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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Verständige muß besonders liebenswerth oder bedeutend sein, natürlich in
Farbe und Kraft immer so abgestuft, daß er den Helden nicht in Schatten
stellt, er muß seine Bedeutung darin erweisen, daß er dem Haupthelden
allerdings starke Bewegung aufregt, nur nicht die beabsichtigte. -- Für diese
Art von Charakteren geben die Griechen die besten Vorbilder: Jsmene,
Teiresias.

Die Bestandtheile des Dramas, welche ohne wesentlichen Verlust für
die Haupthandlung wegbleiben oder durch starke Kürzungen in ihre richtige
Stellung zurückgeführt werden können, sind dem dramatischen Leben des
Stückes nicht ein Ueberfluß, sondern eine Beengung, denn sie beschränken
den Raum, welchen die inneren Bewegungen des Hauptcharakters in Anspruch
nehmen sollten.

Die Charaktere der Hauptpersonen sind für eine starke Bühnenwirkung
scharf gezeichnet, heben sich in einfachen Umrissen gut von einander ab und
geben sämmtlich Rollen, welche sicher sind, daß der Schauspieler sie versteht
und selbst bei nur mäßigen Mitteln zur Geltung bringt. Dieser Vorzug
scharfer Conturen von einfachem Schwunge wird sicher dem Stück das Interesse
der Darsteller zuwenden und den Erfolg auf der Bühne sichern, soweit dieser von
heimischem Stoff und wirksamen, leicht faßlichen Rollen abhängt. Weit
obenan steht die Hauptgestalt, Gräfin Theta, stolz, gebieterisch, eine strengt,
aber wohlmeinende Tyrannin von fürchterlicher Härte und Festigkeit des
Willens; daneben die beiden Töchter, von denen Gela die sanften Contrast¬
farben, Almuth ihrer Mutter an Energie und Empfindung des Willens ähn¬
lich, dieselbe Anlage in hellerem Tone darstellt. Dann der junge Günstling
Engelmann, ein etwas verwöhntes Kind des Glücks, aber eine wackere Helden¬
gestalt, und der frivole, leichtherzige, Alles bespöttelnde Oldenburger, eine be¬
sonders wirksame, keck gezeichnete Gestalt. An diese Gruppe schließen sich als
Nebenfiguren die beiden Söhne der Gräfin, der schwache geckenhafte Enno
und der gutgeartete junge Eduard in den entsprechenden Farben. Man be¬
greift völlig, wie die Kinder dieser Mutter so geworden sind. Ganz vor¬
trefflich ist die Schilderung der verschiedenen Häuptlingscharaktere, zumal des
schlechten, intriguanten Gerd.

Nur fehlt dieser guten und ächt poetischen Disposition der Charaktere
Eins zur vollen Wirkung. Die Hauptperson, die Gräfin, wandelt mit ein¬
töniger Starrheit durch das ganze Stück, befehlend, ohne auf Einrede zu
hören, rücksichtslos heischend, gehärtet durch jeden Widerstand gegen ihren
Willen. Dieser Art von Consequenz fehlt, was den Charakter uns fesselnd
macht; alle Ereignisse und Schläge des Schicksals prallen an ihr ab bis zu
den letzten Schlußversen, wo ihre Thränen doch nicht ausreichen, Sühne und
letzte Erhebung zu geben. Wenn die Griechen vorschrieben, daß der Haupt-


Verständige muß besonders liebenswerth oder bedeutend sein, natürlich in
Farbe und Kraft immer so abgestuft, daß er den Helden nicht in Schatten
stellt, er muß seine Bedeutung darin erweisen, daß er dem Haupthelden
allerdings starke Bewegung aufregt, nur nicht die beabsichtigte. — Für diese
Art von Charakteren geben die Griechen die besten Vorbilder: Jsmene,
Teiresias.

Die Bestandtheile des Dramas, welche ohne wesentlichen Verlust für
die Haupthandlung wegbleiben oder durch starke Kürzungen in ihre richtige
Stellung zurückgeführt werden können, sind dem dramatischen Leben des
Stückes nicht ein Ueberfluß, sondern eine Beengung, denn sie beschränken
den Raum, welchen die inneren Bewegungen des Hauptcharakters in Anspruch
nehmen sollten.

Die Charaktere der Hauptpersonen sind für eine starke Bühnenwirkung
scharf gezeichnet, heben sich in einfachen Umrissen gut von einander ab und
geben sämmtlich Rollen, welche sicher sind, daß der Schauspieler sie versteht
und selbst bei nur mäßigen Mitteln zur Geltung bringt. Dieser Vorzug
scharfer Conturen von einfachem Schwunge wird sicher dem Stück das Interesse
der Darsteller zuwenden und den Erfolg auf der Bühne sichern, soweit dieser von
heimischem Stoff und wirksamen, leicht faßlichen Rollen abhängt. Weit
obenan steht die Hauptgestalt, Gräfin Theta, stolz, gebieterisch, eine strengt,
aber wohlmeinende Tyrannin von fürchterlicher Härte und Festigkeit des
Willens; daneben die beiden Töchter, von denen Gela die sanften Contrast¬
farben, Almuth ihrer Mutter an Energie und Empfindung des Willens ähn¬
lich, dieselbe Anlage in hellerem Tone darstellt. Dann der junge Günstling
Engelmann, ein etwas verwöhntes Kind des Glücks, aber eine wackere Helden¬
gestalt, und der frivole, leichtherzige, Alles bespöttelnde Oldenburger, eine be¬
sonders wirksame, keck gezeichnete Gestalt. An diese Gruppe schließen sich als
Nebenfiguren die beiden Söhne der Gräfin, der schwache geckenhafte Enno
und der gutgeartete junge Eduard in den entsprechenden Farben. Man be¬
greift völlig, wie die Kinder dieser Mutter so geworden sind. Ganz vor¬
trefflich ist die Schilderung der verschiedenen Häuptlingscharaktere, zumal des
schlechten, intriguanten Gerd.

Nur fehlt dieser guten und ächt poetischen Disposition der Charaktere
Eins zur vollen Wirkung. Die Hauptperson, die Gräfin, wandelt mit ein¬
töniger Starrheit durch das ganze Stück, befehlend, ohne auf Einrede zu
hören, rücksichtslos heischend, gehärtet durch jeden Widerstand gegen ihren
Willen. Dieser Art von Consequenz fehlt, was den Charakter uns fesselnd
macht; alle Ereignisse und Schläge des Schicksals prallen an ihr ab bis zu
den letzten Schlußversen, wo ihre Thränen doch nicht ausreichen, Sühne und
letzte Erhebung zu geben. Wenn die Griechen vorschrieben, daß der Haupt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/40>, abgerufen am 22.07.2024.