Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

men hat und organisch bilden läßt, kann es gelingen, in seinen Werken die
Harmonie aller zusammenwirkenden Kräfte zur Anschauung zu bringen, in
welcher die wahre Idealität beruht". Aus diesen und ähnlichen Worten spricht
nicht die bloße Gelehrsamkeit, sondern die reifste Wissenschaft.

Daß Otto Jahr seine archäologischen Arbeiten nicht zum äußeren for¬
mellen Abschluß brachte, obgleich er diesen Plan bereits in Leipzig gefaßt und
in den ersten Bonner Jahren mit Begeisterung wieder aufgenommen hatte,
haben zwei Dinge verschuldet. Mit seltener Opferwilligkeit stellte er stets
seine Kraft, sein Wissen Und seine Feder Freunden zur Verfügung. Galt es,
diesen einen literarischen Dienst zu erweisen, den Freund zu unterstützen, das
Andenken eines solchen in Ehren zu erhalten, so fand es Jahr selbstverständ¬
lich, daß er seine eigenen Interessen zurückdrängen, für den andern eintreten
müsse. Wie er in jungen Jahren den literarischen Nachlaß Kellermann's
ohne Bedenken erwarb, damit das von diesem begonnene Unternehmen eines
col'MS iuserixtiouum nicht gestört werde und dafür seine liebsten Studien
aufzugeben und dem Werke sich zu widmen sofort bereit war -- "ich konnte
mir", erzählt er selbst, "wenigstens das Verdienst erwerben, auszuhalten, bis
Th. Mommsen eintreten konnte in die Aufgabe, die ein gutes Geschick ihm
aufbehalten hatte" -- so half er noch in den letzten Jahren seinem treuen
Freunde Gerhard, den Fortgang der archäologischen Zeitschrift zu sichern.
Auf Jahn's Beiträge konnte Gerhard mit Gewißheit rechnen, mochte jener
auch noch so sehr beschäftigt sein, und als Gerhard starb, trat wieder Jahr
vor den Riß und hielt aus, bis sich kundige Hände zur Fortführung der
Zeitschrift fanden. Auch die biographischen Aufsätze verdanken fast alle äuße¬
ren Anlässen den Ursprung, mehrere, und diese gehören zu den besten, sind
Denkmäler, abgeschiedenen Freunden gestiftet, so die mit Liebe geschriebene
Biographie Danzels, auch die den Fachgenossen Roß und Gerhard gewid¬
meten. Niemals hat die warme Empfindung die Sorgfalt in der Feststellung
des Thatsächlichen, die Gründlichkeit der Forschung, die Unbefangenheit des
Urtheils geschädigt, niemals aber auch die Vertiefung in das Einzelne und
Sachliche die Hervorhebung des Menschlichen verhindert.

Diese Eigenschaften machten ihn als Herausgeber von Briefen, nach¬
gelassenen Schriften, als literarischen Testamentsvollstrecker so überaus be¬
gehrenswerth und gesucht. Man durfte sicher sein, daß er sich in die ihm
gestellte Aufgabe vollkommen hineindenken, mit Liebe und Hingebung an die
Arbeit gehen werde. Niemals hat er auch nur den geringsten Theil des ihm
vorliegenden Materials unausgenutzt gelassen, häufig dasselbe in seinem Stre¬
ben nach Vollständigkeit und Vollendung noch wesentlich ergänzt und erwei¬
tert. Sein Interesse an methodischer Forschung ließ ihn leicht für jeden
Gegenstand, sür Ludwig Richter's Holzschnitte wie für Uhlands gelehrtes


men hat und organisch bilden läßt, kann es gelingen, in seinen Werken die
Harmonie aller zusammenwirkenden Kräfte zur Anschauung zu bringen, in
welcher die wahre Idealität beruht". Aus diesen und ähnlichen Worten spricht
nicht die bloße Gelehrsamkeit, sondern die reifste Wissenschaft.

Daß Otto Jahr seine archäologischen Arbeiten nicht zum äußeren for¬
mellen Abschluß brachte, obgleich er diesen Plan bereits in Leipzig gefaßt und
in den ersten Bonner Jahren mit Begeisterung wieder aufgenommen hatte,
haben zwei Dinge verschuldet. Mit seltener Opferwilligkeit stellte er stets
seine Kraft, sein Wissen Und seine Feder Freunden zur Verfügung. Galt es,
diesen einen literarischen Dienst zu erweisen, den Freund zu unterstützen, das
Andenken eines solchen in Ehren zu erhalten, so fand es Jahr selbstverständ¬
lich, daß er seine eigenen Interessen zurückdrängen, für den andern eintreten
müsse. Wie er in jungen Jahren den literarischen Nachlaß Kellermann's
ohne Bedenken erwarb, damit das von diesem begonnene Unternehmen eines
col'MS iuserixtiouum nicht gestört werde und dafür seine liebsten Studien
aufzugeben und dem Werke sich zu widmen sofort bereit war — „ich konnte
mir", erzählt er selbst, „wenigstens das Verdienst erwerben, auszuhalten, bis
Th. Mommsen eintreten konnte in die Aufgabe, die ein gutes Geschick ihm
aufbehalten hatte" — so half er noch in den letzten Jahren seinem treuen
Freunde Gerhard, den Fortgang der archäologischen Zeitschrift zu sichern.
Auf Jahn's Beiträge konnte Gerhard mit Gewißheit rechnen, mochte jener
auch noch so sehr beschäftigt sein, und als Gerhard starb, trat wieder Jahr
vor den Riß und hielt aus, bis sich kundige Hände zur Fortführung der
Zeitschrift fanden. Auch die biographischen Aufsätze verdanken fast alle äuße¬
ren Anlässen den Ursprung, mehrere, und diese gehören zu den besten, sind
Denkmäler, abgeschiedenen Freunden gestiftet, so die mit Liebe geschriebene
Biographie Danzels, auch die den Fachgenossen Roß und Gerhard gewid¬
meten. Niemals hat die warme Empfindung die Sorgfalt in der Feststellung
des Thatsächlichen, die Gründlichkeit der Forschung, die Unbefangenheit des
Urtheils geschädigt, niemals aber auch die Vertiefung in das Einzelne und
Sachliche die Hervorhebung des Menschlichen verhindert.

Diese Eigenschaften machten ihn als Herausgeber von Briefen, nach¬
gelassenen Schriften, als literarischen Testamentsvollstrecker so überaus be¬
gehrenswerth und gesucht. Man durfte sicher sein, daß er sich in die ihm
gestellte Aufgabe vollkommen hineindenken, mit Liebe und Hingebung an die
Arbeit gehen werde. Niemals hat er auch nur den geringsten Theil des ihm
vorliegenden Materials unausgenutzt gelassen, häufig dasselbe in seinem Stre¬
ben nach Vollständigkeit und Vollendung noch wesentlich ergänzt und erwei¬
tert. Sein Interesse an methodischer Forschung ließ ihn leicht für jeden
Gegenstand, sür Ludwig Richter's Holzschnitte wie für Uhlands gelehrtes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121973"/>
          <p xml:id="ID_560" prev="#ID_559"> men hat und organisch bilden läßt, kann es gelingen, in seinen Werken die<lb/>
Harmonie aller zusammenwirkenden Kräfte zur Anschauung zu bringen, in<lb/>
welcher die wahre Idealität beruht". Aus diesen und ähnlichen Worten spricht<lb/>
nicht die bloße Gelehrsamkeit, sondern die reifste Wissenschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_561"> Daß Otto Jahr seine archäologischen Arbeiten nicht zum äußeren for¬<lb/>
mellen Abschluß brachte, obgleich er diesen Plan bereits in Leipzig gefaßt und<lb/>
in den ersten Bonner Jahren mit Begeisterung wieder aufgenommen hatte,<lb/>
haben zwei Dinge verschuldet. Mit seltener Opferwilligkeit stellte er stets<lb/>
seine Kraft, sein Wissen Und seine Feder Freunden zur Verfügung. Galt es,<lb/>
diesen einen literarischen Dienst zu erweisen, den Freund zu unterstützen, das<lb/>
Andenken eines solchen in Ehren zu erhalten, so fand es Jahr selbstverständ¬<lb/>
lich, daß er seine eigenen Interessen zurückdrängen, für den andern eintreten<lb/>
müsse. Wie er in jungen Jahren den literarischen Nachlaß Kellermann's<lb/>
ohne Bedenken erwarb, damit das von diesem begonnene Unternehmen eines<lb/>
col'MS iuserixtiouum nicht gestört werde und dafür seine liebsten Studien<lb/>
aufzugeben und dem Werke sich zu widmen sofort bereit war &#x2014; &#x201E;ich konnte<lb/>
mir", erzählt er selbst, &#x201E;wenigstens das Verdienst erwerben, auszuhalten, bis<lb/>
Th. Mommsen eintreten konnte in die Aufgabe, die ein gutes Geschick ihm<lb/>
aufbehalten hatte" &#x2014; so half er noch in den letzten Jahren seinem treuen<lb/>
Freunde Gerhard, den Fortgang der archäologischen Zeitschrift zu sichern.<lb/>
Auf Jahn's Beiträge konnte Gerhard mit Gewißheit rechnen, mochte jener<lb/>
auch noch so sehr beschäftigt sein, und als Gerhard starb, trat wieder Jahr<lb/>
vor den Riß und hielt aus, bis sich kundige Hände zur Fortführung der<lb/>
Zeitschrift fanden. Auch die biographischen Aufsätze verdanken fast alle äuße¬<lb/>
ren Anlässen den Ursprung, mehrere, und diese gehören zu den besten, sind<lb/>
Denkmäler, abgeschiedenen Freunden gestiftet, so die mit Liebe geschriebene<lb/>
Biographie Danzels, auch die den Fachgenossen Roß und Gerhard gewid¬<lb/>
meten. Niemals hat die warme Empfindung die Sorgfalt in der Feststellung<lb/>
des Thatsächlichen, die Gründlichkeit der Forschung, die Unbefangenheit des<lb/>
Urtheils geschädigt, niemals aber auch die Vertiefung in das Einzelne und<lb/>
Sachliche die Hervorhebung des Menschlichen verhindert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_562" next="#ID_563"> Diese Eigenschaften machten ihn als Herausgeber von Briefen, nach¬<lb/>
gelassenen Schriften, als literarischen Testamentsvollstrecker so überaus be¬<lb/>
gehrenswerth und gesucht. Man durfte sicher sein, daß er sich in die ihm<lb/>
gestellte Aufgabe vollkommen hineindenken, mit Liebe und Hingebung an die<lb/>
Arbeit gehen werde. Niemals hat er auch nur den geringsten Theil des ihm<lb/>
vorliegenden Materials unausgenutzt gelassen, häufig dasselbe in seinem Stre¬<lb/>
ben nach Vollständigkeit und Vollendung noch wesentlich ergänzt und erwei¬<lb/>
tert. Sein Interesse an methodischer Forschung ließ ihn leicht für jeden<lb/>
Gegenstand, sür Ludwig Richter's Holzschnitte wie für Uhlands gelehrtes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] men hat und organisch bilden läßt, kann es gelingen, in seinen Werken die Harmonie aller zusammenwirkenden Kräfte zur Anschauung zu bringen, in welcher die wahre Idealität beruht". Aus diesen und ähnlichen Worten spricht nicht die bloße Gelehrsamkeit, sondern die reifste Wissenschaft. Daß Otto Jahr seine archäologischen Arbeiten nicht zum äußeren for¬ mellen Abschluß brachte, obgleich er diesen Plan bereits in Leipzig gefaßt und in den ersten Bonner Jahren mit Begeisterung wieder aufgenommen hatte, haben zwei Dinge verschuldet. Mit seltener Opferwilligkeit stellte er stets seine Kraft, sein Wissen Und seine Feder Freunden zur Verfügung. Galt es, diesen einen literarischen Dienst zu erweisen, den Freund zu unterstützen, das Andenken eines solchen in Ehren zu erhalten, so fand es Jahr selbstverständ¬ lich, daß er seine eigenen Interessen zurückdrängen, für den andern eintreten müsse. Wie er in jungen Jahren den literarischen Nachlaß Kellermann's ohne Bedenken erwarb, damit das von diesem begonnene Unternehmen eines col'MS iuserixtiouum nicht gestört werde und dafür seine liebsten Studien aufzugeben und dem Werke sich zu widmen sofort bereit war — „ich konnte mir", erzählt er selbst, „wenigstens das Verdienst erwerben, auszuhalten, bis Th. Mommsen eintreten konnte in die Aufgabe, die ein gutes Geschick ihm aufbehalten hatte" — so half er noch in den letzten Jahren seinem treuen Freunde Gerhard, den Fortgang der archäologischen Zeitschrift zu sichern. Auf Jahn's Beiträge konnte Gerhard mit Gewißheit rechnen, mochte jener auch noch so sehr beschäftigt sein, und als Gerhard starb, trat wieder Jahr vor den Riß und hielt aus, bis sich kundige Hände zur Fortführung der Zeitschrift fanden. Auch die biographischen Aufsätze verdanken fast alle äuße¬ ren Anlässen den Ursprung, mehrere, und diese gehören zu den besten, sind Denkmäler, abgeschiedenen Freunden gestiftet, so die mit Liebe geschriebene Biographie Danzels, auch die den Fachgenossen Roß und Gerhard gewid¬ meten. Niemals hat die warme Empfindung die Sorgfalt in der Feststellung des Thatsächlichen, die Gründlichkeit der Forschung, die Unbefangenheit des Urtheils geschädigt, niemals aber auch die Vertiefung in das Einzelne und Sachliche die Hervorhebung des Menschlichen verhindert. Diese Eigenschaften machten ihn als Herausgeber von Briefen, nach¬ gelassenen Schriften, als literarischen Testamentsvollstrecker so überaus be¬ gehrenswerth und gesucht. Man durfte sicher sein, daß er sich in die ihm gestellte Aufgabe vollkommen hineindenken, mit Liebe und Hingebung an die Arbeit gehen werde. Niemals hat er auch nur den geringsten Theil des ihm vorliegenden Materials unausgenutzt gelassen, häufig dasselbe in seinem Stre¬ ben nach Vollständigkeit und Vollendung noch wesentlich ergänzt und erwei¬ tert. Sein Interesse an methodischer Forschung ließ ihn leicht für jeden Gegenstand, sür Ludwig Richter's Holzschnitte wie für Uhlands gelehrtes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/218>, abgerufen am 22.07.2024.