Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.verfolgt die gleiche Aufgabe, welche dem Biographen Mozarts vorschwebten, Winkelmann's einfach großes Wort: Die Kunst der Alten muß in ihrem verfolgt die gleiche Aufgabe, welche dem Biographen Mozarts vorschwebten, Winkelmann's einfach großes Wort: Die Kunst der Alten muß in ihrem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121971"/> <p xml:id="ID_556" prev="#ID_555"> verfolgt die gleiche Aufgabe, welche dem Biographen Mozarts vorschwebten,<lb/> dringt er bis zu den grundlegenden allgemeinen Kunstbegriffen vor. dient<lb/> seine umfassende Gelehrsamkeit historischen Zwecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_557" next="#ID_558"> Winkelmann's einfach großes Wort: Die Kunst der Alten muß in ihrem<lb/> Wesen als Kunst aufgefaßt, als das nothwendige Bestreben verstanden wer¬<lb/> den, die höchsten Vorstellungen des menschlichen Geistes in die höchste Schön¬<lb/> heit der körperlichen Form gefaßt darzustellen, jedes einzelne Kunstwerk ist<lb/> nur als Glied dieser fortlaufenden Kette von künstlerischen Bestrebungen an¬<lb/> zusehen und in diesem Sinne zu würdigen, ist auch für Jahr zur Richt¬<lb/> schnur geworden, „Der Archäologie, sagt Jahr in seiner Rede zur Feier<lb/> von Leibnizens Todestage (14. Nov. 1848), die wir wohl seine Bekenntni߬<lb/> schrift nennen dürfen, „gehören alle Ueberlieferungen des Alterthums an,<lb/> welche von dem Geiste desselben Kunde geben, insoweit er sich in der bil¬<lb/> denden Kunst offenbart; jedes Denkmal, das von diesem künstlerischen Geist<lb/> ans irgend einer seiner Entwickelungsstufen die Spur trägt, jedes Zeugniß,<lb/> das uns darüber aufklärt, gehört in den Kreis der archäologischen Betrach¬<lb/> tung. Die Archäologie erforscht die Kunst selbst und in ihren Erscheinungen<lb/> die Gesetze, nach welchen sie schafft. Diese Aufgabe aber kann nur vom ge¬<lb/> schichtlichen Standpunkt aus wahrhaft gelöst werden. In der Kunst offen¬<lb/> bart sich nur Eine Seite des Volksgeistes, sie ist nur verständlich, wenn man<lb/> diesen in allen seinen Erscheinungen zu begreifen und bis in die Tiefe zu<lb/> ergründen bestrebt ist. welche den Keim birgt, der alle diese Blüthen treibt.<lb/> So ist denn ein Kunstwerk im höchsten Sinne erst dann zu verstehen, wenn<lb/> man die ganze Fülle von religiösen, politischen, sittlichen und wissenschaft¬<lb/> lichen Ideen sich vergegenwärtigt, welche das Volk, die Zeit, das Individuum<lb/> bewegen, um ihnen in der Kunst neues Leben zu geben." Bei einem so um¬<lb/> fassenden Programm, bei der Strenge, die Jahr gegen sich übte und bei der<lb/> Gewissenhaftigkeit, mit welcher er bei allen Arbeiten zu Werke ging, kann<lb/> es nicht Wunder nehmen, daß er sich auf archäologischen Gebiet seinem Ziele<lb/> nur langsam näherte. Daß er dieses stets vor Augen behielt, zeigen alle<lb/> seine größeren Schriften. Seine Abhandlungen über die Darstellungen an¬<lb/> tiker Reliefs und Wandgemälde, welche sich auf Handwerk und Handelsver¬<lb/> kehr beziehen, erörtern die kunsthistorische Frage, „inwiefern die jetzt als genre¬<lb/> mäßig bezeichnete Kunstrichtung auch im Alterthum Platz gefunden habe",<lb/> sein Münchner Vasenkatalog gibt über den Kunstverkehr im Alterthum den<lb/> reichsten Aufschluß und erledigt ein wichtiges Kapitel der alten Kunst in end-<lb/> giltiger Weise. Aehnlich greifen auch die Abhandlungen über den bösen Blick,<lb/> von Jacob Grimm so sehr geschätzt, jene über die ficoronische Cista, über<lb/> die Lauersforter Phaleren, endlich die fast ganz zu Ende geführte Untersuchung<lb/> über die römischen Sarkophagsculpturen weit über den unmittelbaren Gegen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
verfolgt die gleiche Aufgabe, welche dem Biographen Mozarts vorschwebten,
dringt er bis zu den grundlegenden allgemeinen Kunstbegriffen vor. dient
seine umfassende Gelehrsamkeit historischen Zwecken.
Winkelmann's einfach großes Wort: Die Kunst der Alten muß in ihrem
Wesen als Kunst aufgefaßt, als das nothwendige Bestreben verstanden wer¬
den, die höchsten Vorstellungen des menschlichen Geistes in die höchste Schön¬
heit der körperlichen Form gefaßt darzustellen, jedes einzelne Kunstwerk ist
nur als Glied dieser fortlaufenden Kette von künstlerischen Bestrebungen an¬
zusehen und in diesem Sinne zu würdigen, ist auch für Jahr zur Richt¬
schnur geworden, „Der Archäologie, sagt Jahr in seiner Rede zur Feier
von Leibnizens Todestage (14. Nov. 1848), die wir wohl seine Bekenntni߬
schrift nennen dürfen, „gehören alle Ueberlieferungen des Alterthums an,
welche von dem Geiste desselben Kunde geben, insoweit er sich in der bil¬
denden Kunst offenbart; jedes Denkmal, das von diesem künstlerischen Geist
ans irgend einer seiner Entwickelungsstufen die Spur trägt, jedes Zeugniß,
das uns darüber aufklärt, gehört in den Kreis der archäologischen Betrach¬
tung. Die Archäologie erforscht die Kunst selbst und in ihren Erscheinungen
die Gesetze, nach welchen sie schafft. Diese Aufgabe aber kann nur vom ge¬
schichtlichen Standpunkt aus wahrhaft gelöst werden. In der Kunst offen¬
bart sich nur Eine Seite des Volksgeistes, sie ist nur verständlich, wenn man
diesen in allen seinen Erscheinungen zu begreifen und bis in die Tiefe zu
ergründen bestrebt ist. welche den Keim birgt, der alle diese Blüthen treibt.
So ist denn ein Kunstwerk im höchsten Sinne erst dann zu verstehen, wenn
man die ganze Fülle von religiösen, politischen, sittlichen und wissenschaft¬
lichen Ideen sich vergegenwärtigt, welche das Volk, die Zeit, das Individuum
bewegen, um ihnen in der Kunst neues Leben zu geben." Bei einem so um¬
fassenden Programm, bei der Strenge, die Jahr gegen sich übte und bei der
Gewissenhaftigkeit, mit welcher er bei allen Arbeiten zu Werke ging, kann
es nicht Wunder nehmen, daß er sich auf archäologischen Gebiet seinem Ziele
nur langsam näherte. Daß er dieses stets vor Augen behielt, zeigen alle
seine größeren Schriften. Seine Abhandlungen über die Darstellungen an¬
tiker Reliefs und Wandgemälde, welche sich auf Handwerk und Handelsver¬
kehr beziehen, erörtern die kunsthistorische Frage, „inwiefern die jetzt als genre¬
mäßig bezeichnete Kunstrichtung auch im Alterthum Platz gefunden habe",
sein Münchner Vasenkatalog gibt über den Kunstverkehr im Alterthum den
reichsten Aufschluß und erledigt ein wichtiges Kapitel der alten Kunst in end-
giltiger Weise. Aehnlich greifen auch die Abhandlungen über den bösen Blick,
von Jacob Grimm so sehr geschätzt, jene über die ficoronische Cista, über
die Lauersforter Phaleren, endlich die fast ganz zu Ende geführte Untersuchung
über die römischen Sarkophagsculpturen weit über den unmittelbaren Gegen-
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