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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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daß auf eine Verständigung hingearbeitet werden werde. Die Beust'sche Politik
ist sich trotz all der Schwankungen, die sie durchgemacht hat, in dem Bestreben
treu geblieben, auf alle übrigen Vorzüge der früheren Stellung Oestreichs
lieber Verzicht zu leisten, als auf die deutsche Hegemonie des Hauses Habs¬
burg. Und doch steht dieselbe in unvereinbarem Gegensatz zu der Aufgabe,
welche von Jahr zu Jahr dringend an das "Reich der Mitte" herantritt,
der Aufgabe, im Orient die feste und entscheidende Stellung zu gewinnen,
welche allein im Stande ist, den Kaiserstaat vor der Gefahr einer slavischen
Ueberfluthung zu retten.

Nicht ohne allen Grund wird der Reise Kaiser Franz Josephs nach Con-
stantinopel und Suez vielfach die Deutung einer Beust'schen Diversion in
den Orient gegeben. Feststehend ist allerdings, daß des Vicekönigs erste
Einladung von dem Kaiser abschläglich beschicken worden war und daß das
Zustandekommen derselben auf plötzlich veränderte Dispositionen zurückzuführen
ist; daß der Kaiser und sein leitender Minister jihren Weg über Constanti-
nopel nehmen ist dabei natürlich die Hauptsache. Wie wenig es dem Grafen
Beust in den Sinn gekommen sein kann, dem mit dem Großherrn hadernden
Khedive eine Gefälligkeit erweisen zu wollen , das geht schon aus der durch
östreichische Zeitungen vorgenommenen Veröffentlichung jenes politischen
Testaments hervor, in welchem der sterbende Fuad Pascha von seinem
Souverain Abschied genommen hat, um demselben möglichst engen Anschluß
an die gegenwärtige östreichische Politik zur dringenden Pflicht zu machen. --
Nach gewöhnlicher Logik sollte man freilich meinen, daß die östreichischen Staats¬
männer, wenn sie ihr Gewicht nach Osten werfen wollen, zunächst mit Preußen
Frieden schließen müssen, schon um diesen Staat der Nothwendigkeit einer
Unterstützung der russischen Politik zu entbinden. In Wien sieht man die Sache
aber traditionell anders an: man macht Miene sich gleichzeitig an Preußen
und Rußland anzunähern und leistet damit der Vermuthung Vorschub, daß
die einen Verständigungsversuche eben so wenig ernst und nachdrücklich
gemeint seien wie die anderen. Unter einer russisch-preußisch-östreichischen
Alliance kann kein Mensch sich etwas Vernünftiges denken, die Annäherung
Oestreichs an einen dieser beiden Staaten kann nur den Sinn haben, ihn
von anderen zu trennen; es kann keinem Wiener Politiker in den Sinn
kommen, zugleich in Osten und Westen auf die bisherige Stellung Oestreichs Ver¬
zicht zu leisten, zumal von einer Bedrohung des Kaiserstaats durch Frankreich
oder Italien nicht die Rede ist. -- Nach dem. was bis jetzt vorliegt, steht
für uns fest, daß keine wirkliche Veränderung in der europäischen Lage bewirkt
worden ist und daß Alles was geschehen sich auf die Anbahnung höflicherer
Verkehrsformen zwischen den Cabinetten von Wien und Berlin reducirt.
Bei der unausgesprochenen aber sichtlich wachsenden Spannung zwischen Ruß-


daß auf eine Verständigung hingearbeitet werden werde. Die Beust'sche Politik
ist sich trotz all der Schwankungen, die sie durchgemacht hat, in dem Bestreben
treu geblieben, auf alle übrigen Vorzüge der früheren Stellung Oestreichs
lieber Verzicht zu leisten, als auf die deutsche Hegemonie des Hauses Habs¬
burg. Und doch steht dieselbe in unvereinbarem Gegensatz zu der Aufgabe,
welche von Jahr zu Jahr dringend an das „Reich der Mitte" herantritt,
der Aufgabe, im Orient die feste und entscheidende Stellung zu gewinnen,
welche allein im Stande ist, den Kaiserstaat vor der Gefahr einer slavischen
Ueberfluthung zu retten.

Nicht ohne allen Grund wird der Reise Kaiser Franz Josephs nach Con-
stantinopel und Suez vielfach die Deutung einer Beust'schen Diversion in
den Orient gegeben. Feststehend ist allerdings, daß des Vicekönigs erste
Einladung von dem Kaiser abschläglich beschicken worden war und daß das
Zustandekommen derselben auf plötzlich veränderte Dispositionen zurückzuführen
ist; daß der Kaiser und sein leitender Minister jihren Weg über Constanti-
nopel nehmen ist dabei natürlich die Hauptsache. Wie wenig es dem Grafen
Beust in den Sinn gekommen sein kann, dem mit dem Großherrn hadernden
Khedive eine Gefälligkeit erweisen zu wollen , das geht schon aus der durch
östreichische Zeitungen vorgenommenen Veröffentlichung jenes politischen
Testaments hervor, in welchem der sterbende Fuad Pascha von seinem
Souverain Abschied genommen hat, um demselben möglichst engen Anschluß
an die gegenwärtige östreichische Politik zur dringenden Pflicht zu machen. —
Nach gewöhnlicher Logik sollte man freilich meinen, daß die östreichischen Staats¬
männer, wenn sie ihr Gewicht nach Osten werfen wollen, zunächst mit Preußen
Frieden schließen müssen, schon um diesen Staat der Nothwendigkeit einer
Unterstützung der russischen Politik zu entbinden. In Wien sieht man die Sache
aber traditionell anders an: man macht Miene sich gleichzeitig an Preußen
und Rußland anzunähern und leistet damit der Vermuthung Vorschub, daß
die einen Verständigungsversuche eben so wenig ernst und nachdrücklich
gemeint seien wie die anderen. Unter einer russisch-preußisch-östreichischen
Alliance kann kein Mensch sich etwas Vernünftiges denken, die Annäherung
Oestreichs an einen dieser beiden Staaten kann nur den Sinn haben, ihn
von anderen zu trennen; es kann keinem Wiener Politiker in den Sinn
kommen, zugleich in Osten und Westen auf die bisherige Stellung Oestreichs Ver¬
zicht zu leisten, zumal von einer Bedrohung des Kaiserstaats durch Frankreich
oder Italien nicht die Rede ist. — Nach dem. was bis jetzt vorliegt, steht
für uns fest, daß keine wirkliche Veränderung in der europäischen Lage bewirkt
worden ist und daß Alles was geschehen sich auf die Anbahnung höflicherer
Verkehrsformen zwischen den Cabinetten von Wien und Berlin reducirt.
Bei der unausgesprochenen aber sichtlich wachsenden Spannung zwischen Ruß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/196>, abgerufen am 22.07.2024.