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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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aber es würde jenen Proceß beschleunigen, von welchem die Vollendung
unsrer nationalen Einheit abhängig ist.

Ueberhaupt ist der Gewinn nicht hoch genug anzuschlagen, den aus dem
unverschleierten Auftreten des Ultramontanismus seit 1866 die nationale
Sache in Bayern zieht. Die liberalen Elemente find zugleich die nationalen;
"vorwärts nach Deutschland oder rückwärts nach Rom", das ist die Losung,
und wenn auch ein Theil der Fortschrittspartet dem nationalen Theil des
Parteiprogramms nur zögernd und mit Vorbehalten folgt, so ist doch inner¬
halb des Liberalismus die Nationalpartei die dominirende, sie ist am besten
organisirt, hat die fähigsten Köpfe, die fähigsten Agitatoren, die rührigste
Presse, und die Anziehungskraft, die sie ausübt, ist unverkennbar. Was von
der großdeutschen Mittelpartei übrig ist, hat die besonderen Sympathien für
Oestreich längst abgestreift, ist mehr und mehr an die Seite der Fort¬
schrittspartei gedrängt worden, oder hat, um in der Sprache des "Volks-
boden" zu reden, endlich die Maske abgeworfen und betet jetzt blind das
goldne Kalb des rothen Fortschritts mit an. Bei den nächsten Wahlen wird
sich diese Verbindung noch enger zeigen als bei den vorigen.

Ebendeshalb wird man es auch ganz begreiflich finden, wenn die Fort¬
schrittspartei in dem bevorstehenden Wahlkampf nicht die nationale Seite
ihres Programms in die erste Linie stellt. Sie hat auf einer alten Organi¬
sation beruhend aus guten Gründen diese Seite überhaupt niemals so pro-
noncirt, wie dies in Würtemberg z. B. unvermeidlich war, wo sich die
deutsche Partei vor drei Jahren aä Koo gebildet hat. Der Erfolg ist schließlich
um so sicherer, je klarer die Bedeutung der nächsten Wahlen dahin verlegt
wird, alle freisinnigen Elemente des Landes zum Kampf gegen die Ultra¬
montanen zusammenzufassen. Die Fortschrittspartei verleugnet damit nicht
ihr Programm, aber es ist ihr durch die Verhältnisse des Landes eine andere
Tactik vorgeschrieben als in Baden und Würtemberg. Eben wegen dieser
Verschiedenheit der kantischen Aufgaben haben auch die Versuche, die nationale
Partei in den drei Ländern unter einer gemeinsamen Organisation zusammen¬
zuschließen, niemals einen rechten Erfolg haben wollen, und es liegt auf der
Hand, daß auch das in den letzten Wochen viel erörtete Project einer Reor¬
ganisation der Nationalpartei durch ganz Deutschland an diesem Punkt ein
hervorragendes Hinderniß, wenn auch nicht das einzige, findet. Man kann
sich nicht verbergen, daß durch eine solche Organisation die Arbeit der natio¬
nalen Parteien in den drei süddeutschen Ländern schwerlich erleichtert würde.
So wie die Dinge liegen, hat jedes die Ausgabe, je nach den besonderen
Bedingungen die Elemente des Widerstands im eigenen Hause zu bekämpfen
und zu überwinden. Die Mittel sind verschieden, das Ziel aber ist dasselbe


aber es würde jenen Proceß beschleunigen, von welchem die Vollendung
unsrer nationalen Einheit abhängig ist.

Ueberhaupt ist der Gewinn nicht hoch genug anzuschlagen, den aus dem
unverschleierten Auftreten des Ultramontanismus seit 1866 die nationale
Sache in Bayern zieht. Die liberalen Elemente find zugleich die nationalen;
„vorwärts nach Deutschland oder rückwärts nach Rom", das ist die Losung,
und wenn auch ein Theil der Fortschrittspartet dem nationalen Theil des
Parteiprogramms nur zögernd und mit Vorbehalten folgt, so ist doch inner¬
halb des Liberalismus die Nationalpartei die dominirende, sie ist am besten
organisirt, hat die fähigsten Köpfe, die fähigsten Agitatoren, die rührigste
Presse, und die Anziehungskraft, die sie ausübt, ist unverkennbar. Was von
der großdeutschen Mittelpartei übrig ist, hat die besonderen Sympathien für
Oestreich längst abgestreift, ist mehr und mehr an die Seite der Fort¬
schrittspartei gedrängt worden, oder hat, um in der Sprache des „Volks-
boden" zu reden, endlich die Maske abgeworfen und betet jetzt blind das
goldne Kalb des rothen Fortschritts mit an. Bei den nächsten Wahlen wird
sich diese Verbindung noch enger zeigen als bei den vorigen.

Ebendeshalb wird man es auch ganz begreiflich finden, wenn die Fort¬
schrittspartei in dem bevorstehenden Wahlkampf nicht die nationale Seite
ihres Programms in die erste Linie stellt. Sie hat auf einer alten Organi¬
sation beruhend aus guten Gründen diese Seite überhaupt niemals so pro-
noncirt, wie dies in Würtemberg z. B. unvermeidlich war, wo sich die
deutsche Partei vor drei Jahren aä Koo gebildet hat. Der Erfolg ist schließlich
um so sicherer, je klarer die Bedeutung der nächsten Wahlen dahin verlegt
wird, alle freisinnigen Elemente des Landes zum Kampf gegen die Ultra¬
montanen zusammenzufassen. Die Fortschrittspartei verleugnet damit nicht
ihr Programm, aber es ist ihr durch die Verhältnisse des Landes eine andere
Tactik vorgeschrieben als in Baden und Würtemberg. Eben wegen dieser
Verschiedenheit der kantischen Aufgaben haben auch die Versuche, die nationale
Partei in den drei Ländern unter einer gemeinsamen Organisation zusammen¬
zuschließen, niemals einen rechten Erfolg haben wollen, und es liegt auf der
Hand, daß auch das in den letzten Wochen viel erörtete Project einer Reor¬
ganisation der Nationalpartei durch ganz Deutschland an diesem Punkt ein
hervorragendes Hinderniß, wenn auch nicht das einzige, findet. Man kann
sich nicht verbergen, daß durch eine solche Organisation die Arbeit der natio¬
nalen Parteien in den drei süddeutschen Ländern schwerlich erleichtert würde.
So wie die Dinge liegen, hat jedes die Ausgabe, je nach den besonderen
Bedingungen die Elemente des Widerstands im eigenen Hause zu bekämpfen
und zu überwinden. Die Mittel sind verschieden, das Ziel aber ist dasselbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/136>, abgerufen am 15.01.2025.