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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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wenn dann berichtet ward, daß diese Nacheiferer des großen Kunstrichters
bei ihren kritischen Kampf- und Wagestücken ihr Geschoß zuweilen ziellos ins
Blaue entsendeten, so durfte er auch daran kein ernstliches Aergerniß neh¬
men. Scharf und verletzend mußten ihn aber die Xenien treffen, in welchen
einzelne Sätze aus seinem Werke über "die Griechen und Römer" mit sati¬
rischer Lust unbarmherzig parodirt wurden. Sie bilden eine reiche Gruppe
(von Nro. 320--331); der kühne Witz des Dichters feiert hier die schönsten
Triumphe. Das angeblich Uebertnebene oder Abgeschmackte der Schlegel-
schen Behauptungen wird mit sinnlicher Anschaulichkeit dem Leser vors Auge
geführt; ich erinnere beispielsweise nur an den mit erleichterter Brust aus
der Tragödie hinweghüpfenden Griechen (326); -- der prägnante bildliche
Ausdruck, der in dieser Tenienreihe vorherrscht, reizt und befriedigt die Auf¬
merksamkeit in ungewöhnlichem Grade; der Poet hat die Stacheln seiner
Verse so fein und scharf zugespitzt, als ob er recht geflissentlich dafür Sorge
tragen wollte, daß sie sich der Erinnerung der Hörer so tief und fest wie
möglich einsenkten; und so konnte es denn auch nicht ausbleiben, daß der
Spruch über die mit so kurzem Gedärm versehenen geschwindschreibenden
Sonntagskinder alsbald zu dem Ansehen einer sprichwörtlichen Wahrheit
gelangte.

Aber ich will hier nicht Schiller als den Meister der epigrammatischen
Kunst preisen, obschon ich glaube, daß er als solcher noch nicht den verdien¬
ten Kranz empfangen hat. Hier sei nur die Frage in Betracht gezogen, ob
damals dem kaum veröffentlichten Buche Friedrich Schlegel's ein solcher ver¬
vielfältigter satirischer Bewillkommnungsgruß gebührte.

Zuversichtlich darf man antworten: nein! Grade bei Schiller und dessen


Parodie erfordert, so eng wie möglich ein. Wenn z. B. im Züenion 343 Achilles sich nach dem
alten Peleus^Gleim erkundigt: Melde mir auch, ob du Kunde vom alten Peleus vernähmest,
Ob er noch weit geehrt in den Kalendern sich liest? --
so citiren die Erklärer dazu die steifen gravitätischen Verse der spätern Vosstschcn Uebersetzung: soge mir auch, was von Peleus, dem Tadellosen, du hörtest:
Ob er annoch ehrvoll bei den Myrmidonen gebietet?
Diese Erklärer mußten also annehmen, daß Schiller ganz zwecklos, oder vielmehr seinem
Zwecke geradezu entgegen, die Verse zum Behufe seuzer Parodie erst selbst übersetzt habe.
Aber nein, er gibt ganz genau die alten Vossischnr Verse wieder: Melde mir auch, wo du Kunde vom großen Peleus vernähmest.
Ob er noch weitgcehrt die Myramidonen beherrsche.
Schiller ließ die späteren Vosstschcn Arbeiten nicht gelten, nur die alte "Obusses" hielt er
stets lieb und werth; (an Körner 4, 79) an dies herrliche und liebliche Meisterstück deutscher
Sprache nud Kunst knüpften sich für ihn, wie wir aus dem Briefwechsel zwischen Schiller und
Lotte wissen, die schönsten Erinnerungen aus dem Sommer 1788. (vgl. an Körner 1, 336).

wenn dann berichtet ward, daß diese Nacheiferer des großen Kunstrichters
bei ihren kritischen Kampf- und Wagestücken ihr Geschoß zuweilen ziellos ins
Blaue entsendeten, so durfte er auch daran kein ernstliches Aergerniß neh¬
men. Scharf und verletzend mußten ihn aber die Xenien treffen, in welchen
einzelne Sätze aus seinem Werke über „die Griechen und Römer" mit sati¬
rischer Lust unbarmherzig parodirt wurden. Sie bilden eine reiche Gruppe
(von Nro. 320—331); der kühne Witz des Dichters feiert hier die schönsten
Triumphe. Das angeblich Uebertnebene oder Abgeschmackte der Schlegel-
schen Behauptungen wird mit sinnlicher Anschaulichkeit dem Leser vors Auge
geführt; ich erinnere beispielsweise nur an den mit erleichterter Brust aus
der Tragödie hinweghüpfenden Griechen (326); — der prägnante bildliche
Ausdruck, der in dieser Tenienreihe vorherrscht, reizt und befriedigt die Auf¬
merksamkeit in ungewöhnlichem Grade; der Poet hat die Stacheln seiner
Verse so fein und scharf zugespitzt, als ob er recht geflissentlich dafür Sorge
tragen wollte, daß sie sich der Erinnerung der Hörer so tief und fest wie
möglich einsenkten; und so konnte es denn auch nicht ausbleiben, daß der
Spruch über die mit so kurzem Gedärm versehenen geschwindschreibenden
Sonntagskinder alsbald zu dem Ansehen einer sprichwörtlichen Wahrheit
gelangte.

Aber ich will hier nicht Schiller als den Meister der epigrammatischen
Kunst preisen, obschon ich glaube, daß er als solcher noch nicht den verdien¬
ten Kranz empfangen hat. Hier sei nur die Frage in Betracht gezogen, ob
damals dem kaum veröffentlichten Buche Friedrich Schlegel's ein solcher ver¬
vielfältigter satirischer Bewillkommnungsgruß gebührte.

Zuversichtlich darf man antworten: nein! Grade bei Schiller und dessen


Parodie erfordert, so eng wie möglich ein. Wenn z. B. im Züenion 343 Achilles sich nach dem
alten Peleus^Gleim erkundigt: Melde mir auch, ob du Kunde vom alten Peleus vernähmest,
Ob er noch weit geehrt in den Kalendern sich liest? —
so citiren die Erklärer dazu die steifen gravitätischen Verse der spätern Vosstschcn Uebersetzung: soge mir auch, was von Peleus, dem Tadellosen, du hörtest:
Ob er annoch ehrvoll bei den Myrmidonen gebietet?
Diese Erklärer mußten also annehmen, daß Schiller ganz zwecklos, oder vielmehr seinem
Zwecke geradezu entgegen, die Verse zum Behufe seuzer Parodie erst selbst übersetzt habe.
Aber nein, er gibt ganz genau die alten Vossischnr Verse wieder: Melde mir auch, wo du Kunde vom großen Peleus vernähmest.
Ob er noch weitgcehrt die Myramidonen beherrsche.
Schiller ließ die späteren Vosstschcn Arbeiten nicht gelten, nur die alte „Obusses" hielt er
stets lieb und werth; (an Körner 4, 79) an dies herrliche und liebliche Meisterstück deutscher
Sprache nud Kunst knüpften sich für ihn, wie wir aus dem Briefwechsel zwischen Schiller und
Lotte wissen, die schönsten Erinnerungen aus dem Sommer 1788. (vgl. an Körner 1, 336).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/462>, abgerufen am 02.10.2024.