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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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dings ungefährlich, sie erschweren aber, zugleich eine rasche und vollständige
Beseitigung der Wirren, welche die den Kirgisischer Nomaden zugemuthete
Annahme einer streng bureaukratischen Organisation hervorgerufen hat.

Von der politischen Windstille, welche auf dem größten Theil unseres
Continents herrschte und die in England nach der angreifenden und wichtigen
Parlamentssession besonders gründlich war, sind eigentlich nur die beiden
südlichen Halbinseln ausgenommen gewesen, welche in das mittelländische
Meer ragen. In Italien kann das Cabinet Menabrea-Cambray-Digny nicht
leben und nicht sterben, nehmen die Anzeichen innerer Auflösung und Zer¬
setzung fortwährend zu, ohne daß sich Keime einer neuen Ordnung zeigten,
welche an die Stelle der alten treten könnte. Parteiumtriebe und politische
Intriguen, welche an der Grenze gemeiner Verbrechen stehen, ja diese über¬
schreiten, tragen immer wieder dazu bei, den Credit der Volksvertretung in
den Augen der Nation wie der Regierung herabzubringen. Das Cabinet steht
einer vielgespaltenen, nur in der Negation der Regierungsvorschläge einigen
Opposition gegenüber, die kaum darauf Anspruch macht, auch nur sich selbst
für regierungstüchtig zu gelten, und wird durch die stets zunehmende Finanznoth
an eingreifender Verbesserung der Stoatsmaschine und Hebung der noch
ziemlich primären Anstalten zur Förderung der Volkswohlfahrt gehindert. --
In Rom wird an den Vorbereitungen zum ökumenischen Concil rüstig weiter
gearbeitet, aber mit dem Herannahen des Termins für den Zusammentritt
desselben nehmen die Chancen für einen Ausgang im Sinne der Unternehmer
ab. Die katholischen Regierungen haben ausnahmslos eine zurückhaltende
Stellung eingenommen, die Mißtrauen gegen Uebergriffe der Kirchenfürsten
auf das politische Gebiet, an der Stirn trägt. Bayern hat seine bezüglichen
Befürchtungen ganz direkt ausgesprochen, Frankreich den Entschluß gefaßt,
sich auf dem Concil diplomatisch nicht vertreten zu lassen. Sehr viel wichtiger
noch sind die Kundgebungen innerhalb der Kirche selbst, welche im Voraus
gegen die Prätensionen der Jesuitenpartei Verwahrung einlegen. Dahin
gehören das Gutachten Döllingers, die Adresse der rheinischen Katholiken
und vor Allem die Kundgebung der in Fulda versammelt gewesenen Bischöfe,
welche die verdiente Aufmerksamkeit im Auslande früher gefunden zu haben
scheint, als in Deutschland, und mit welcher sich die liberale französische
Presse besonders eifrig beschäftigt hat. während der Univers bemüht war,
dieser außerordentlich geschickt formulirten Erklärung ihre gegen den Ultra"
montanismus gerichtete Spitze abzubrechen. Innerhalb der katholischen Kirche
ist die Jesuitenpartei so lange die rührigere und vorherrschende gewesen,
daß die Kundgebung abweichender Anschauungen von Seiten der deutschen
Bischöfe Rom ebenso überraschend war wie der protestantischen Welt, und
um so nachhaltigerem Eindruck machte.


dings ungefährlich, sie erschweren aber, zugleich eine rasche und vollständige
Beseitigung der Wirren, welche die den Kirgisischer Nomaden zugemuthete
Annahme einer streng bureaukratischen Organisation hervorgerufen hat.

Von der politischen Windstille, welche auf dem größten Theil unseres
Continents herrschte und die in England nach der angreifenden und wichtigen
Parlamentssession besonders gründlich war, sind eigentlich nur die beiden
südlichen Halbinseln ausgenommen gewesen, welche in das mittelländische
Meer ragen. In Italien kann das Cabinet Menabrea-Cambray-Digny nicht
leben und nicht sterben, nehmen die Anzeichen innerer Auflösung und Zer¬
setzung fortwährend zu, ohne daß sich Keime einer neuen Ordnung zeigten,
welche an die Stelle der alten treten könnte. Parteiumtriebe und politische
Intriguen, welche an der Grenze gemeiner Verbrechen stehen, ja diese über¬
schreiten, tragen immer wieder dazu bei, den Credit der Volksvertretung in
den Augen der Nation wie der Regierung herabzubringen. Das Cabinet steht
einer vielgespaltenen, nur in der Negation der Regierungsvorschläge einigen
Opposition gegenüber, die kaum darauf Anspruch macht, auch nur sich selbst
für regierungstüchtig zu gelten, und wird durch die stets zunehmende Finanznoth
an eingreifender Verbesserung der Stoatsmaschine und Hebung der noch
ziemlich primären Anstalten zur Förderung der Volkswohlfahrt gehindert. —
In Rom wird an den Vorbereitungen zum ökumenischen Concil rüstig weiter
gearbeitet, aber mit dem Herannahen des Termins für den Zusammentritt
desselben nehmen die Chancen für einen Ausgang im Sinne der Unternehmer
ab. Die katholischen Regierungen haben ausnahmslos eine zurückhaltende
Stellung eingenommen, die Mißtrauen gegen Uebergriffe der Kirchenfürsten
auf das politische Gebiet, an der Stirn trägt. Bayern hat seine bezüglichen
Befürchtungen ganz direkt ausgesprochen, Frankreich den Entschluß gefaßt,
sich auf dem Concil diplomatisch nicht vertreten zu lassen. Sehr viel wichtiger
noch sind die Kundgebungen innerhalb der Kirche selbst, welche im Voraus
gegen die Prätensionen der Jesuitenpartei Verwahrung einlegen. Dahin
gehören das Gutachten Döllingers, die Adresse der rheinischen Katholiken
und vor Allem die Kundgebung der in Fulda versammelt gewesenen Bischöfe,
welche die verdiente Aufmerksamkeit im Auslande früher gefunden zu haben
scheint, als in Deutschland, und mit welcher sich die liberale französische
Presse besonders eifrig beschäftigt hat. während der Univers bemüht war,
dieser außerordentlich geschickt formulirten Erklärung ihre gegen den Ultra«
montanismus gerichtete Spitze abzubrechen. Innerhalb der katholischen Kirche
ist die Jesuitenpartei so lange die rührigere und vorherrschende gewesen,
daß die Kundgebung abweichender Anschauungen von Seiten der deutschen
Bischöfe Rom ebenso überraschend war wie der protestantischen Welt, und
um so nachhaltigerem Eindruck machte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/522>, abgerufen am 23.07.2024.