Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.sich veranlaßt fand, den Verdacht der eignen Autorschaft seines Textes von "Einer meiner besten Freunde", schreibt Winckelmann den 9. Januar 1768, Diese Gelehrteneristenzen hatten indeß auch ihre Schattenseiten. In sich veranlaßt fand, den Verdacht der eignen Autorschaft seines Textes von „Einer meiner besten Freunde", schreibt Winckelmann den 9. Januar 1768, Diese Gelehrteneristenzen hatten indeß auch ihre Schattenseiten. In <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122137"/> <p xml:id="ID_1065" prev="#ID_1064"> sich veranlaßt fand, den Verdacht der eignen Autorschaft seines Textes von<lb/> sich abzuwenden. Piranesi, nicht zufrieden mit dem Ruhm seiner Nadel und<lb/> seines Grabstichels, eignete sich auch die Abhandlungen zu, die ihm solche gefällige<lb/> Leute, wie Monsignor Bottari machten und die er selbst kaum lesen konnte. Pa-<lb/> ciandi's Korrespondenz mit dem Grafen Caylus zeigt die Hingebung, die er<lb/> für eine fremde Sammlung bereit war aufzuwenden — er bediente den Grafen eifri¬<lb/> ger als dieser wahrscheinlich sich selbst bedient haben wurde, aber sie zeigt auch,<lb/> wieviel von der Gelehrsamkeit dieses Piemontesen (der später die Bibliothek<lb/> zu Parma in wenigen Jahren aus dem Nichts schuf) in den vierten bis<lb/> sechsten Band des liveue-it ä'lmtiizuit^s übergegangen ist. Der Jesuit Con-<lb/> tucci gab dem bekannten Sammler und Cicerone Francesco de' Ficorom,<lb/> der ein halbes Jahrhundert lang der Mittelpunkt der Alterthumskrämerei<lb/> in Rom war. alles gelehrte Material zu seinen zahlreichen Publicationen<lb/> über Theatermasken, Gemmen, römische Topographie u. s. w. Allerdings<lb/> war der arme Ficoroni dankbar dafür in einer Weise, daß. wohl wenige<lb/> Archäologen ihm gegenüber mit ihren Adversarien gegeizt hätten, da er solche<lb/> Gegengaben zur Verfügung hatte, wie die palestrinensische Cista. Jener<lb/> Contucci war zu seiner Zeit das Orakel der Antiquare in und außerhalb<lb/> Roms, und alle Campagnolen kannten seine Zelle im Kollegium des heiligen<lb/> Ignazius und brachten ihm zuerst ihre Funde, weil er, wenn auch nicht<lb/> glänzend, doch gleich bezahlte und ohae zu handeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1066"> „Einer meiner besten Freunde", schreibt Winckelmann den 9. Januar 1768,<lb/> „ist der Pater Contucci, Aufseher des Kircherschen Museums. Er ist ein Mann<lb/> von siebzig Jahren, von großer Gelehrsamkeit, der dieses, wie die Italiener<lb/> vor andern Nationen voraus hat, daß er nicht die Eitelkeit hat, ein Schrift¬<lb/> steller zu werden, sondern er theilt mit was er hat und weiß. Die Bekannt¬<lb/> schaft mit diesem Manne ist mir nicht allein nützlich, sondern auch sehr<lb/> rühmlich. Denn er hat seit vielen Jahren alle Sonntag eine Unterredung des<lb/> Abends mit einem gewissen Prälaten Baldani gehalten, welcher für denjenigen<lb/> gehalten wird, der den größten Verstand in Rom hat. Dies will unendlich<lb/> viel sagen. Die Unterredung geht allein auf die Alterthümer, und was sie<lb/> geredet, ist bisher unter ihnen beiden geblieben. Ich bin vor einiger Zeit<lb/> der Dritte geworden, durch einen freiwilligen Antrag des Prälaten, mit den<lb/> Worten: Mein Freund, Ihr sollt, wenn Ihr wollt, der Dritte sein."</p><lb/> <p xml:id="ID_1067" next="#ID_1068"> Diese Gelehrteneristenzen hatten indeß auch ihre Schattenseiten. In<lb/> Rom sagt man, in gewissem Sinn mit Recht, daß jeder Laie eigentlich<lb/> seinen Beruf verfehlt habe; aber wieviel Berufe, in höherem Sinn, gehen<lb/> in der geistlichen Carriere unter! Talente, Kenntnisse, Leistungen, auf<lb/> die sich anderwärts eine angemessene und ausgezeichnete Stellung grün¬<lb/> den würde, sind hier zurückgedrängt auf Mußestunden und Villeggiaturen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
sich veranlaßt fand, den Verdacht der eignen Autorschaft seines Textes von
sich abzuwenden. Piranesi, nicht zufrieden mit dem Ruhm seiner Nadel und
seines Grabstichels, eignete sich auch die Abhandlungen zu, die ihm solche gefällige
Leute, wie Monsignor Bottari machten und die er selbst kaum lesen konnte. Pa-
ciandi's Korrespondenz mit dem Grafen Caylus zeigt die Hingebung, die er
für eine fremde Sammlung bereit war aufzuwenden — er bediente den Grafen eifri¬
ger als dieser wahrscheinlich sich selbst bedient haben wurde, aber sie zeigt auch,
wieviel von der Gelehrsamkeit dieses Piemontesen (der später die Bibliothek
zu Parma in wenigen Jahren aus dem Nichts schuf) in den vierten bis
sechsten Band des liveue-it ä'lmtiizuit^s übergegangen ist. Der Jesuit Con-
tucci gab dem bekannten Sammler und Cicerone Francesco de' Ficorom,
der ein halbes Jahrhundert lang der Mittelpunkt der Alterthumskrämerei
in Rom war. alles gelehrte Material zu seinen zahlreichen Publicationen
über Theatermasken, Gemmen, römische Topographie u. s. w. Allerdings
war der arme Ficoroni dankbar dafür in einer Weise, daß. wohl wenige
Archäologen ihm gegenüber mit ihren Adversarien gegeizt hätten, da er solche
Gegengaben zur Verfügung hatte, wie die palestrinensische Cista. Jener
Contucci war zu seiner Zeit das Orakel der Antiquare in und außerhalb
Roms, und alle Campagnolen kannten seine Zelle im Kollegium des heiligen
Ignazius und brachten ihm zuerst ihre Funde, weil er, wenn auch nicht
glänzend, doch gleich bezahlte und ohae zu handeln.
„Einer meiner besten Freunde", schreibt Winckelmann den 9. Januar 1768,
„ist der Pater Contucci, Aufseher des Kircherschen Museums. Er ist ein Mann
von siebzig Jahren, von großer Gelehrsamkeit, der dieses, wie die Italiener
vor andern Nationen voraus hat, daß er nicht die Eitelkeit hat, ein Schrift¬
steller zu werden, sondern er theilt mit was er hat und weiß. Die Bekannt¬
schaft mit diesem Manne ist mir nicht allein nützlich, sondern auch sehr
rühmlich. Denn er hat seit vielen Jahren alle Sonntag eine Unterredung des
Abends mit einem gewissen Prälaten Baldani gehalten, welcher für denjenigen
gehalten wird, der den größten Verstand in Rom hat. Dies will unendlich
viel sagen. Die Unterredung geht allein auf die Alterthümer, und was sie
geredet, ist bisher unter ihnen beiden geblieben. Ich bin vor einiger Zeit
der Dritte geworden, durch einen freiwilligen Antrag des Prälaten, mit den
Worten: Mein Freund, Ihr sollt, wenn Ihr wollt, der Dritte sein."
Diese Gelehrteneristenzen hatten indeß auch ihre Schattenseiten. In
Rom sagt man, in gewissem Sinn mit Recht, daß jeder Laie eigentlich
seinen Beruf verfehlt habe; aber wieviel Berufe, in höherem Sinn, gehen
in der geistlichen Carriere unter! Talente, Kenntnisse, Leistungen, auf
die sich anderwärts eine angemessene und ausgezeichnete Stellung grün¬
den würde, sind hier zurückgedrängt auf Mußestunden und Villeggiaturen.
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