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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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die er doch gerade hier wegen seines in die bestehende Gerichtsverfassung tief
einschneidenden Inhalts verdiente. Die in Aussicht genommene Beseitigung
der Patrimonialgerichtsbarkeit wird die Stände eines wesentlichen Attributs
ihrer obrigkeitlichen Stellung entkleiden, und der Umstand, daß ihnen nach
Durchführung der Civilproeeßordnung wenigstens noch die niedere Criminal-
gerichtsbarkeit verbleiben wird, kann sie diesen Verlust kaum weniger schwer
empfinden lassen: denn der norddeutschen Civilproceßordnung wird mit dem
Strafgesetzbuch eine Strasproceßordnung auf den Fuß folgen und diese wird
den letzten Rest der privaten Gerichtsbarkeit, die gerade im Criminalverfahren
besonders unverträglich ist, beseitigen. Ob unsere Stände in solchem Eingriff
in ihre verfassungsmäßige Prärogative mit dem Grafen Lippe eine Ueber,
schreitung der Bundescompetenz erblicken werden, steht dahin. Sie lieben es
nicht sich mit der Perspektive auf bevorstehende bundesgesetzliche Reformen,
deren jede sie von vorne herein als eine retorwatio in x^us betrachten, zu
beschäftigen. Sie haben genug zu thun, von heute auf morgen zu sorgen,
um heute zu stützen, was morgen vielleicht doch schon fallen wird.

So ist es augenblicklich die durch die Bundesverhältnisse zur unabweis¬
baren Nothwendigkeit gewordene Steuerreform, die ihre ganze Aufmerksamkeit
in Anspruch nimmt, und diese ausschließlich wird den zum 10. Novbr. nach
Sternberg einberufenen Landtag beschäftigen. Bewilligung der ordentlichen
Contribution, Bewilligung der außerordentlichen Contribution und Revision
des ordentlichen und außerordentlichen Contributionsmodus, das sind die in¬
haltschweren landesherrlichen Propositionen, die den Ständen zugingen.

Die diesjährigen mecklenburgischen Landtagspropositionen, besonders die
dritte, werden den Prüfstein bilden, ob unsere Stände überhaupt noch im
Stande sind, ihre landesgrundgesetzliche Stellung zu behaupten, oder ob sie
abtreten und einer modernen Landesvertretung Platz machen müssen. Ge¬
lingt es, eine Steuerreform zu vereinbaren, so mögen die Stände immerhin
noch auf eine Weile sich im Genuß ihrer politischen Vorrechte gesichert
wähnen; gelingt es nicht, und die Aussicht auf ein gedeihliches Ge¬
lingen ist nicht groß, so lange anders die Landschaft auf ihrem Standpunkt
verharrt, so wird der Regierung mit Nothwendigkeit die Frage nahe gelegt,
ob das Mißlingen ihrer Reformprojecte nicht nothwendig ist, wenn dieselben
mit einer Ständeversammlung vereinbart werden sollen, die durch die An¬
nahme ihr eigenstes Princip verleugnen müßte. Denn das Gutheißen der
Projectirten Steuerreform hieße nichts anderes, als das ständische Princip
aufgeben. Im ständischen Staat hat der Landesherr die "Kosten des Regi¬
ments" zu bestreiten, die Zuschüsse, welche hierzu in Mecklenburg in Form
der ordentlichen und außerordentlichen Contribution geleistet werden, sind
nicht sowohl bewilligte Steuern, als freiwillige Leistungen der Stände, wenn-


Grenzboten IV. 186". 35

die er doch gerade hier wegen seines in die bestehende Gerichtsverfassung tief
einschneidenden Inhalts verdiente. Die in Aussicht genommene Beseitigung
der Patrimonialgerichtsbarkeit wird die Stände eines wesentlichen Attributs
ihrer obrigkeitlichen Stellung entkleiden, und der Umstand, daß ihnen nach
Durchführung der Civilproeeßordnung wenigstens noch die niedere Criminal-
gerichtsbarkeit verbleiben wird, kann sie diesen Verlust kaum weniger schwer
empfinden lassen: denn der norddeutschen Civilproceßordnung wird mit dem
Strafgesetzbuch eine Strasproceßordnung auf den Fuß folgen und diese wird
den letzten Rest der privaten Gerichtsbarkeit, die gerade im Criminalverfahren
besonders unverträglich ist, beseitigen. Ob unsere Stände in solchem Eingriff
in ihre verfassungsmäßige Prärogative mit dem Grafen Lippe eine Ueber,
schreitung der Bundescompetenz erblicken werden, steht dahin. Sie lieben es
nicht sich mit der Perspektive auf bevorstehende bundesgesetzliche Reformen,
deren jede sie von vorne herein als eine retorwatio in x^us betrachten, zu
beschäftigen. Sie haben genug zu thun, von heute auf morgen zu sorgen,
um heute zu stützen, was morgen vielleicht doch schon fallen wird.

So ist es augenblicklich die durch die Bundesverhältnisse zur unabweis¬
baren Nothwendigkeit gewordene Steuerreform, die ihre ganze Aufmerksamkeit
in Anspruch nimmt, und diese ausschließlich wird den zum 10. Novbr. nach
Sternberg einberufenen Landtag beschäftigen. Bewilligung der ordentlichen
Contribution, Bewilligung der außerordentlichen Contribution und Revision
des ordentlichen und außerordentlichen Contributionsmodus, das sind die in¬
haltschweren landesherrlichen Propositionen, die den Ständen zugingen.

Die diesjährigen mecklenburgischen Landtagspropositionen, besonders die
dritte, werden den Prüfstein bilden, ob unsere Stände überhaupt noch im
Stande sind, ihre landesgrundgesetzliche Stellung zu behaupten, oder ob sie
abtreten und einer modernen Landesvertretung Platz machen müssen. Ge¬
lingt es, eine Steuerreform zu vereinbaren, so mögen die Stände immerhin
noch auf eine Weile sich im Genuß ihrer politischen Vorrechte gesichert
wähnen; gelingt es nicht, und die Aussicht auf ein gedeihliches Ge¬
lingen ist nicht groß, so lange anders die Landschaft auf ihrem Standpunkt
verharrt, so wird der Regierung mit Nothwendigkeit die Frage nahe gelegt,
ob das Mißlingen ihrer Reformprojecte nicht nothwendig ist, wenn dieselben
mit einer Ständeversammlung vereinbart werden sollen, die durch die An¬
nahme ihr eigenstes Princip verleugnen müßte. Denn das Gutheißen der
Projectirten Steuerreform hieße nichts anderes, als das ständische Princip
aufgeben. Im ständischen Staat hat der Landesherr die „Kosten des Regi¬
ments" zu bestreiten, die Zuschüsse, welche hierzu in Mecklenburg in Form
der ordentlichen und außerordentlichen Contribution geleistet werden, sind
nicht sowohl bewilligte Steuern, als freiwillige Leistungen der Stände, wenn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/281>, abgerufen am 24.08.2024.