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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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ständigen Grundsätzen hat sich -- und dies ist zu bedauern -- bei uns nie
gebildet. Sie hätte dem Lande und der Regierung den Uebergang wesentlich
erleichtern können, und die Elemente dazu waren unzweifelhaft vorhanden.
Allein der größere Theil gab sich willenlos zu dem Material her. über welches
die Regierung heute in diesem, morgen in jenem Sinne verfügt; die anderen,
dieser Rolle überdrüssig, schlössen sich der deutschen Partei an. Hätte die Re¬
gierung sich ehrlich auf den Boden jenes Programms gestellt, das man am
Ende auch den Herren v. Varnbüler und v. Mittnacht zumuthen konnte, so
hätte sie sich eine Reihe von Demüthigungen erspart, so könnte sie sich auf
eine zuverlässige Parteibildung stützen, so brauchte sie sich heute vor einer radi¬
kalen Landtagsmehrheit nicht zu fürchten.

Heute freilich ist es zu spät. Selbst wenn die Regierung einlenken
wollte, sie könnte nicht mehr. Die Folgen ihrer früheren Haltung haben
sich genau so entwickelt wie Jedermann voraussah, ausgenommen sie selbst.
Heute ist ihre Macht verdunkelt von der Macht der Demokratie, welche sie
selbst großgezogen. Indem sie vor zwei Jahren keinen Anstand nahm, sich
der Demokratie zu bedienen, legitimirte sie dieselbe vor dem Volk, und der
Diener ist dem Herrn von damals über den Kopf gewachsen. Das war die
empfindliche Lehre, die der Regierung schon bei den Landtagswahlen zu Theil
wurde, und sie scheint sich nun bei jeder Neuwahl zu wiederholen.

Manches ist seitdem dazu gekommen, was den Zwiespalt zwischen der
Regierung und der Linken vergrößerte, und zwar nicht blos mit der eigent¬
lichen Volkspartei, sondern auch mit den sogenannten Großdeutschen -- ein
Begriff, der, beiläufig bemerkt, nur noch in Würtemberg existirt und auch
hier nicht eine bestimmte politische Richtung bezeichnet, sondern vielmehr
ein Sammelname für alle möglichen sonderbaren Individualitäten und
Nuancen ist, die nur im Haß gegen Preußen einig sind, aber zugleich
die Dictatur des Herrn Mayer perhorresciren, und für die ein anderer
Name sich bis jetzt nicht hat finden wollen. Das Haupt dieser Partei ist
Probst, der ultramontane Demokrat oder demokratische Ultramontane,
und sowohl die Präsidentenwahl bei welcher er durchfiel, als die Adreß-
debatte, bei welcher er gleichfalls durchfiel, endlich das Verfassungsjubiläum
im September d. I,, bei welchem Probst -- unbegreiflicherweise und gleich¬
falls vergeblich -- der Volkspartei helfen wollte, die Verfassungsfeier in eine
Mayerfeier zu verwandeln, dies Alles hat die intimen Beziehungen, welche
sonst zwischen dieser Partei und der Regierung walteten, erheblich gelockert.

Allein die Regierung hat es mit dieser Partei verdorben, ohne sich
einen andern Stützpunkt geschaffen zu haben. Nichts hat sie gethan, um
die gemäßigten Kreise des Bürgerthums, welche, ohne kurzweg den Eintritt
in den Nordbund zu verlangen, die Bündnisse mit Preußen aufrichtig pflegen


ständigen Grundsätzen hat sich — und dies ist zu bedauern — bei uns nie
gebildet. Sie hätte dem Lande und der Regierung den Uebergang wesentlich
erleichtern können, und die Elemente dazu waren unzweifelhaft vorhanden.
Allein der größere Theil gab sich willenlos zu dem Material her. über welches
die Regierung heute in diesem, morgen in jenem Sinne verfügt; die anderen,
dieser Rolle überdrüssig, schlössen sich der deutschen Partei an. Hätte die Re¬
gierung sich ehrlich auf den Boden jenes Programms gestellt, das man am
Ende auch den Herren v. Varnbüler und v. Mittnacht zumuthen konnte, so
hätte sie sich eine Reihe von Demüthigungen erspart, so könnte sie sich auf
eine zuverlässige Parteibildung stützen, so brauchte sie sich heute vor einer radi¬
kalen Landtagsmehrheit nicht zu fürchten.

Heute freilich ist es zu spät. Selbst wenn die Regierung einlenken
wollte, sie könnte nicht mehr. Die Folgen ihrer früheren Haltung haben
sich genau so entwickelt wie Jedermann voraussah, ausgenommen sie selbst.
Heute ist ihre Macht verdunkelt von der Macht der Demokratie, welche sie
selbst großgezogen. Indem sie vor zwei Jahren keinen Anstand nahm, sich
der Demokratie zu bedienen, legitimirte sie dieselbe vor dem Volk, und der
Diener ist dem Herrn von damals über den Kopf gewachsen. Das war die
empfindliche Lehre, die der Regierung schon bei den Landtagswahlen zu Theil
wurde, und sie scheint sich nun bei jeder Neuwahl zu wiederholen.

Manches ist seitdem dazu gekommen, was den Zwiespalt zwischen der
Regierung und der Linken vergrößerte, und zwar nicht blos mit der eigent¬
lichen Volkspartei, sondern auch mit den sogenannten Großdeutschen — ein
Begriff, der, beiläufig bemerkt, nur noch in Würtemberg existirt und auch
hier nicht eine bestimmte politische Richtung bezeichnet, sondern vielmehr
ein Sammelname für alle möglichen sonderbaren Individualitäten und
Nuancen ist, die nur im Haß gegen Preußen einig sind, aber zugleich
die Dictatur des Herrn Mayer perhorresciren, und für die ein anderer
Name sich bis jetzt nicht hat finden wollen. Das Haupt dieser Partei ist
Probst, der ultramontane Demokrat oder demokratische Ultramontane,
und sowohl die Präsidentenwahl bei welcher er durchfiel, als die Adreß-
debatte, bei welcher er gleichfalls durchfiel, endlich das Verfassungsjubiläum
im September d. I,, bei welchem Probst — unbegreiflicherweise und gleich¬
falls vergeblich — der Volkspartei helfen wollte, die Verfassungsfeier in eine
Mayerfeier zu verwandeln, dies Alles hat die intimen Beziehungen, welche
sonst zwischen dieser Partei und der Regierung walteten, erheblich gelockert.

Allein die Regierung hat es mit dieser Partei verdorben, ohne sich
einen andern Stützpunkt geschaffen zu haben. Nichts hat sie gethan, um
die gemäßigten Kreise des Bürgerthums, welche, ohne kurzweg den Eintritt
in den Nordbund zu verlangen, die Bündnisse mit Preußen aufrichtig pflegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/270>, abgerufen am 02.10.2024.