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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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v. d. Heydt vor den Reichstag trat und für welche er mit Mühe und Noth
sechszehn Stimmen gewann, haben jener Session ihre Signatur aufgedrückt,
nicht die erfolgreichen Arbeiten, denen das neue Gewerbegesetz zu danken ist.
Als vollends die für das Zollparlament in Aussicht genommene Tarifreform
ebenfalls scheiterte, war der allgemeine Eindruck ein höchst niederschlagender.
Man mußte sich nicht nur sagen, daß nach den gemachten Erfahrungen alle
Chancen für eine Deckung des Deficits durch den Landtag fehlten, sondern
zugleich fürchten, daß die UnWahrscheinlichkeit einer Verständigung über diesen
Punkt ihre trüben Schatten auf die übrigen Vorlagen und deren Bearbeitung
werfen werde. Diese pessimistische Auffassung lag umso näher, als der
dauernde Urlaub, den Graf Bismarck genommen, der Regierung den einzigen
Hebel entzog, welcher mit Aussicht auf einigen Erfolg angelegt werden konnte,
und gleichzeitig der Annahme Vorschub geleistet wurde, daß die Herren
v. d. Heydt, v. Muster und Graf Eulenburg von dem Ministerpräsidenten
ebenso aufgegeben worden seien, wie vom Parlament,

Seitdem sind einige Monate über das Land gegangen und die Eindrücke,
unter denen man sich am Ausgang der parlamentarischen Saison trennte,
sind hier insoweit abgeblaßt, daß man die kommenden Dinge nicht mehr
ausschließlich durch das Medium ihrer Antecedentien ansieht. Das Maß der
finanziellen Forderungen, mit denen die Regierung vor das Land treten
wird, hat sich durch unerwartete oder, richtiger gesagt, nicht gehörig voraus¬
berechnete Erhöhung der Einnahmen vermindert, und wenn diese Vermin¬
derung auch nicht so beträchtlich ist, daß die veränderte Quantität den "Um¬
schlag" in eine veränderte Qualität bedeutete, so läßt sich doch absehen, daß
diese Schwierigkeiten nicht so unübersteigbar sein werden, als es vor sechs
und vor acht Monaten den Anschein hatte. Die öffentliche Meinung be¬
schäftigt sich bereits sehr viel weniger mit der Finanzfrage als mit den Vor¬
lagen, welche Graf Eulenburg und Herr v. Muster ausgearbeitet haben, um
ihre dem Abgeordnetenhause gegebenen Versprechungen einzulösen. Nicht nur
soll das gescheiterte Schulgesetz dem Hause in vermehrter und verbesserter
Auflage vorgelegt werden, die neue Kreisordnung, welche sich im vorigen
Jahre nur am Horizont zeigte und wieder verschwand, ist vollständig aus¬
gearbeitet und soll in manchen Stücken noch über die Vorlage hinausgehen,
welche unter den Auspicien des Grafen Schwerin zur Zeit der neuen Aera
begraben wurde.

Daß beide Gesetzesvorschläge zur Annahme gelangen, wird wohl auch
von den kühnsten Optimisten nicht gehofft. Die Kluft, welche zwischen den
Anschauungen des gegenwärtigen Cultusministers und der liberalen Majorität
des Hauses besteht, ist zu breit und zu tief, als daß ihre Ueberbrückung durch
ein Schulgesetz im Bereich des Wahrscheinlichen liegen könnte. Eine gewisse


v. d. Heydt vor den Reichstag trat und für welche er mit Mühe und Noth
sechszehn Stimmen gewann, haben jener Session ihre Signatur aufgedrückt,
nicht die erfolgreichen Arbeiten, denen das neue Gewerbegesetz zu danken ist.
Als vollends die für das Zollparlament in Aussicht genommene Tarifreform
ebenfalls scheiterte, war der allgemeine Eindruck ein höchst niederschlagender.
Man mußte sich nicht nur sagen, daß nach den gemachten Erfahrungen alle
Chancen für eine Deckung des Deficits durch den Landtag fehlten, sondern
zugleich fürchten, daß die UnWahrscheinlichkeit einer Verständigung über diesen
Punkt ihre trüben Schatten auf die übrigen Vorlagen und deren Bearbeitung
werfen werde. Diese pessimistische Auffassung lag umso näher, als der
dauernde Urlaub, den Graf Bismarck genommen, der Regierung den einzigen
Hebel entzog, welcher mit Aussicht auf einigen Erfolg angelegt werden konnte,
und gleichzeitig der Annahme Vorschub geleistet wurde, daß die Herren
v. d. Heydt, v. Muster und Graf Eulenburg von dem Ministerpräsidenten
ebenso aufgegeben worden seien, wie vom Parlament,

Seitdem sind einige Monate über das Land gegangen und die Eindrücke,
unter denen man sich am Ausgang der parlamentarischen Saison trennte,
sind hier insoweit abgeblaßt, daß man die kommenden Dinge nicht mehr
ausschließlich durch das Medium ihrer Antecedentien ansieht. Das Maß der
finanziellen Forderungen, mit denen die Regierung vor das Land treten
wird, hat sich durch unerwartete oder, richtiger gesagt, nicht gehörig voraus¬
berechnete Erhöhung der Einnahmen vermindert, und wenn diese Vermin¬
derung auch nicht so beträchtlich ist, daß die veränderte Quantität den „Um¬
schlag" in eine veränderte Qualität bedeutete, so läßt sich doch absehen, daß
diese Schwierigkeiten nicht so unübersteigbar sein werden, als es vor sechs
und vor acht Monaten den Anschein hatte. Die öffentliche Meinung be¬
schäftigt sich bereits sehr viel weniger mit der Finanzfrage als mit den Vor¬
lagen, welche Graf Eulenburg und Herr v. Muster ausgearbeitet haben, um
ihre dem Abgeordnetenhause gegebenen Versprechungen einzulösen. Nicht nur
soll das gescheiterte Schulgesetz dem Hause in vermehrter und verbesserter
Auflage vorgelegt werden, die neue Kreisordnung, welche sich im vorigen
Jahre nur am Horizont zeigte und wieder verschwand, ist vollständig aus¬
gearbeitet und soll in manchen Stücken noch über die Vorlage hinausgehen,
welche unter den Auspicien des Grafen Schwerin zur Zeit der neuen Aera
begraben wurde.

Daß beide Gesetzesvorschläge zur Annahme gelangen, wird wohl auch
von den kühnsten Optimisten nicht gehofft. Die Kluft, welche zwischen den
Anschauungen des gegenwärtigen Cultusministers und der liberalen Majorität
des Hauses besteht, ist zu breit und zu tief, als daß ihre Ueberbrückung durch
ein Schulgesetz im Bereich des Wahrscheinlichen liegen könnte. Eine gewisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/50>, abgerufen am 22.07.2024.