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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Nutzung auf eine Wandlung der Gesinnung geschlossen werden könnte. Deut¬
licher hätte diese Abneigung gegen alles norddeutsche oder Preußische kaum
zu Tage treten können, als bei den im September zur Feier der Taufe der
jüngst geborenen Schwerin'schen Prinzessin auf Ludwigslust veranstalteten Hof¬
festen. Der Großherzog von Strelitz hatte, gleich dem Herzog von Alten¬
burg -- der bekanntlich dem hannoverschen Königshause gleichfalls verschwä¬
gert und nicht minder mit Schwerin verwandt ist -- seine Anwesenheit in
Ludwigslust zusagen lassen, als aber auch die bevorstehende Ankunft deS
Königs von Preußen gemeldet wurde, blieben beide Fürsten in ostensibler
Weise aus, um sich durch außerordentliche Gesandte vertreten zu lassen.

Doch fehlt es auch nicht an Zeichen anderer Art, aus denen man auf
die Widerwilligkeit schließen kann, mit der Strelitz sich der fortschreitenden
Entwickelung des norddeutschen Bundes fügt. Daß es der letzte der nord¬
deutschen Staaten war, der seine Truppen im Jahre 1866 mit Preußen mar-
schiren ließ, ist bekannt und nicht minder ist es ein öffentliches Geheimniß,
daß der Marschbefehl erst erfolgte, als von Berlin aus in nicht mißzudeu¬
tender Weise auf die bereits geschehene Occupation Hannovers hingewiesen
worden war. Daß Strelitz auch später keine willigere Hingebung an den
norddeutschen Bund erkennen ließ, konnte man wenigstens indirect aus
der Rede des Grafen Bismarck schließen, in der er bei Gelegenheit der Ver¬
handlungen des Reichstags über die mecklenburgische Verfassungsfrage die
Bundestreue des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin in anerkennendster
Weise und im Gegensatz zu "andern" Regierungen gerühmt hatte, ohne auch
nur ein Wort der Anerkennung für Mecklenburg-Strelitz übrig zu haben.
Aber auch seitdem hat es nicht an Anlässen gefehlt, dem verhaltenen Aerger
über das Bundesverhältniß Luft zu machen. So offen, wie die Herren von
Dewitz und von Plüskow kann die Regierung eines Bundesstaates freilich nicht
sprechen, und sie muß die Bundesgesetze wohl oder übel zur Anwendung
dringen, wenn sie sich nicht der Demüthigung aussetzen will, von Berlin
aus corrigirt zu werden; aber -- weiter geht man in Strelitz auch keinen
Schritt. Man sucht vielmehr mit ängstlicher und geradezu kleinlicher Sorge die
Wirkung der Bundesgesetze auf das geringste Maß herabzudrücken oder zu
"Paralysiren", wie Herr von Plüskow sagt. Daß man, um die Wirkungen
der Freizügigkeit zu regeln, kein besseres Mittel glaubte anwenden zu können,
als schärfstes Einschreiten gegen Vagabunden aller Art, und als genügendes
Judicium der Vagabondage den defecten Zustand von Kleidern und .Schuh¬
zeug der Wanderer bezeichnete -- die freilich durch Angabe eines beliebigen
Reiseziels nach den ringsum nahe gelegenen schwerinischen und preußischen
Grenzorten sich den Häschern allemal entziehen können -- mag nur beiläufig
erwähnt werden; ebenso, daß die Ausführungsverordnungen zur Gewerbe-


Nutzung auf eine Wandlung der Gesinnung geschlossen werden könnte. Deut¬
licher hätte diese Abneigung gegen alles norddeutsche oder Preußische kaum
zu Tage treten können, als bei den im September zur Feier der Taufe der
jüngst geborenen Schwerin'schen Prinzessin auf Ludwigslust veranstalteten Hof¬
festen. Der Großherzog von Strelitz hatte, gleich dem Herzog von Alten¬
burg — der bekanntlich dem hannoverschen Königshause gleichfalls verschwä¬
gert und nicht minder mit Schwerin verwandt ist — seine Anwesenheit in
Ludwigslust zusagen lassen, als aber auch die bevorstehende Ankunft deS
Königs von Preußen gemeldet wurde, blieben beide Fürsten in ostensibler
Weise aus, um sich durch außerordentliche Gesandte vertreten zu lassen.

Doch fehlt es auch nicht an Zeichen anderer Art, aus denen man auf
die Widerwilligkeit schließen kann, mit der Strelitz sich der fortschreitenden
Entwickelung des norddeutschen Bundes fügt. Daß es der letzte der nord¬
deutschen Staaten war, der seine Truppen im Jahre 1866 mit Preußen mar-
schiren ließ, ist bekannt und nicht minder ist es ein öffentliches Geheimniß,
daß der Marschbefehl erst erfolgte, als von Berlin aus in nicht mißzudeu¬
tender Weise auf die bereits geschehene Occupation Hannovers hingewiesen
worden war. Daß Strelitz auch später keine willigere Hingebung an den
norddeutschen Bund erkennen ließ, konnte man wenigstens indirect aus
der Rede des Grafen Bismarck schließen, in der er bei Gelegenheit der Ver¬
handlungen des Reichstags über die mecklenburgische Verfassungsfrage die
Bundestreue des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin in anerkennendster
Weise und im Gegensatz zu „andern" Regierungen gerühmt hatte, ohne auch
nur ein Wort der Anerkennung für Mecklenburg-Strelitz übrig zu haben.
Aber auch seitdem hat es nicht an Anlässen gefehlt, dem verhaltenen Aerger
über das Bundesverhältniß Luft zu machen. So offen, wie die Herren von
Dewitz und von Plüskow kann die Regierung eines Bundesstaates freilich nicht
sprechen, und sie muß die Bundesgesetze wohl oder übel zur Anwendung
dringen, wenn sie sich nicht der Demüthigung aussetzen will, von Berlin
aus corrigirt zu werden; aber — weiter geht man in Strelitz auch keinen
Schritt. Man sucht vielmehr mit ängstlicher und geradezu kleinlicher Sorge die
Wirkung der Bundesgesetze auf das geringste Maß herabzudrücken oder zu
„Paralysiren", wie Herr von Plüskow sagt. Daß man, um die Wirkungen
der Freizügigkeit zu regeln, kein besseres Mittel glaubte anwenden zu können,
als schärfstes Einschreiten gegen Vagabunden aller Art, und als genügendes
Judicium der Vagabondage den defecten Zustand von Kleidern und .Schuh¬
zeug der Wanderer bezeichnete — die freilich durch Angabe eines beliebigen
Reiseziels nach den ringsum nahe gelegenen schwerinischen und preußischen
Grenzorten sich den Häschern allemal entziehen können — mag nur beiläufig
erwähnt werden; ebenso, daß die Ausführungsverordnungen zur Gewerbe-


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[0279] Nutzung auf eine Wandlung der Gesinnung geschlossen werden könnte. Deut¬ licher hätte diese Abneigung gegen alles norddeutsche oder Preußische kaum zu Tage treten können, als bei den im September zur Feier der Taufe der jüngst geborenen Schwerin'schen Prinzessin auf Ludwigslust veranstalteten Hof¬ festen. Der Großherzog von Strelitz hatte, gleich dem Herzog von Alten¬ burg — der bekanntlich dem hannoverschen Königshause gleichfalls verschwä¬ gert und nicht minder mit Schwerin verwandt ist — seine Anwesenheit in Ludwigslust zusagen lassen, als aber auch die bevorstehende Ankunft deS Königs von Preußen gemeldet wurde, blieben beide Fürsten in ostensibler Weise aus, um sich durch außerordentliche Gesandte vertreten zu lassen. Doch fehlt es auch nicht an Zeichen anderer Art, aus denen man auf die Widerwilligkeit schließen kann, mit der Strelitz sich der fortschreitenden Entwickelung des norddeutschen Bundes fügt. Daß es der letzte der nord¬ deutschen Staaten war, der seine Truppen im Jahre 1866 mit Preußen mar- schiren ließ, ist bekannt und nicht minder ist es ein öffentliches Geheimniß, daß der Marschbefehl erst erfolgte, als von Berlin aus in nicht mißzudeu¬ tender Weise auf die bereits geschehene Occupation Hannovers hingewiesen worden war. Daß Strelitz auch später keine willigere Hingebung an den norddeutschen Bund erkennen ließ, konnte man wenigstens indirect aus der Rede des Grafen Bismarck schließen, in der er bei Gelegenheit der Ver¬ handlungen des Reichstags über die mecklenburgische Verfassungsfrage die Bundestreue des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin in anerkennendster Weise und im Gegensatz zu „andern" Regierungen gerühmt hatte, ohne auch nur ein Wort der Anerkennung für Mecklenburg-Strelitz übrig zu haben. Aber auch seitdem hat es nicht an Anlässen gefehlt, dem verhaltenen Aerger über das Bundesverhältniß Luft zu machen. So offen, wie die Herren von Dewitz und von Plüskow kann die Regierung eines Bundesstaates freilich nicht sprechen, und sie muß die Bundesgesetze wohl oder übel zur Anwendung dringen, wenn sie sich nicht der Demüthigung aussetzen will, von Berlin aus corrigirt zu werden; aber — weiter geht man in Strelitz auch keinen Schritt. Man sucht vielmehr mit ängstlicher und geradezu kleinlicher Sorge die Wirkung der Bundesgesetze auf das geringste Maß herabzudrücken oder zu „Paralysiren", wie Herr von Plüskow sagt. Daß man, um die Wirkungen der Freizügigkeit zu regeln, kein besseres Mittel glaubte anwenden zu können, als schärfstes Einschreiten gegen Vagabunden aller Art, und als genügendes Judicium der Vagabondage den defecten Zustand von Kleidern und .Schuh¬ zeug der Wanderer bezeichnete — die freilich durch Angabe eines beliebigen Reiseziels nach den ringsum nahe gelegenen schwerinischen und preußischen Grenzorten sich den Häschern allemal entziehen können — mag nur beiläufig erwähnt werden; ebenso, daß die Ausführungsverordnungen zur Gewerbe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/279>, abgerufen am 22.07.2024.