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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zwar alle Welt weih, daß es zwischen der Regierung und der Opposition
zu harten Stößen kommen muß, Niemand aber anzugeben vermag, welche
Verhandlungsgegenstände eigentlich die kritischen und für den Charakter der
Session entscheidenden sein werden. Nur auf einem Gebiet wissen die Geg¬
ner der Regierung mehr, als was sie nicht wollen, -- auf dem volkswirth-
schaftlichen -- aber gerade hier hat der Kaiser die öffentliche Meinung von
ganz Europa auf seiner Seite. Herr Pouyer-Quertier hat Anstalten ge¬
macht die protectionistische Agitation im großen Stil zu betreiben und die
Arbeiter, auf deren Zufriedenheit das Kaiserreich stets ein besonderes Ge¬
wicht gelegt hat, mit hineinzuziehen. Nichts destoweniger wird dieser rührige
Agitator kaum mehr fertig bringen, als dem Kaiser einen Triumph zu be¬
reiten und die Nation daran zu erinnern, daß sie dem Mann, dessen Hand
seit zwanzig Jahren auf ihrem Nacken ruht, wenigstens in volkswirthschaft-
licher Rücksicht zu Dank verpflichtet ist. -- Zunächst hat die protectionistische
Bewegung in Frankreich über den Canal hinübergewirkt und auch hier die
Anhänger der beiden feindlichen Handelssysteme dazu veranlaßt, die bisher
gewonnenen Resultate kritischer Revision zu unterziehen. --

Frankreichs auswärtige Politik hat während der Amtsdauer des
Fürsten Latour d'Auvergne kaum etwas von sich hören lassen. Wohl werden
die verschiedensten Gerüchte über des Fürsten Verhalten in dem türkisch-
egyptischen Conflict colportirt, wohl wird von Freunden und Feinden ver¬
sichert, General Fleury arbeite in Petersburg an dem Abschluß einer gegen
Preußen und Oestreich gerichteten Alliance, wohl hat die "Moskau'sche Zeitung"
sich in den letzten Tagen aus Paris schreiben lassen, Frankreichs und Ru߬
lands vereinte Bemühungen hätten die Unwirksamkeit des Abkommens be¬
wirkt, welches Oestreich und die Pfordte über eine Besetzung Montenegros
getroffen, aber all' diese Nachrichten entbehren der festen Grundlage und die
öffentlichen Handlungen der französischen Diplomatie haben zu keinerlei
Schlüssen auf eine veränderte Haltung dieses Staats Ursache gegeben. Der
Gedanke an eine auswärtige Diversion würde im gegenwärtigen Augenblick
nur dazu führen, all' die disparaten Elemente des arti-imperialistischen Libe¬
ralismus und Radikalismus auf einen Punkt zu sammeln und schon aus
diesem Grunde ist wenig wahrscheinlich, daß der Kaiser ohne jede äußere
Nöthigung den gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer diplomatischen Schwenkung
von größerer Tragweite ausersehen haben sollte.

Die Sendung des General Fleury nach Petersburg und die Wichtigkeit,
welche die Moskaner Presse der Ernennung dieses Gesandten zuschrieb, haben
zu all' den Conjeeturen über eine französisch - russische Alliance Veranlassung
gegeben, welche durch die Luft schwirren. Aber gerade im gegenwärtigen
Augenblick verräth Rußland wenig Neigung, sich auf Unternehmungen im


zwar alle Welt weih, daß es zwischen der Regierung und der Opposition
zu harten Stößen kommen muß, Niemand aber anzugeben vermag, welche
Verhandlungsgegenstände eigentlich die kritischen und für den Charakter der
Session entscheidenden sein werden. Nur auf einem Gebiet wissen die Geg¬
ner der Regierung mehr, als was sie nicht wollen, — auf dem volkswirth-
schaftlichen — aber gerade hier hat der Kaiser die öffentliche Meinung von
ganz Europa auf seiner Seite. Herr Pouyer-Quertier hat Anstalten ge¬
macht die protectionistische Agitation im großen Stil zu betreiben und die
Arbeiter, auf deren Zufriedenheit das Kaiserreich stets ein besonderes Ge¬
wicht gelegt hat, mit hineinzuziehen. Nichts destoweniger wird dieser rührige
Agitator kaum mehr fertig bringen, als dem Kaiser einen Triumph zu be¬
reiten und die Nation daran zu erinnern, daß sie dem Mann, dessen Hand
seit zwanzig Jahren auf ihrem Nacken ruht, wenigstens in volkswirthschaft-
licher Rücksicht zu Dank verpflichtet ist. — Zunächst hat die protectionistische
Bewegung in Frankreich über den Canal hinübergewirkt und auch hier die
Anhänger der beiden feindlichen Handelssysteme dazu veranlaßt, die bisher
gewonnenen Resultate kritischer Revision zu unterziehen. —

Frankreichs auswärtige Politik hat während der Amtsdauer des
Fürsten Latour d'Auvergne kaum etwas von sich hören lassen. Wohl werden
die verschiedensten Gerüchte über des Fürsten Verhalten in dem türkisch-
egyptischen Conflict colportirt, wohl wird von Freunden und Feinden ver¬
sichert, General Fleury arbeite in Petersburg an dem Abschluß einer gegen
Preußen und Oestreich gerichteten Alliance, wohl hat die „Moskau'sche Zeitung"
sich in den letzten Tagen aus Paris schreiben lassen, Frankreichs und Ru߬
lands vereinte Bemühungen hätten die Unwirksamkeit des Abkommens be¬
wirkt, welches Oestreich und die Pfordte über eine Besetzung Montenegros
getroffen, aber all' diese Nachrichten entbehren der festen Grundlage und die
öffentlichen Handlungen der französischen Diplomatie haben zu keinerlei
Schlüssen auf eine veränderte Haltung dieses Staats Ursache gegeben. Der
Gedanke an eine auswärtige Diversion würde im gegenwärtigen Augenblick
nur dazu führen, all' die disparaten Elemente des arti-imperialistischen Libe¬
ralismus und Radikalismus auf einen Punkt zu sammeln und schon aus
diesem Grunde ist wenig wahrscheinlich, daß der Kaiser ohne jede äußere
Nöthigung den gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer diplomatischen Schwenkung
von größerer Tragweite ausersehen haben sollte.

Die Sendung des General Fleury nach Petersburg und die Wichtigkeit,
welche die Moskaner Presse der Ernennung dieses Gesandten zuschrieb, haben
zu all' den Conjeeturen über eine französisch - russische Alliance Veranlassung
gegeben, welche durch die Luft schwirren. Aber gerade im gegenwärtigen
Augenblick verräth Rußland wenig Neigung, sich auf Unternehmungen im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/438>, abgerufen am 24.08.2024.