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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Stellung in gewisser Hinsicht verdiente. Cancrin, der im Anfang des Jahr¬
hunderts als armer Teufel nach Rußland gekommen war. hatte sich durch
umsichtige und gewissenhafte Leitung der Armee-Intendantur während der
französisch-deutschen Kriege, zu dem Posten eines Finanzministers und Ver¬
trauensmannes zweier Monarchen emporgeschwungen. Seine unter den ge¬
gebenen Verhältnissen beispiellose Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit erwarb ihm
namentlich bei Nikolaus eine Stellung, wie sie kaum ein anderer Diener
dieses Monarchen, geschweige denn einer der bekannten allmächtigen Günst¬
linge, eingenommen hat. Cancrin war der einzige höhere Beamte, der sich des
Privilegiums erfreute, eine selbständige. Meinung haben und jeder Zeit ver¬
lautbaren zu dürfen; der Kaiser, der sonst absolut keinen Widerspruch dul¬
dete, verhandelte mit seinem deutschen Finanzminister wie mit einer selbstän¬
digen Größe und ließ es sich wiederholt gefallen, daß der Mann, der sich
aus dem Staube emporgeschwungen, förmliche Bedingungen stellte, unter
denen allein er im Amte bleiben zu wollen erklärte -- ja diese Bedingungen
(welche sich vornehmlich auf größere Sparsamkeit in der Armee- und Hof¬
verwaltung bezogen) wurden angenommen und mußten beobachtet werden. --
Cancrin's finanzielles und volkswirthschaftliches System ist häufig und mit Recht
angegriffen worden; er bewegte sich in allen Vorurtheilen der Zeit, in welcher
er seine Bildung empfangen, er war eifriger Schutzzöllner, beutete den Privat¬
credit und die Privatbanken systematisch zu Gunsten des Staatscredits aus,
und wurde allmälig zum fast bedingungslosen Anhänger des Militärabsolu¬
tismus, dem er Anfangs nur mit Widerstreben gedient hatte. Aus den
"Reisetagebüchern", die sein Schwiegersohn Graf Keyserling herausgegeben,
wissen wir, daß er sich in das moderne Leben schließlich nicht mehr zu finden
wußte, den Constitutionalismus ebenso einseitig beurtheilte wie sein Gebieter
und z. B. die Eisenbahnen perhorrescirte, indem er ihnen raschen Untergang
nach kurzer Scheinblüthe vorhersagte. -- Aber dennoch war Cancrin ein Mann
von Verdienst und von Charakter. Für die Zeit und die Verhältnisse, in
denen er lebte und wirkte, war es schon ein Verdienst, daß er überhaupt
volkswirthschaftliche und finanzielle Kenntnisse besaß, daß er einem bestimm¬
ten System folgte und dieses mit Redlichkeit und in gutem Glauben con-
sequent und ohne Rücksicht auf kaiserliche Velleitäten durchführte. Das un¬
erbittliche Säbelregiment, unter dessen Herrschaft er emporstieg, war aller¬
dings die Folie dieser Vorzüge und ließ es als glänzende Ausnahme erschei¬
nen, daß ein Mann in so hoher Stellung ernsthafte Studien trieb, selbstän¬
dige Ansichten vertrat und sich nicht scheute, ein eifriger Diener der Wissen¬
schaft und ihrer Interessen zu sein.

Wie aus den vorliegenden Briefen zu ersehen, bildete eine Anfrage Can-
erins über die Rathsamkeit des Plans, das Platina zu Münzen auszuprägen,


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Stellung in gewisser Hinsicht verdiente. Cancrin, der im Anfang des Jahr¬
hunderts als armer Teufel nach Rußland gekommen war. hatte sich durch
umsichtige und gewissenhafte Leitung der Armee-Intendantur während der
französisch-deutschen Kriege, zu dem Posten eines Finanzministers und Ver¬
trauensmannes zweier Monarchen emporgeschwungen. Seine unter den ge¬
gebenen Verhältnissen beispiellose Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit erwarb ihm
namentlich bei Nikolaus eine Stellung, wie sie kaum ein anderer Diener
dieses Monarchen, geschweige denn einer der bekannten allmächtigen Günst¬
linge, eingenommen hat. Cancrin war der einzige höhere Beamte, der sich des
Privilegiums erfreute, eine selbständige. Meinung haben und jeder Zeit ver¬
lautbaren zu dürfen; der Kaiser, der sonst absolut keinen Widerspruch dul¬
dete, verhandelte mit seinem deutschen Finanzminister wie mit einer selbstän¬
digen Größe und ließ es sich wiederholt gefallen, daß der Mann, der sich
aus dem Staube emporgeschwungen, förmliche Bedingungen stellte, unter
denen allein er im Amte bleiben zu wollen erklärte — ja diese Bedingungen
(welche sich vornehmlich auf größere Sparsamkeit in der Armee- und Hof¬
verwaltung bezogen) wurden angenommen und mußten beobachtet werden. —
Cancrin's finanzielles und volkswirthschaftliches System ist häufig und mit Recht
angegriffen worden; er bewegte sich in allen Vorurtheilen der Zeit, in welcher
er seine Bildung empfangen, er war eifriger Schutzzöllner, beutete den Privat¬
credit und die Privatbanken systematisch zu Gunsten des Staatscredits aus,
und wurde allmälig zum fast bedingungslosen Anhänger des Militärabsolu¬
tismus, dem er Anfangs nur mit Widerstreben gedient hatte. Aus den
„Reisetagebüchern", die sein Schwiegersohn Graf Keyserling herausgegeben,
wissen wir, daß er sich in das moderne Leben schließlich nicht mehr zu finden
wußte, den Constitutionalismus ebenso einseitig beurtheilte wie sein Gebieter
und z. B. die Eisenbahnen perhorrescirte, indem er ihnen raschen Untergang
nach kurzer Scheinblüthe vorhersagte. — Aber dennoch war Cancrin ein Mann
von Verdienst und von Charakter. Für die Zeit und die Verhältnisse, in
denen er lebte und wirkte, war es schon ein Verdienst, daß er überhaupt
volkswirthschaftliche und finanzielle Kenntnisse besaß, daß er einem bestimm¬
ten System folgte und dieses mit Redlichkeit und in gutem Glauben con-
sequent und ohne Rücksicht auf kaiserliche Velleitäten durchführte. Das un¬
erbittliche Säbelregiment, unter dessen Herrschaft er emporstieg, war aller¬
dings die Folie dieser Vorzüge und ließ es als glänzende Ausnahme erschei¬
nen, daß ein Mann in so hoher Stellung ernsthafte Studien trieb, selbstän¬
dige Ansichten vertrat und sich nicht scheute, ein eifriger Diener der Wissen¬
schaft und ihrer Interessen zu sein.

Wie aus den vorliegenden Briefen zu ersehen, bildete eine Anfrage Can-
erins über die Rathsamkeit des Plans, das Platina zu Münzen auszuprägen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/235>, abgerufen am 02.10.2024.