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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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es gab Irrungen, die Behörden verfuhren mit Ungeschick und dadurch wurde
im Volk die alte Abneigung gegen diese Steuer wieder lebendig, die noch
überdies von den staatsfeindlichen Parteien nach Kräften ausgebeuet wurde.
Die Folge waren mehr oder weniger ernste tumultuarische Auftritte in einer
Reihe oberitalienischer Städte, zumal in den Provinzen Parma und Bo¬
logna. Im Süden war die Einführung der Steuer auf keinen Widerstand
gestoßen, weil man hier seit alten Zeiten an die Mahlsteuer gewöhnt war,
die zwar von Garibaldi abgeschafft, seitdem aber meistens von den Gemein¬
den für ihre eigene Rechnung wieder eingeführt worden war.

Diese Unruhen wären indessen bald wieder vergessen gewesen, wenn sie
nicht ihr unvermeidliches Nachspiel im Parlament gehabt hätten. Als die
Kammer am 21. Januar wieder zusammentrat, war das Erste eine Jnter¬
pellation der Linken, die sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, wieder eines
jener mehrtägigen Wortgefechte aufzuführen, die nun einmal einen ungleich
größeren Reiz für sie besitzen, als die Behandlung von Geschäften, und die,
was schlimmer ist, durch die unvermeidliche Nachwirkung des Parteigezänks
auf geraume Zeit die Behandlung von Geschäften unmöglich machen. Uebri-
gens fehlte es auch von Seite der Rechten nicht an scharfem Tadel. Denn
an jenen Tumulten entzündete sich auch in der Kammer wieder die ganze
Opposition gegen die Mahlsteuer überhaupt, unversöhnlich zeigte sich beson¬
ders die Gruppe der Piemontesen unter Lanza und Sella. Und wenn auch
schließlich am 27. Januar hauptsächlich durch die Unterstützung der dritten
Partei eine Tagesordnung angenommen wurde, welche Cambray-Digny als
eine Jndemnitätsbill acceptirte, so war doch mindestens viel Zeit verloren,
die Unlust an positiven Arbeiten gesteigert, die günstige Stimmung des vorigen
Jahres verflogen. Die Sitzungen waren leerer als je, und als die unver¬
meidlichen Carnevalsferien eintraten, war nichts als lediglich jene Debatte
über die Mahlsteuertumulte fertig gebracht worden.

Am 16. Februar trat die Kammer wieder zusammen. Es sollte jetzt
mit Energie gleichzeitig an die Berathung des Budgets und an die Special-
berathung des Verwaltungsgesetzes gehen. Abwechselnd sollten die Sitzungen
dem einen und dem andern Gegenstand gewidmet sein. Aber langsam rückten
die Debatten vor, und je näher man den Hauptpunkten der Verwaltungs¬
reform kam, um so zweifelhafter wurde es, ob überhaupt eine Mehrheit für
eine so bedeutende Gesetzesarbeit zu Stande kommen werde. Das Ministe¬
rium hatte den Entwurf von Bargoni (dritte Partei) adoptirt. dessen wesent¬
lichster Punkt die Aufhebung der Unterprcifecturen war. An Stelle dieser
sollten nach dem Muster der vormaligen Verwaltung im lombardisch-venetia-
nischen Königreich Regierungsdelegationen für kleinere Bezirke von 40--50,000
Seelen treten, mit denen auch die bisherigen kostspieligen Finanzämter ver-


es gab Irrungen, die Behörden verfuhren mit Ungeschick und dadurch wurde
im Volk die alte Abneigung gegen diese Steuer wieder lebendig, die noch
überdies von den staatsfeindlichen Parteien nach Kräften ausgebeuet wurde.
Die Folge waren mehr oder weniger ernste tumultuarische Auftritte in einer
Reihe oberitalienischer Städte, zumal in den Provinzen Parma und Bo¬
logna. Im Süden war die Einführung der Steuer auf keinen Widerstand
gestoßen, weil man hier seit alten Zeiten an die Mahlsteuer gewöhnt war,
die zwar von Garibaldi abgeschafft, seitdem aber meistens von den Gemein¬
den für ihre eigene Rechnung wieder eingeführt worden war.

Diese Unruhen wären indessen bald wieder vergessen gewesen, wenn sie
nicht ihr unvermeidliches Nachspiel im Parlament gehabt hätten. Als die
Kammer am 21. Januar wieder zusammentrat, war das Erste eine Jnter¬
pellation der Linken, die sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, wieder eines
jener mehrtägigen Wortgefechte aufzuführen, die nun einmal einen ungleich
größeren Reiz für sie besitzen, als die Behandlung von Geschäften, und die,
was schlimmer ist, durch die unvermeidliche Nachwirkung des Parteigezänks
auf geraume Zeit die Behandlung von Geschäften unmöglich machen. Uebri-
gens fehlte es auch von Seite der Rechten nicht an scharfem Tadel. Denn
an jenen Tumulten entzündete sich auch in der Kammer wieder die ganze
Opposition gegen die Mahlsteuer überhaupt, unversöhnlich zeigte sich beson¬
ders die Gruppe der Piemontesen unter Lanza und Sella. Und wenn auch
schließlich am 27. Januar hauptsächlich durch die Unterstützung der dritten
Partei eine Tagesordnung angenommen wurde, welche Cambray-Digny als
eine Jndemnitätsbill acceptirte, so war doch mindestens viel Zeit verloren,
die Unlust an positiven Arbeiten gesteigert, die günstige Stimmung des vorigen
Jahres verflogen. Die Sitzungen waren leerer als je, und als die unver¬
meidlichen Carnevalsferien eintraten, war nichts als lediglich jene Debatte
über die Mahlsteuertumulte fertig gebracht worden.

Am 16. Februar trat die Kammer wieder zusammen. Es sollte jetzt
mit Energie gleichzeitig an die Berathung des Budgets und an die Special-
berathung des Verwaltungsgesetzes gehen. Abwechselnd sollten die Sitzungen
dem einen und dem andern Gegenstand gewidmet sein. Aber langsam rückten
die Debatten vor, und je näher man den Hauptpunkten der Verwaltungs¬
reform kam, um so zweifelhafter wurde es, ob überhaupt eine Mehrheit für
eine so bedeutende Gesetzesarbeit zu Stande kommen werde. Das Ministe¬
rium hatte den Entwurf von Bargoni (dritte Partei) adoptirt. dessen wesent¬
lichster Punkt die Aufhebung der Unterprcifecturen war. An Stelle dieser
sollten nach dem Muster der vormaligen Verwaltung im lombardisch-venetia-
nischen Königreich Regierungsdelegationen für kleinere Bezirke von 40—50,000
Seelen treten, mit denen auch die bisherigen kostspieligen Finanzämter ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/16>, abgerufen am 22.07.2024.