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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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seiner unglücklichen College" mit einer Fluth von schamlosen Libellen, dieser,
je härter man dagegen zu verfahren drohte, mit desto größerem Behagen fa-
bricirte und in die Oeffentlichkeit brachte. Gab ihm der Senat e^n solches
Pamphlet mit Entrüstung und Drohung zurück, so schickte er wohl umgehend
fünf neue ein und versicherte, daß er noch mehr besitze und durch den Druck
bereits für ihre Bekanntmachung gesorgt habe. Er konnte es ungestraft wagen,
denn er wußte wohl, daß man nichts Ernstliches unternehmen werde. Durch
seine eminenten Talente in der Mitte eines Collegiums, welches der französische
Marschall Noailles mit Recht als einen Haufen von Hasenfüßen, Schwach¬
köpfen und Verräthern bezeichnet hatte, war er Allen überlegen und beherrschte
Alles. Er wußte ganz genau um jeden schmutzigen Handel, um jede Be¬
stechung, jeden Unterschleif, jede Rechtsverletzung eines Jeden und war dazu
noch bis in die tiefste Tiefe des ebenso wenig erbaulichen Privatlebens Aller
eingeweiht. Dazu besaß er durch seinen Bruder, den Reichshofrath, der die
Frankfurter Zustände und Menschen gründlich kannte und verachtete, einen
wanstigen Rückhalt in Wien, und so weit reichte denn damals doch noch
immer die kaiserliche Machtvollkommenheit, daß sie, wie Frankfurt und an¬
dere Reichsstädte mehr als einmal erfahren mußten, mit hartes und vor Allem
und unersättlich geldgieriger Faust eingreifen konnte. Die Drohung mit
einer kaiserlichen Jmmediatcommission machte auch die hartgesottensten
Schurken zittern, besonders da man Senckenberg wenigstens in seiner amtlichen
Stellung eine gewisse Integrität zugestehen mußte. Dies hinderte aber nicht,
daß er nicht außerdem die schwersten Criminalverbrechen beging und auch
dabei auf seine Unantastbarkeit pochte. In einem schmutzigen Processe mit
einer seiner Dienstmägde fabricirte er ein falsches Protocoll mit unter¬
geschobenen eidlichen Zeugenaussagen. Als dies entdeckt und durch Rechts¬
spruch constatirt wurde, wagte der Senat doch nicht, irgend eine Strafe an
ihm zu vollziehen, ja er suspendirte ihn nicht einmal förmlich. Erst zwölf
Jahre später, 1769, nach dem Tode seines Bruders, des Reichshofraths,
brachte ein neues Libell, in welchem er dem Rath wieder vorgeworfen, daß
Beschützung von Verfälschungen jeder Art, Nichtbestrafung der Meineide, Er¬
kaufung der Stimmen, Bestechung von Juristenfaeultäten ganz gewöhnliche
Dinge in ihm seien, ihm Verderben. Jetzt ging man endlich gegen ihn vor
und setzte ihn, aber unter den schonendsten Formen, gefangen. In dieser Ge¬
fangenschaft blieb er, tobend und drohend wie bisher, aber mehr und mehr
unbeachtet bis zum Jahre 1796, wo er als 78 jähriger Greis starb. Zur
Charakteristik der frankfurtischen oder deutschen Rechtszustände der Zeit sei noch
hinzugefügt, daß jene unglückliche Person, zu deren Schaden er nicht blos ein
Protocoll gefälscht, sondern noch andere, ebenso nichtswürdige Intriguen ge¬
sponnen hatte, trotz der klar bewiesenen Schuld Senckenberg's in dem Elend


seiner unglücklichen College» mit einer Fluth von schamlosen Libellen, dieser,
je härter man dagegen zu verfahren drohte, mit desto größerem Behagen fa-
bricirte und in die Oeffentlichkeit brachte. Gab ihm der Senat e^n solches
Pamphlet mit Entrüstung und Drohung zurück, so schickte er wohl umgehend
fünf neue ein und versicherte, daß er noch mehr besitze und durch den Druck
bereits für ihre Bekanntmachung gesorgt habe. Er konnte es ungestraft wagen,
denn er wußte wohl, daß man nichts Ernstliches unternehmen werde. Durch
seine eminenten Talente in der Mitte eines Collegiums, welches der französische
Marschall Noailles mit Recht als einen Haufen von Hasenfüßen, Schwach¬
köpfen und Verräthern bezeichnet hatte, war er Allen überlegen und beherrschte
Alles. Er wußte ganz genau um jeden schmutzigen Handel, um jede Be¬
stechung, jeden Unterschleif, jede Rechtsverletzung eines Jeden und war dazu
noch bis in die tiefste Tiefe des ebenso wenig erbaulichen Privatlebens Aller
eingeweiht. Dazu besaß er durch seinen Bruder, den Reichshofrath, der die
Frankfurter Zustände und Menschen gründlich kannte und verachtete, einen
wanstigen Rückhalt in Wien, und so weit reichte denn damals doch noch
immer die kaiserliche Machtvollkommenheit, daß sie, wie Frankfurt und an¬
dere Reichsstädte mehr als einmal erfahren mußten, mit hartes und vor Allem
und unersättlich geldgieriger Faust eingreifen konnte. Die Drohung mit
einer kaiserlichen Jmmediatcommission machte auch die hartgesottensten
Schurken zittern, besonders da man Senckenberg wenigstens in seiner amtlichen
Stellung eine gewisse Integrität zugestehen mußte. Dies hinderte aber nicht,
daß er nicht außerdem die schwersten Criminalverbrechen beging und auch
dabei auf seine Unantastbarkeit pochte. In einem schmutzigen Processe mit
einer seiner Dienstmägde fabricirte er ein falsches Protocoll mit unter¬
geschobenen eidlichen Zeugenaussagen. Als dies entdeckt und durch Rechts¬
spruch constatirt wurde, wagte der Senat doch nicht, irgend eine Strafe an
ihm zu vollziehen, ja er suspendirte ihn nicht einmal förmlich. Erst zwölf
Jahre später, 1769, nach dem Tode seines Bruders, des Reichshofraths,
brachte ein neues Libell, in welchem er dem Rath wieder vorgeworfen, daß
Beschützung von Verfälschungen jeder Art, Nichtbestrafung der Meineide, Er¬
kaufung der Stimmen, Bestechung von Juristenfaeultäten ganz gewöhnliche
Dinge in ihm seien, ihm Verderben. Jetzt ging man endlich gegen ihn vor
und setzte ihn, aber unter den schonendsten Formen, gefangen. In dieser Ge¬
fangenschaft blieb er, tobend und drohend wie bisher, aber mehr und mehr
unbeachtet bis zum Jahre 1796, wo er als 78 jähriger Greis starb. Zur
Charakteristik der frankfurtischen oder deutschen Rechtszustände der Zeit sei noch
hinzugefügt, daß jene unglückliche Person, zu deren Schaden er nicht blos ein
Protocoll gefälscht, sondern noch andere, ebenso nichtswürdige Intriguen ge¬
sponnen hatte, trotz der klar bewiesenen Schuld Senckenberg's in dem Elend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/343>, abgerufen am 24.08.2024.