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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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man überhaupt dem zu gewärtigenden lästigen Rufe entsprechen wolle. Es
war nicht lange nach der Landtagssession, und weil damals das Ministerium
eine scheinbare Schwenkung ausgeführt und der Demokratie ein unfreund¬
liches Gesicht gezeigt hatte, so meinten die zum Kriegsrath Versammelten,
ihre Stellung zu den beiden College" Varnbüler und Miltnacht (welche zu
dieser Berathung nicht hinzugezogen waren) mochte eine mißliche werden.
Es tauchte sogar der Vorschlag auf, insgesammt das Mandat niederzulegen,
um aufs Neue eine unmißverständliche Willenskundgebung des schwäbischen
Volks herauszufordern. Man überzeugte sich freilich in Bälde, daß Herrn
v. Mittnacht, der sich sein Mandat von den Wählern erneuern lassen mußte,
Unrecht geschehen war, wenn man Zweifel in die Festigkeit seiner parti-
cularistischen Ueberzeugungen gesetzt hatte. Und was schon damals bei der
gemeinschaftlichen Berathung trotz allem Widerstreben den Ausschlag geben
mußte, war das Bewußtsein der gebieterischen Pflicht: es galt, das Vaterland,
nämlich das engere, vor den Erpressungen und Bedrückungen zu retten, welche
ihm unfehlbar beschieden waren, wenn seine Vertheidiger nicht wachsam auf
der Bresche standen. Man beschloß also, dem Rufe zu folgen, um, wie es
in der Kunstsprache des Particularismus heißt, "der weiteren Verpreußung
des Südens und weiterer Aussaugung seiner Kräfte durch neue zollvereins-
ländische Steuern kräftig entgegenzuwirken." Dieses Gefühl der Pflicht machte
gerade die Glieder der schwäbischen Fraction zu den alleremsigsten Parlaments¬
besuchern. sie fehlten nie, und wenn sie auch in der Lage waren, nur einen
einzigen Redner ins Feld zu stellen, der sich mit rühmenswerther Beharrlich¬
keit auch vor die verlorenste Sache aufpflanzte, so verließ doch Keiner seinen
Posten, ehe die letzte Abstimmung vorüber und vollkommene Beruhigung an
die Stelle beängstigender Ahnungen getreten war.

Solche Ausdauer war nun um so mehr anzuerkennen, als der Auf¬
enthalt in der norddeutschen Hauptstadt für die Schwaben voll von Un¬
annehmlichkeiten aller Art war. Solches mußte man wenigstens schließen
aus den Worten, welche Einzelne derselben in heimischen Blättern veröffent¬
lichten und die eine fortlaufende Klage über Alles und noch einiges Andere
bildeten. Das Wetter war kalt, unfreundlich, in der großen Stadt nirgend
eine geziemende Unterhaltung aufzutreiben, in der Oper kein guter Sänger,
im Schauspielhause kein guter Darsteller. Und ebenso kalt wie das Wetter
war die Gesellschaft; man glaubte Rücksichten zu vermissen, denen man noch
im vorigen Jahre begegnet war. "Kein Süddeutscher hat hier Zutritt in
eine Familie", klagte Einer, der freilich später von einem Anderen dementirt
wurde, welcher in dieser Hinsicht glücklicher gewesen zu sein schien. Daß der
Rechenschaftsbericht der süddeutschen Fraction und die Eindrücke, welche einige
Abgeordnete nach der ersten Session vor ihren Wählern in Würtemberg und


g.

man überhaupt dem zu gewärtigenden lästigen Rufe entsprechen wolle. Es
war nicht lange nach der Landtagssession, und weil damals das Ministerium
eine scheinbare Schwenkung ausgeführt und der Demokratie ein unfreund¬
liches Gesicht gezeigt hatte, so meinten die zum Kriegsrath Versammelten,
ihre Stellung zu den beiden College» Varnbüler und Miltnacht (welche zu
dieser Berathung nicht hinzugezogen waren) mochte eine mißliche werden.
Es tauchte sogar der Vorschlag auf, insgesammt das Mandat niederzulegen,
um aufs Neue eine unmißverständliche Willenskundgebung des schwäbischen
Volks herauszufordern. Man überzeugte sich freilich in Bälde, daß Herrn
v. Mittnacht, der sich sein Mandat von den Wählern erneuern lassen mußte,
Unrecht geschehen war, wenn man Zweifel in die Festigkeit seiner parti-
cularistischen Ueberzeugungen gesetzt hatte. Und was schon damals bei der
gemeinschaftlichen Berathung trotz allem Widerstreben den Ausschlag geben
mußte, war das Bewußtsein der gebieterischen Pflicht: es galt, das Vaterland,
nämlich das engere, vor den Erpressungen und Bedrückungen zu retten, welche
ihm unfehlbar beschieden waren, wenn seine Vertheidiger nicht wachsam auf
der Bresche standen. Man beschloß also, dem Rufe zu folgen, um, wie es
in der Kunstsprache des Particularismus heißt, „der weiteren Verpreußung
des Südens und weiterer Aussaugung seiner Kräfte durch neue zollvereins-
ländische Steuern kräftig entgegenzuwirken." Dieses Gefühl der Pflicht machte
gerade die Glieder der schwäbischen Fraction zu den alleremsigsten Parlaments¬
besuchern. sie fehlten nie, und wenn sie auch in der Lage waren, nur einen
einzigen Redner ins Feld zu stellen, der sich mit rühmenswerther Beharrlich¬
keit auch vor die verlorenste Sache aufpflanzte, so verließ doch Keiner seinen
Posten, ehe die letzte Abstimmung vorüber und vollkommene Beruhigung an
die Stelle beängstigender Ahnungen getreten war.

Solche Ausdauer war nun um so mehr anzuerkennen, als der Auf¬
enthalt in der norddeutschen Hauptstadt für die Schwaben voll von Un¬
annehmlichkeiten aller Art war. Solches mußte man wenigstens schließen
aus den Worten, welche Einzelne derselben in heimischen Blättern veröffent¬
lichten und die eine fortlaufende Klage über Alles und noch einiges Andere
bildeten. Das Wetter war kalt, unfreundlich, in der großen Stadt nirgend
eine geziemende Unterhaltung aufzutreiben, in der Oper kein guter Sänger,
im Schauspielhause kein guter Darsteller. Und ebenso kalt wie das Wetter
war die Gesellschaft; man glaubte Rücksichten zu vermissen, denen man noch
im vorigen Jahre begegnet war. „Kein Süddeutscher hat hier Zutritt in
eine Familie", klagte Einer, der freilich später von einem Anderen dementirt
wurde, welcher in dieser Hinsicht glücklicher gewesen zu sein schien. Daß der
Rechenschaftsbericht der süddeutschen Fraction und die Eindrücke, welche einige
Abgeordnete nach der ersten Session vor ihren Wählern in Würtemberg und


g.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/67>, abgerufen am 03.07.2024.