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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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dings nicht übel getroffen seien, aber er wird sich wundern, wie ein Nord¬
deutscher -- Norddeutschland fängt für den Schwaben im Grund gleich
außerhalb Heilbronn und Mergentheim an -- so viel Fleiß und Studium
an diese Charaktecköpfe verwandt hat, die ihn fe.se einer verlorenen Neigung
für eben diese Schwaben verdächtig machen könnten.

Aufrichtig gesagt, so scharf die Zeichnung ausgefallen ist, so sind doch
im Ganzen unsere schwäbischen Zustände und Personen eher noch mit all,u-
großer Milde als mit allzugroßer Schärfe behandelt. Wenn z. B. das
schwäbische Zollparlamentömilglied für Zopfingen schon nach einigen Wochen
in sein heimliches Tagebuch Bemerkungen einträgt, welche ihm die Bewun¬
derung sür großartige Entwickelung und riesige Bctnebsamkeit der Nord¬
deutschen Bundeshauptstadt, oder die ausdämmernde Erkenntniß der heimischen
Schwächen abgenöthigt hat, so gehört das offenbar in das Capitel der pos¬
tischen Licenz, für welche tausend Jahre sind wie Ein Tag. Der Genien-
dichter verlegte -- und das ist ein Recht des Dichters -- in die rasch belehr¬
bare Seele eines harmlosen Individuums, was in Wahrheit nur das Pro-
duct eines Processes von vielen Jahren und Jahrzenten sein wird. Und so
hat denn auch der Dichter kühn über die Schranken der Zeit sich hinweg¬
geschwungen, wenn er in der Epistel an die Dame dieser zuversichtlich erklärt,
er werde das nächste Mal die Ehre haben, "ihr statt der Herren Vavnbüler
und Consorten die Herren Landtagspräsident Weber, Prof. Römer, Gustav
Müller, Prof. Reyscher, Dr. O.Eiden u. s. w. als Zollparlamenteabgeordnete
vorzustellen." So weit sind wir noch'lange nicht. Viel schlimmer stehen die
D>nge. Der letzte Zollparlamentsabgeordnete, den das schwäbische Volk
gewählt, geht eigener Erklärung zufolge nach Berlin, um mit seinen Genossen
das Einigungswerk wenigstens zu "verpfuschen", und der letzte Landtags¬
abgeordnete, der gewählt ist, interpretirte seinen Wählern den Satz: "Lieber
französisch als preußisch." So stehen wir in Wi>ki>edlen. Noch heute sind
Wir genau auf demselben Punkt wie im März 1868. als die Wahlbewegung
für das Zollparlament dem schwäbischen Namen eine so wenig schmeichel¬
hafte Berühmtheit verschaffte.

Wie das nur möglich ist? Wie es kommt, daß Schwaben, "die Heiwath
der Schiller, Kepler, Hegel, Strauß, Auervach". wie der Verfasser des Klein¬
staatenbilderbuchs nicht verfehlt mehrmals neidlos anzumerken, heute eigentlich,
was politische Bildung betrifft, nur noch mit Einem Stamm deutscher Nation
zu vergleichen ist, nämlich mit den Eingeborenen von Ober- und Niederbayern,
"us welcher Provinz allerdings eine stattliche Reihe großer Männer erwachsen
ist. wie wenigstens derjenige leicht sich überzeugt, der durch die Denkmal¬
gepflasterten Straßen von Jsar-Athen wandelt?

Weder eine tadelnswerthe Lässigkeit der nationalen Partei, noch eine


Grenzboten IV. 186S. 33

dings nicht übel getroffen seien, aber er wird sich wundern, wie ein Nord¬
deutscher — Norddeutschland fängt für den Schwaben im Grund gleich
außerhalb Heilbronn und Mergentheim an — so viel Fleiß und Studium
an diese Charaktecköpfe verwandt hat, die ihn fe.se einer verlorenen Neigung
für eben diese Schwaben verdächtig machen könnten.

Aufrichtig gesagt, so scharf die Zeichnung ausgefallen ist, so sind doch
im Ganzen unsere schwäbischen Zustände und Personen eher noch mit all,u-
großer Milde als mit allzugroßer Schärfe behandelt. Wenn z. B. das
schwäbische Zollparlamentömilglied für Zopfingen schon nach einigen Wochen
in sein heimliches Tagebuch Bemerkungen einträgt, welche ihm die Bewun¬
derung sür großartige Entwickelung und riesige Bctnebsamkeit der Nord¬
deutschen Bundeshauptstadt, oder die ausdämmernde Erkenntniß der heimischen
Schwächen abgenöthigt hat, so gehört das offenbar in das Capitel der pos¬
tischen Licenz, für welche tausend Jahre sind wie Ein Tag. Der Genien-
dichter verlegte — und das ist ein Recht des Dichters — in die rasch belehr¬
bare Seele eines harmlosen Individuums, was in Wahrheit nur das Pro-
duct eines Processes von vielen Jahren und Jahrzenten sein wird. Und so
hat denn auch der Dichter kühn über die Schranken der Zeit sich hinweg¬
geschwungen, wenn er in der Epistel an die Dame dieser zuversichtlich erklärt,
er werde das nächste Mal die Ehre haben, „ihr statt der Herren Vavnbüler
und Consorten die Herren Landtagspräsident Weber, Prof. Römer, Gustav
Müller, Prof. Reyscher, Dr. O.Eiden u. s. w. als Zollparlamenteabgeordnete
vorzustellen." So weit sind wir noch'lange nicht. Viel schlimmer stehen die
D>nge. Der letzte Zollparlamentsabgeordnete, den das schwäbische Volk
gewählt, geht eigener Erklärung zufolge nach Berlin, um mit seinen Genossen
das Einigungswerk wenigstens zu "verpfuschen", und der letzte Landtags¬
abgeordnete, der gewählt ist, interpretirte seinen Wählern den Satz: „Lieber
französisch als preußisch." So stehen wir in Wi>ki>edlen. Noch heute sind
Wir genau auf demselben Punkt wie im März 1868. als die Wahlbewegung
für das Zollparlament dem schwäbischen Namen eine so wenig schmeichel¬
hafte Berühmtheit verschaffte.

Wie das nur möglich ist? Wie es kommt, daß Schwaben, „die Heiwath
der Schiller, Kepler, Hegel, Strauß, Auervach". wie der Verfasser des Klein¬
staatenbilderbuchs nicht verfehlt mehrmals neidlos anzumerken, heute eigentlich,
was politische Bildung betrifft, nur noch mit Einem Stamm deutscher Nation
zu vergleichen ist, nämlich mit den Eingeborenen von Ober- und Niederbayern,
«us welcher Provinz allerdings eine stattliche Reihe großer Männer erwachsen
ist. wie wenigstens derjenige leicht sich überzeugt, der durch die Denkmal¬
gepflasterten Straßen von Jsar-Athen wandelt?

Weder eine tadelnswerthe Lässigkeit der nationalen Partei, noch eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/265>, abgerufen am 24.08.2024.