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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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gezeigte feste Haltung die Anschläge des Feindes vereitelt habe, und so konnte
man denn am Ende scheiden mit der tröstlichen Gewißheit, "daß das Zoll¬
parlament zur bloßen wirthschaftlichen Versammlung geworden sek"

Wenn nun die abgelaufene Session auch nur das eine Resultat gehabt
hätte, der süddeutschen Fraction etwas von ihrer krankhaften Angst zu be¬
nehmen, so wäre sie nicht vergeblich gewesen. Diese Angst ist vielleicht das
bezeichnendste Moment der im Süden bis jetzt noch vorwaltenden antinationalcn
Strömung. Trotz der bekannten officiellen Erklärungen der preußischen Regie¬
rung, und trotzdem, daß das äußerste Mißtrauen keine Thatsache aufzufinden
vermag, die an der Aufrichtigkeit dieser Erklärungen zweifeln ließe, geht durch
unser schwäbisches Volk das unbestimmte Gefühl und wird geflissentlich ge¬
nährt, daß der Norden es darauf abgesehen habe, den Süden zu vergewalti¬
gen, auszusaugen. zu verschlucken, zu verspeisen, kurz unerhörte Gewaltthat
an ihm zu verüben. Darf doch die particularistische Presse ihren Lesern noch
immer täglich wiederholen, daß vor drei Jahren Preußen unser Land mitten
im tiefsten Frieden aufs treuloseste überfallen und mit Krieg überzogen habe.
Auch sonst ist es nicht grade heldenhafte Gesinnung, durch die das Land der
alten Schwabenstreiche in neueren Zeiten hervorleuchtet. Nur aus diesem
Kreise konnte im vorigen Jahr jener Appell an die Furcht kommen, den der
Bundeskanzler zurückweisen mußte. Und nur an den Gestaden des Neckar
konnte die auf die Furchtsamkeit speculirende Broschüre "eines deutschen Offi¬
ziers" als ein patriotisches Werk verherrlicht werden und eine wenigstens
ephemere Wirkung hervorbringen. Es liegt auf der Hand, daß diese Angst
nicht eben von einem Gefühl der Unbefangenheit zeugt, und es hat sein Ko¬
misches, mit der Thatsache dieses ängstlichen Mißtrauens die rohen Gro߬
sprechereien zusammenzuhalten, mit denen eine renommistische Presse jenes
Gefühl zuweilen zu übertäuben beflissen ist.

Aber auch das liegt auf der Hand: wohl Niemand wird es mehr be¬
dauern, daß von der Arbeit an dem neuen Bund vorläufig die Süddeutschen
ausgeschlossen sind. Sie selbst wollen es nicht anders, und man kann es
ihnen nicht oft genug wiederholen, daß ihr Wille gewissenhaft respectirt
werden wird. Die Politik der Mainlinie hat nachträglich ihre Legitimation
erhalten. So lange der Süden in seiner Mehrheit Männer ins Parlament
schickt, deren Ehrgeiz nach einer zum geflügelten Wort gediehenen Aeußerung
darauf gerichtet ist, das Einigungswerk zu "verpfuschen", so lange ist es gut,
daß ihnen die Möglichkeit hierzu nur innerhalb gewisser Grenzen verstattet ist.
Denn inzwischen schreitet doch der Ausbau des Bundes fort, dem auch sie
dereinst angehören werden. In seiner Mehrheit ist der Süden in der That
für die Einheit noch nicht reif. Wenn man sich das Mißtrauen gegen die be¬
scheidene Institution des Zollparlaments und andererseits den erbitterten


gezeigte feste Haltung die Anschläge des Feindes vereitelt habe, und so konnte
man denn am Ende scheiden mit der tröstlichen Gewißheit, „daß das Zoll¬
parlament zur bloßen wirthschaftlichen Versammlung geworden sek"

Wenn nun die abgelaufene Session auch nur das eine Resultat gehabt
hätte, der süddeutschen Fraction etwas von ihrer krankhaften Angst zu be¬
nehmen, so wäre sie nicht vergeblich gewesen. Diese Angst ist vielleicht das
bezeichnendste Moment der im Süden bis jetzt noch vorwaltenden antinationalcn
Strömung. Trotz der bekannten officiellen Erklärungen der preußischen Regie¬
rung, und trotzdem, daß das äußerste Mißtrauen keine Thatsache aufzufinden
vermag, die an der Aufrichtigkeit dieser Erklärungen zweifeln ließe, geht durch
unser schwäbisches Volk das unbestimmte Gefühl und wird geflissentlich ge¬
nährt, daß der Norden es darauf abgesehen habe, den Süden zu vergewalti¬
gen, auszusaugen. zu verschlucken, zu verspeisen, kurz unerhörte Gewaltthat
an ihm zu verüben. Darf doch die particularistische Presse ihren Lesern noch
immer täglich wiederholen, daß vor drei Jahren Preußen unser Land mitten
im tiefsten Frieden aufs treuloseste überfallen und mit Krieg überzogen habe.
Auch sonst ist es nicht grade heldenhafte Gesinnung, durch die das Land der
alten Schwabenstreiche in neueren Zeiten hervorleuchtet. Nur aus diesem
Kreise konnte im vorigen Jahr jener Appell an die Furcht kommen, den der
Bundeskanzler zurückweisen mußte. Und nur an den Gestaden des Neckar
konnte die auf die Furchtsamkeit speculirende Broschüre „eines deutschen Offi¬
ziers" als ein patriotisches Werk verherrlicht werden und eine wenigstens
ephemere Wirkung hervorbringen. Es liegt auf der Hand, daß diese Angst
nicht eben von einem Gefühl der Unbefangenheit zeugt, und es hat sein Ko¬
misches, mit der Thatsache dieses ängstlichen Mißtrauens die rohen Gro߬
sprechereien zusammenzuhalten, mit denen eine renommistische Presse jenes
Gefühl zuweilen zu übertäuben beflissen ist.

Aber auch das liegt auf der Hand: wohl Niemand wird es mehr be¬
dauern, daß von der Arbeit an dem neuen Bund vorläufig die Süddeutschen
ausgeschlossen sind. Sie selbst wollen es nicht anders, und man kann es
ihnen nicht oft genug wiederholen, daß ihr Wille gewissenhaft respectirt
werden wird. Die Politik der Mainlinie hat nachträglich ihre Legitimation
erhalten. So lange der Süden in seiner Mehrheit Männer ins Parlament
schickt, deren Ehrgeiz nach einer zum geflügelten Wort gediehenen Aeußerung
darauf gerichtet ist, das Einigungswerk zu „verpfuschen", so lange ist es gut,
daß ihnen die Möglichkeit hierzu nur innerhalb gewisser Grenzen verstattet ist.
Denn inzwischen schreitet doch der Ausbau des Bundes fort, dem auch sie
dereinst angehören werden. In seiner Mehrheit ist der Süden in der That
für die Einheit noch nicht reif. Wenn man sich das Mißtrauen gegen die be¬
scheidene Institution des Zollparlaments und andererseits den erbitterten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/69>, abgerufen am 01.07.2024.