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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Mehrheit der Gegner abwehren und zu ihren Gunsten die Parität der
Stimmen herstellen konnte. Denn an sich gehörte die Mehrheit wirklich der
patriotischen Partei an, die wenn nicht stärker, doch ungleich compacter auftrat,
als unmittelbar nach den Wahlen prognosticirr worden war. Damals war
man allgemein der Ansicht gewesen, daß von der Partei, die doch manche
abhängige Elemente enthielt, eine gemäßigtere Fraction sich abscheiden werde,
mit der wenigstens Kompromisse möglich sein würden. Diese Vermuthung erwies
sich, als die Kammer zusammentrat, als gänzlich irrig. Bis auf den letzten
Mann hielt die patriotische Partei aus, nebst ihren Ministerialräthen, deren
einer mit Ostentation als ihr Führer und als der Mauerbrecher gegen das
Ministerium proclamirt wurde. Eben jene Legitimationsverhandlungen zeigten
zugleich von Anfang an, in welcher rücksichtslosen Weise sie, unbekümmert um
alles Herkommen der parlamentarischen Praxis, das numerische Ueberge¬
wicht, sobald sie dessen sicher wäre, für ihre Parteizwecke ausnützen würde.
Ihr Trotz steigerte sich nochmals sie die Verlegenheit der Regierung bemerkte.
Unmöglich erschien jene Lösung, die bei demselben Conflict in Stuttgart ge¬
lungen war, wo gleichfalls bei der Präsidentenwahl sieben Scrutinien er¬
forderlich waren, bis eine der gleichstarken Parteien die absolute Mehrheit
erhielt, dadurch nämlich, daß einige Wilde, wie dies im würtembergischen
Ständesaal stets vorzukommen pflegt, sich dem Einfluß der Regierung zu¬
gänglich erwiesen und so das in Würtemberg doppelt schmähliche Ergebniß
verhinderten, daß zum Kammerpräsidenten der Führer der Ultramontanen
gewählt würde. Eben dieser Einfluß fehlte in München gänzlich, wo selbst
die den Ministern nächststehenden Beamten vielmehr auf ein Zukunftsmini¬
sterium speculirten, als auf das gegenwärtige glaubten Rücksicht nehmen zu
müssen. Während der peinlichen Tage der Scrutinien waren eine Menge
Projecte zu einem Ausweg, eine Menge Gerüchte von einem angebahnten
Comvromiß verbreitet, die Tag für Tag einander ablösten. Bald hieß es, die
Ministerialbeamten hätten einen Wink erhalten, von der Sitzung wegzubleiben,
um so eine Wahl zu ermöglichen, dann hieß es wieder, eine Anzahl der patrio¬
tischen Abgeordneten sei schwankend geworden und einer versöhnlichen Tactik
zugänglich. Endlich sollte ein berühmter Kirchenlehrerin erfolgreicher Weise ver¬
sucht haben, versöhnlich auf die rechte Seite einzuwirken. Alle diese und andere
Gerüchte erwiesen sich als müßig. Nicht ein Einziger verließ seine Fahne. Wenn
Neigung zum Abfall vorhanden war, so wurde dem durch den Terrorismus
der Parteiführer, welche mit Argusaugen Mienen und Stimmzettel der min¬
der Verlässigen controlirten, kräftig vorgebeugt. Als in der letzten Stunde
noch Fürst Hohelohe persönlich eine Intervention Persuchte, um wenigstens
die provisorische Wahl eines Bureaus zu Stande zu bringen, war es zu
spät. Der Widerstand war geschlossen, unerbittlich. Sogar am Hohn fehlte


Mehrheit der Gegner abwehren und zu ihren Gunsten die Parität der
Stimmen herstellen konnte. Denn an sich gehörte die Mehrheit wirklich der
patriotischen Partei an, die wenn nicht stärker, doch ungleich compacter auftrat,
als unmittelbar nach den Wahlen prognosticirr worden war. Damals war
man allgemein der Ansicht gewesen, daß von der Partei, die doch manche
abhängige Elemente enthielt, eine gemäßigtere Fraction sich abscheiden werde,
mit der wenigstens Kompromisse möglich sein würden. Diese Vermuthung erwies
sich, als die Kammer zusammentrat, als gänzlich irrig. Bis auf den letzten
Mann hielt die patriotische Partei aus, nebst ihren Ministerialräthen, deren
einer mit Ostentation als ihr Führer und als der Mauerbrecher gegen das
Ministerium proclamirt wurde. Eben jene Legitimationsverhandlungen zeigten
zugleich von Anfang an, in welcher rücksichtslosen Weise sie, unbekümmert um
alles Herkommen der parlamentarischen Praxis, das numerische Ueberge¬
wicht, sobald sie dessen sicher wäre, für ihre Parteizwecke ausnützen würde.
Ihr Trotz steigerte sich nochmals sie die Verlegenheit der Regierung bemerkte.
Unmöglich erschien jene Lösung, die bei demselben Conflict in Stuttgart ge¬
lungen war, wo gleichfalls bei der Präsidentenwahl sieben Scrutinien er¬
forderlich waren, bis eine der gleichstarken Parteien die absolute Mehrheit
erhielt, dadurch nämlich, daß einige Wilde, wie dies im würtembergischen
Ständesaal stets vorzukommen pflegt, sich dem Einfluß der Regierung zu¬
gänglich erwiesen und so das in Würtemberg doppelt schmähliche Ergebniß
verhinderten, daß zum Kammerpräsidenten der Führer der Ultramontanen
gewählt würde. Eben dieser Einfluß fehlte in München gänzlich, wo selbst
die den Ministern nächststehenden Beamten vielmehr auf ein Zukunftsmini¬
sterium speculirten, als auf das gegenwärtige glaubten Rücksicht nehmen zu
müssen. Während der peinlichen Tage der Scrutinien waren eine Menge
Projecte zu einem Ausweg, eine Menge Gerüchte von einem angebahnten
Comvromiß verbreitet, die Tag für Tag einander ablösten. Bald hieß es, die
Ministerialbeamten hätten einen Wink erhalten, von der Sitzung wegzubleiben,
um so eine Wahl zu ermöglichen, dann hieß es wieder, eine Anzahl der patrio¬
tischen Abgeordneten sei schwankend geworden und einer versöhnlichen Tactik
zugänglich. Endlich sollte ein berühmter Kirchenlehrerin erfolgreicher Weise ver¬
sucht haben, versöhnlich auf die rechte Seite einzuwirken. Alle diese und andere
Gerüchte erwiesen sich als müßig. Nicht ein Einziger verließ seine Fahne. Wenn
Neigung zum Abfall vorhanden war, so wurde dem durch den Terrorismus
der Parteiführer, welche mit Argusaugen Mienen und Stimmzettel der min¬
der Verlässigen controlirten, kräftig vorgebeugt. Als in der letzten Stunde
noch Fürst Hohelohe persönlich eine Intervention Persuchte, um wenigstens
die provisorische Wahl eines Bureaus zu Stande zu bringen, war es zu
spät. Der Widerstand war geschlossen, unerbittlich. Sogar am Hohn fehlte


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[0132] Mehrheit der Gegner abwehren und zu ihren Gunsten die Parität der Stimmen herstellen konnte. Denn an sich gehörte die Mehrheit wirklich der patriotischen Partei an, die wenn nicht stärker, doch ungleich compacter auftrat, als unmittelbar nach den Wahlen prognosticirr worden war. Damals war man allgemein der Ansicht gewesen, daß von der Partei, die doch manche abhängige Elemente enthielt, eine gemäßigtere Fraction sich abscheiden werde, mit der wenigstens Kompromisse möglich sein würden. Diese Vermuthung erwies sich, als die Kammer zusammentrat, als gänzlich irrig. Bis auf den letzten Mann hielt die patriotische Partei aus, nebst ihren Ministerialräthen, deren einer mit Ostentation als ihr Führer und als der Mauerbrecher gegen das Ministerium proclamirt wurde. Eben jene Legitimationsverhandlungen zeigten zugleich von Anfang an, in welcher rücksichtslosen Weise sie, unbekümmert um alles Herkommen der parlamentarischen Praxis, das numerische Ueberge¬ wicht, sobald sie dessen sicher wäre, für ihre Parteizwecke ausnützen würde. Ihr Trotz steigerte sich nochmals sie die Verlegenheit der Regierung bemerkte. Unmöglich erschien jene Lösung, die bei demselben Conflict in Stuttgart ge¬ lungen war, wo gleichfalls bei der Präsidentenwahl sieben Scrutinien er¬ forderlich waren, bis eine der gleichstarken Parteien die absolute Mehrheit erhielt, dadurch nämlich, daß einige Wilde, wie dies im würtembergischen Ständesaal stets vorzukommen pflegt, sich dem Einfluß der Regierung zu¬ gänglich erwiesen und so das in Würtemberg doppelt schmähliche Ergebniß verhinderten, daß zum Kammerpräsidenten der Führer der Ultramontanen gewählt würde. Eben dieser Einfluß fehlte in München gänzlich, wo selbst die den Ministern nächststehenden Beamten vielmehr auf ein Zukunftsmini¬ sterium speculirten, als auf das gegenwärtige glaubten Rücksicht nehmen zu müssen. Während der peinlichen Tage der Scrutinien waren eine Menge Projecte zu einem Ausweg, eine Menge Gerüchte von einem angebahnten Comvromiß verbreitet, die Tag für Tag einander ablösten. Bald hieß es, die Ministerialbeamten hätten einen Wink erhalten, von der Sitzung wegzubleiben, um so eine Wahl zu ermöglichen, dann hieß es wieder, eine Anzahl der patrio¬ tischen Abgeordneten sei schwankend geworden und einer versöhnlichen Tactik zugänglich. Endlich sollte ein berühmter Kirchenlehrerin erfolgreicher Weise ver¬ sucht haben, versöhnlich auf die rechte Seite einzuwirken. Alle diese und andere Gerüchte erwiesen sich als müßig. Nicht ein Einziger verließ seine Fahne. Wenn Neigung zum Abfall vorhanden war, so wurde dem durch den Terrorismus der Parteiführer, welche mit Argusaugen Mienen und Stimmzettel der min¬ der Verlässigen controlirten, kräftig vorgebeugt. Als in der letzten Stunde noch Fürst Hohelohe persönlich eine Intervention Persuchte, um wenigstens die provisorische Wahl eines Bureaus zu Stande zu bringen, war es zu spät. Der Widerstand war geschlossen, unerbittlich. Sogar am Hohn fehlte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/132>, abgerufen am 26.06.2024.