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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zu bewegen und dadurch mindestens die Anhänger der iberischen Idee auf
die Seite der Regierung und der monarchischen Sache zu bringen. Die von
dem portugiesischen Gesandten in Paris unternommenen Vermittelungsver-
suche sind indessen erfolglos geblieben und die spanische Anarchie bleibt sich
selbst überlassen.

Für uns Deutsche hat erst der Zusammentritt des preußischen Landtags
die politischen Sommerferien beschlossen. Seit wir wissen, daß von der patrio¬
tischen Rede, mit welcher der Großherzog von Baden seine Ständeversamm¬
lung eröffnete, praktische Folgen nicht zu erwarten sind, richten Freunde und
Feinde ihre Blicke ausschließlich nach Berlin, wo allem Anschein nach eine
Krisis der inneren Politik, wenn auch noch keine entscheidende, vor der Thür steht.
Der bayrische Landtag, der einige Wochen vor dem preußischen eröffnet worden,
hat uns nur ein Spiegelbild der Ratlosigkeit geboten, in welcher der sich selbst
überlassene Süden überhaupt steckt. Obgleich sich die nationale Partei auch in
Bayern auf eine Politik des Zuwartens beschränkt hat. steht ihr das Mi߬
trauen des mit Rom verbündeten Alt-Bayernthums hemmend im Wege und
keine von beiden Parteien kann behaupten, daß sie die öffentliche Meinung
in entscheidender Weise für sich habe. Nach Auflösung der Kammer, in wel¬
cher die Bildung des Bureaus unmöglich war, weil 71 clericalen Stimmen
71 ministerielle und liberale gegenüberstanden, hat das Ministerium Hohen-
lohe den Versuch gemacht, die Opposition seiner eigenen Beamten zu brechen
und durch Veränderung der Wahlbezirke der liberalen Partei das nöthige
Uebergewicht zu verschaffen. Das Resultat ist so zweifelhaft, als es vor den
ersten Wahlen war, denn, wie es scheint, besitzen in Deutschland nur reactio-
näre Ministerien die Energie, welche von den Untergebenen Gehorsam, von
den Gegnern Respekt erzwingt.-- Wo der mächtigste der süddeutschen Staaten
sich nicht zu rathen weiß, hatte es doppelte Wichtigkeit, daß Preußen aus
der schwankenden Stellung befreit werde, in welche es durch die Gegensätze
gedrängt ist, welche zwischen den Grundsätzen seiner äußeren und seiner inne¬
ren Politik bestehen. Die Thronrede, mit welcher König Wilhelm vor die
Volksvertretung trat, hatte das Vertrauen auf Bewilligung der zur Deckung des
Deficits nothwendigen Mittel so entschieden und so nachdrücklich hervorgerufen,
daß man wohl glauben konnte, die preußische Negierung sei fest entschlossen,
an der bisherigen Richtung ihrer Minister unwandelbar festzuhalten; denn
daß Herrn v. d. Heydt's Finanzvorschläge absolut keine Aussicht hatten, von dem
Abgeordnetenhause angenommen zu werden, stand schon sofort nach ihrer
Veröffentlichung durch die officiösen Berliner Journale fest. Aber es kam
anders; die Negierung lenkte'ein, noch bevor sie von dem Abgeordnetenhause
darüber belehrt worden, daß der bisherige Finanzminister nicht der Mann


zu bewegen und dadurch mindestens die Anhänger der iberischen Idee auf
die Seite der Regierung und der monarchischen Sache zu bringen. Die von
dem portugiesischen Gesandten in Paris unternommenen Vermittelungsver-
suche sind indessen erfolglos geblieben und die spanische Anarchie bleibt sich
selbst überlassen.

Für uns Deutsche hat erst der Zusammentritt des preußischen Landtags
die politischen Sommerferien beschlossen. Seit wir wissen, daß von der patrio¬
tischen Rede, mit welcher der Großherzog von Baden seine Ständeversamm¬
lung eröffnete, praktische Folgen nicht zu erwarten sind, richten Freunde und
Feinde ihre Blicke ausschließlich nach Berlin, wo allem Anschein nach eine
Krisis der inneren Politik, wenn auch noch keine entscheidende, vor der Thür steht.
Der bayrische Landtag, der einige Wochen vor dem preußischen eröffnet worden,
hat uns nur ein Spiegelbild der Ratlosigkeit geboten, in welcher der sich selbst
überlassene Süden überhaupt steckt. Obgleich sich die nationale Partei auch in
Bayern auf eine Politik des Zuwartens beschränkt hat. steht ihr das Mi߬
trauen des mit Rom verbündeten Alt-Bayernthums hemmend im Wege und
keine von beiden Parteien kann behaupten, daß sie die öffentliche Meinung
in entscheidender Weise für sich habe. Nach Auflösung der Kammer, in wel¬
cher die Bildung des Bureaus unmöglich war, weil 71 clericalen Stimmen
71 ministerielle und liberale gegenüberstanden, hat das Ministerium Hohen-
lohe den Versuch gemacht, die Opposition seiner eigenen Beamten zu brechen
und durch Veränderung der Wahlbezirke der liberalen Partei das nöthige
Uebergewicht zu verschaffen. Das Resultat ist so zweifelhaft, als es vor den
ersten Wahlen war, denn, wie es scheint, besitzen in Deutschland nur reactio-
näre Ministerien die Energie, welche von den Untergebenen Gehorsam, von
den Gegnern Respekt erzwingt.— Wo der mächtigste der süddeutschen Staaten
sich nicht zu rathen weiß, hatte es doppelte Wichtigkeit, daß Preußen aus
der schwankenden Stellung befreit werde, in welche es durch die Gegensätze
gedrängt ist, welche zwischen den Grundsätzen seiner äußeren und seiner inne¬
ren Politik bestehen. Die Thronrede, mit welcher König Wilhelm vor die
Volksvertretung trat, hatte das Vertrauen auf Bewilligung der zur Deckung des
Deficits nothwendigen Mittel so entschieden und so nachdrücklich hervorgerufen,
daß man wohl glauben konnte, die preußische Negierung sei fest entschlossen,
an der bisherigen Richtung ihrer Minister unwandelbar festzuhalten; denn
daß Herrn v. d. Heydt's Finanzvorschläge absolut keine Aussicht hatten, von dem
Abgeordnetenhause angenommen zu werden, stand schon sofort nach ihrer
Veröffentlichung durch die officiösen Berliner Journale fest. Aber es kam
anders; die Negierung lenkte'ein, noch bevor sie von dem Abgeordnetenhause
darüber belehrt worden, daß der bisherige Finanzminister nicht der Mann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/204>, abgerufen am 22.07.2024.