrin des modernen Liberalismus in Einklang bringen zu können. Allen
Respect vor den alten Bureaukraten. Ihnen steht fest, daß im Geiste
Maria Theresia's. Joseph's II. und Franz II. fortregiert werden müsse;
Oestreich ist ihnen ein deutscher Staat, und wer sich demselben nicht gutwillig
einfügen will, der muß gezwungen, gebrochen, erstickt werden; der Constitu-
tionalismus ist ihnen eine Uebergangsphase, ihr Ziel der clssxotisine edairö.
Mit ihnen läßt sich reden. Aber Geduld gehört dazu, mit Menschen zu
streiten, welche an einer fixen Idee hängen und das einzige Mittel, dieselbe
lebendig zu machen, verschmähen, die auf jeden neuen Beweis, daß ihr System
undurchführbar sei. die schnelle Antwort haben: es muß gehen, und die lieber
den Staat selbst opfern, als eine vorgefaßte Meinung. Sie nennen das
Consequenz — ein Wort, das in der Politik, der Erfahrungswissenschaft pa>r
excellence, schon viel Unheil angerichtet hat.

In Diesen Kreisen ist hohe Entrüstung über eine Schrift, welche aus
der östreichischen Partei hervorgegangen ist, „Oestreich und die Bürg¬
schaften seines Bestandes, politische Studie von Dr. Adolph Fisch-
Hof" (Wien, Wallishausser'sche Buchhandlung). Alle Hausmittel der Jour-


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[0502] Maß politischer Freiheit nicht als Ersatz für die nationale Autonomie. Sie machen mit Freuden von den Rechten Gebrauch, welche die Decemberverfassung ihnen gewährt, aber einzig und allein, um die Verfassung zu bekämpfen. Sie bleiben der Reichsverfassung fern, in der Presse und den Volksversammlungen wird eine völlig revolutionäre Sprache geführt, und in Gegenden mit gemischter Be¬ völkerung ist ohne Belagerungszustand kaum auszukommen. Hiernach bleibt nur eine Wahl: entweder kehren wir zum Absolutismus zurück und schlagen die nationale Opposition zu Boden, oder wir versuchen aufrichtig die Ver¬ söhnung derselben. Aus Liebhaberei wird kein vernünftiger Deutsch-Oestreicher dem Föderalismus das Wort reden, der ohne schwere Krisen gewiß nicht einzuführen wäre, der für einige Zeit wahrscheinlich die Culturbewegung auf¬ halten würde. Gesegnet sollte sein, wer uns einen andern Ausweg zeigte, aber ein solcher will sich nicht finden. Die heftigsten Gegner der Autonomie sind diejenigen Politiker, für welche der Bestand Oestreichs überhaupt nur noch eine Frage der Zeit ist und welche die Auflösung des Reiches in ihrem eigenen Interesse herbeisehnen, unbekümmert um die ungeheueren Conseauenzen. welche diese haben müßte nämlich das Vorrücken Rußlands, das Aufgehen Ungarns in einen südslavi¬ schen Staat, das Preisgeben aller der Vorposten des Deutschthums in Böhmen, Galizien, Siebenbürgen, Krain u. s. w. So beschränkt der Ge¬ sichtskreis dieser Leute ist, dürfen sie doch immer noch eher für Politiker gelten als jenes Gros der Liberalen, welche die Maximen der östreichischen Bureau¬ kratie als Erbschaft übernommen haben und vermeinen, dieselben mit der Doctrin des modernen Liberalismus in Einklang bringen zu können. Allen Respect vor den alten Bureaukraten. Ihnen steht fest, daß im Geiste Maria Theresia's. Joseph's II. und Franz II. fortregiert werden müsse; Oestreich ist ihnen ein deutscher Staat, und wer sich demselben nicht gutwillig einfügen will, der muß gezwungen, gebrochen, erstickt werden; der Constitu- tionalismus ist ihnen eine Uebergangsphase, ihr Ziel der clssxotisine edairö. Mit ihnen läßt sich reden. Aber Geduld gehört dazu, mit Menschen zu streiten, welche an einer fixen Idee hängen und das einzige Mittel, dieselbe lebendig zu machen, verschmähen, die auf jeden neuen Beweis, daß ihr System undurchführbar sei. die schnelle Antwort haben: es muß gehen, und die lieber den Staat selbst opfern, als eine vorgefaßte Meinung. Sie nennen das Consequenz — ein Wort, das in der Politik, der Erfahrungswissenschaft pa>r excellence, schon viel Unheil angerichtet hat. In Diesen Kreisen ist hohe Entrüstung über eine Schrift, welche aus der östreichischen Partei hervorgegangen ist, „Oestreich und die Bürg¬ schaften seines Bestandes, politische Studie von Dr. Adolph Fisch- Hof" (Wien, Wallishausser'sche Buchhandlung). Alle Hausmittel der Jour-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/502>, abgerufen am 22.07.2024.