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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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halben mit den höchsten Ehren aufgenommen und auf das Rücksichtsvollste
behandelt. Die Mehrzahl der Gouverneure und Würdenträger, die ihm be¬
gegneten, kannte in Humboldt freilich nur den vornehmen Herrn, den Baron
und preußischen Geheimrath, dessen zuvorkommende Behandlung "Allerhöchst"
angeordnet worden war; es fehlte indessen auch nicht an russischen und deut¬
schen Gelehrten diesseit und jenseit Moskau's, welche den wahren Werth des
Reisenden zu schätzen wußten.

Humboldt's in den Briefen niedergelegte Urtheile über russische Zustände
und Personen sind wahre Muster von Tact und gutem Ton. Da er auf
kaiserliche Kosten reist, kann es seine Sache nicht sein, die Verhältnisse, die
ihm begegnen, in den an einen kaiserlichen Minister gerichteten Briefen zu
kritisiren. Daß es an Stoff zur Kritik nicht fehlte, deutet Humboldt ziemlich
deutlich an, indem er es für selbstverständlich erklärt, daß "wir (er und seine
Begleiter) uns auf die todte Natur beschränken und Alles vermeiden,
was sich auf Menschen-Einrichtungen und Verhältnisse der unteren Volks¬
classen bezieht." -- Von einigen Concessionen an Cancrin's patriotische
Freude über die Einnahme Adrianopels abgesehen, verleugnet Humboldt
den freisinnigen Westeuropäer nirgend und es kommt ihm nicht entfernt in
den Sinn, in den panegyrischen Ton einzustimmen, der damals in preußi¬
schen und nichtpreußischen Publicationen Mode war, sobald es sich um die
Staaten des "Horts der Legitimität" handelte.

Natürlich enthalten diese Briefe, so ausführlich sie zum großen Theil
und so interessant sie fast überall sind, keine vollständige Darstellung der Er¬
lebnisse unseres Reisenden. Im Gegentheil finden sich zahlreiche Lücken; über
Humboldt's ersten Aufenthalt in Petersburg erfahren wir so gut wie Nichts,
da er während desselben täglich mit Cancrin verkehrte, und ebenso steht es
um die Empfangsfeierlichkeiten, welche auf der Rückreise von Sibirien nach
Petersburg in zahlreichen größeren Städten veranstaltet wurden und von
denen die Bescheidenheit des Reisenden schweigt. Komisch genug mögen diese
Huldigungen oft genug ausgefallen sein, denn, wie erwähnt, wußte das da¬
malige Nußland sehr viel mehr von dem preußischen Kammerherrn als von
dem großen Physiker und Geographen Humboldt.

Wir können uns nicht versagen, eine dieser Lücken auszufüllen. Alexander
Herzen schildert in dem ersten Bande seines bekannten Memoirenwerks Hum¬
boldt's Aufenthalt und Empfang in Moskau, wo er nach Beendigung seiner
sibirischen Reise in Begleitung von Rose und Ehrenberg eintraf, mit einem
Humor, dessen Wirkungen sich auch deutsche Leser schwer entziehen werden.
Den Auftritten, welche nachstehend in genauer Anlehnung an das russische
Original geschildert sind, hat Herzen, der damals Student der Moskaner
Universität war, zum größten Theil persönlich beigewohnt.


halben mit den höchsten Ehren aufgenommen und auf das Rücksichtsvollste
behandelt. Die Mehrzahl der Gouverneure und Würdenträger, die ihm be¬
gegneten, kannte in Humboldt freilich nur den vornehmen Herrn, den Baron
und preußischen Geheimrath, dessen zuvorkommende Behandlung „Allerhöchst"
angeordnet worden war; es fehlte indessen auch nicht an russischen und deut¬
schen Gelehrten diesseit und jenseit Moskau's, welche den wahren Werth des
Reisenden zu schätzen wußten.

Humboldt's in den Briefen niedergelegte Urtheile über russische Zustände
und Personen sind wahre Muster von Tact und gutem Ton. Da er auf
kaiserliche Kosten reist, kann es seine Sache nicht sein, die Verhältnisse, die
ihm begegnen, in den an einen kaiserlichen Minister gerichteten Briefen zu
kritisiren. Daß es an Stoff zur Kritik nicht fehlte, deutet Humboldt ziemlich
deutlich an, indem er es für selbstverständlich erklärt, daß „wir (er und seine
Begleiter) uns auf die todte Natur beschränken und Alles vermeiden,
was sich auf Menschen-Einrichtungen und Verhältnisse der unteren Volks¬
classen bezieht." — Von einigen Concessionen an Cancrin's patriotische
Freude über die Einnahme Adrianopels abgesehen, verleugnet Humboldt
den freisinnigen Westeuropäer nirgend und es kommt ihm nicht entfernt in
den Sinn, in den panegyrischen Ton einzustimmen, der damals in preußi¬
schen und nichtpreußischen Publicationen Mode war, sobald es sich um die
Staaten des „Horts der Legitimität" handelte.

Natürlich enthalten diese Briefe, so ausführlich sie zum großen Theil
und so interessant sie fast überall sind, keine vollständige Darstellung der Er¬
lebnisse unseres Reisenden. Im Gegentheil finden sich zahlreiche Lücken; über
Humboldt's ersten Aufenthalt in Petersburg erfahren wir so gut wie Nichts,
da er während desselben täglich mit Cancrin verkehrte, und ebenso steht es
um die Empfangsfeierlichkeiten, welche auf der Rückreise von Sibirien nach
Petersburg in zahlreichen größeren Städten veranstaltet wurden und von
denen die Bescheidenheit des Reisenden schweigt. Komisch genug mögen diese
Huldigungen oft genug ausgefallen sein, denn, wie erwähnt, wußte das da¬
malige Nußland sehr viel mehr von dem preußischen Kammerherrn als von
dem großen Physiker und Geographen Humboldt.

Wir können uns nicht versagen, eine dieser Lücken auszufüllen. Alexander
Herzen schildert in dem ersten Bande seines bekannten Memoirenwerks Hum¬
boldt's Aufenthalt und Empfang in Moskau, wo er nach Beendigung seiner
sibirischen Reise in Begleitung von Rose und Ehrenberg eintraf, mit einem
Humor, dessen Wirkungen sich auch deutsche Leser schwer entziehen werden.
Den Auftritten, welche nachstehend in genauer Anlehnung an das russische
Original geschildert sind, hat Herzen, der damals Student der Moskaner
Universität war, zum größten Theil persönlich beigewohnt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/237>, abgerufen am 22.07.2024.