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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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solchen kann nur unter lebenden Rechtssubjecten die Rede sein. Man kann
nicht sagen, daß Jemand in seiner persönlichen Freiheit behindert sei. weil
der Staat ihm nicht das Recht gibt, beliebig über sein Vermögen sür eine
Zeit zu verfügen, wo er längst aufgehört hat, eine Persönlichkeit zu sein, also
einen Willen zu haben und Rechte auszuüben. Ebensowenig kann ein An¬
derer seine Freiheit für verletzt erklären, weil nach A.'s Tode dessen Eigen¬
thum nach dem Gesetz nicht auf ihn, sondern auf B. übergeht. Der Staat
ordnet das Erbrecht nach den Gesichtspunkten, welche ihm im allgemeinen
Interesse am zweckmäßigsten sür die Vertheilung der Güter zu sein scheinen,
welche durch Todesfall aufgehört haben, Eigenthum irgend einer lebenden
Person zu sein unter die, welche zu Lebzeiten des Besitzers kein Eigenthum
daran hatten. Am klarsten tritt dies bei dem Jntestaterbrecht hervor, es ist
eine rein staatliche Ordnung, aber das Recht des Staats wird auch bei dem
Testament constatirt durch die Beschränkungen, die der Staat dem Erblasser
dabei auferlegt. Wie weit dieselben gehen sollen, ist eine Frage der Zweck¬
mäßigkeit und Billigkeit, nicht des Rechtes und der Freiheit; deshalb sehen
wir je nach den Verhältnissen der verschiedenen Länder das Erbrecht sich auf
das verschiedenste gestalten.

In England ist das Recht letztwilliger Verfügung unbeschränkt, jeder
kann ohne Weiteres alle seine nächsten Nachkommen enterben und einen be¬
liebigen Dritten zum Erben einsetzen. Dies erleidet nur beim Grundbesitz eine
Einschränkung durch die Substitutionen (sntM). ist aber das letzte settlement
abgelaufen, und nicht durch ein neues ersetzt, so tritt auch hier absolute Dis¬
positionsfreiheit ein. Für die Aufhebung des Rechtes, durch Substitution
den Grundbesitz auf zwei oder mehrere Generationen binden zu können,
sprechen sich die bedeutendsten volkswirtschaftlichen Autoritäten ebenso aus
wie für den Wegfall der Rechtspräsumtion zu Gunsten des ältesten Sohnes
beim Jntestatfalle. Diese Fesselung des Besitzers hat zwar nicht so nach¬
theilige Folgen wie die Fideicommisse, weil die verhältnißmäßig kurze Dauer
der Substitution immer die Möglichkeit gibt, von Zeit zu Zeit je nach den
Umständen das Gut ganz oder theilweise zu veräußern oder zu theilen, aber
die Folgen sind doch ähnlicher Natur und werden von den Besitzern selbst
hart empfunden. Ein Sohn, der durch Entail ein überverschuldetes Gut erbt,
muß dasselbe fortschleppen, während er sich durch Verkauf der Hälfte zu einem
Capital verhelfen könnte, mit dem er die andere Hälfte schwunghaft bewirth¬
schaften könnte.

Der Code Napoleon folgt diametral entgegengesetzten Principien. Seine
Verfasser haben in ihrem Haß gegen das Erstgeburtsrecht den Erblasser aufs
äußerste beschränkt. Ein Mann kann, wenn er nur Ein Kind hat, nur über
die Hälfte seines Grundbesitzes testamentarisch verfügen, über ein Drittel bei


solchen kann nur unter lebenden Rechtssubjecten die Rede sein. Man kann
nicht sagen, daß Jemand in seiner persönlichen Freiheit behindert sei. weil
der Staat ihm nicht das Recht gibt, beliebig über sein Vermögen sür eine
Zeit zu verfügen, wo er längst aufgehört hat, eine Persönlichkeit zu sein, also
einen Willen zu haben und Rechte auszuüben. Ebensowenig kann ein An¬
derer seine Freiheit für verletzt erklären, weil nach A.'s Tode dessen Eigen¬
thum nach dem Gesetz nicht auf ihn, sondern auf B. übergeht. Der Staat
ordnet das Erbrecht nach den Gesichtspunkten, welche ihm im allgemeinen
Interesse am zweckmäßigsten sür die Vertheilung der Güter zu sein scheinen,
welche durch Todesfall aufgehört haben, Eigenthum irgend einer lebenden
Person zu sein unter die, welche zu Lebzeiten des Besitzers kein Eigenthum
daran hatten. Am klarsten tritt dies bei dem Jntestaterbrecht hervor, es ist
eine rein staatliche Ordnung, aber das Recht des Staats wird auch bei dem
Testament constatirt durch die Beschränkungen, die der Staat dem Erblasser
dabei auferlegt. Wie weit dieselben gehen sollen, ist eine Frage der Zweck¬
mäßigkeit und Billigkeit, nicht des Rechtes und der Freiheit; deshalb sehen
wir je nach den Verhältnissen der verschiedenen Länder das Erbrecht sich auf
das verschiedenste gestalten.

In England ist das Recht letztwilliger Verfügung unbeschränkt, jeder
kann ohne Weiteres alle seine nächsten Nachkommen enterben und einen be¬
liebigen Dritten zum Erben einsetzen. Dies erleidet nur beim Grundbesitz eine
Einschränkung durch die Substitutionen (sntM). ist aber das letzte settlement
abgelaufen, und nicht durch ein neues ersetzt, so tritt auch hier absolute Dis¬
positionsfreiheit ein. Für die Aufhebung des Rechtes, durch Substitution
den Grundbesitz auf zwei oder mehrere Generationen binden zu können,
sprechen sich die bedeutendsten volkswirtschaftlichen Autoritäten ebenso aus
wie für den Wegfall der Rechtspräsumtion zu Gunsten des ältesten Sohnes
beim Jntestatfalle. Diese Fesselung des Besitzers hat zwar nicht so nach¬
theilige Folgen wie die Fideicommisse, weil die verhältnißmäßig kurze Dauer
der Substitution immer die Möglichkeit gibt, von Zeit zu Zeit je nach den
Umständen das Gut ganz oder theilweise zu veräußern oder zu theilen, aber
die Folgen sind doch ähnlicher Natur und werden von den Besitzern selbst
hart empfunden. Ein Sohn, der durch Entail ein überverschuldetes Gut erbt,
muß dasselbe fortschleppen, während er sich durch Verkauf der Hälfte zu einem
Capital verhelfen könnte, mit dem er die andere Hälfte schwunghaft bewirth¬
schaften könnte.

Der Code Napoleon folgt diametral entgegengesetzten Principien. Seine
Verfasser haben in ihrem Haß gegen das Erstgeburtsrecht den Erblasser aufs
äußerste beschränkt. Ein Mann kann, wenn er nur Ein Kind hat, nur über
die Hälfte seines Grundbesitzes testamentarisch verfügen, über ein Drittel bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/181>, abgerufen am 22.07.2024.