Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.wie man sie in Stuttgart und Darmstadt ebenfalls natürlich finden würde, "Fortschrittspartei" nennen sich die bayrischen Nationalliberalen noch Auf der anderen Seite aber sollte freilich das zarte Verhältniß zum wie man sie in Stuttgart und Darmstadt ebenfalls natürlich finden würde, „Fortschrittspartei" nennen sich die bayrischen Nationalliberalen noch Auf der anderen Seite aber sollte freilich das zarte Verhältniß zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121699"/> <p xml:id="ID_1473" prev="#ID_1472"> wie man sie in Stuttgart und Darmstadt ebenfalls natürlich finden würde,<lb/> wenn dort die entfernteste Aussicht bestünde, Hof und Staat im Guten auf<lb/> die vaterländische Seite hinüberzuziehen. Wie vorsichtig man vollends in<lb/> Bayern vorgehen muß, wo ein nationalgesinnter Ministerpräsident nur gleich¬<lb/> sam auf Wohlverhalten geduldet wird, die ganze Dynastie den feindlichen<lb/> Mächten huldigt, der Ultramontanismus noch fast über die Hälfte der Wahl¬<lb/> kreise verfügt, ist leicht zu verstehen. Rücksichtsloses Vorgehen der National¬<lb/> partei wird dort nur dann denkbar sein, wenn es den Gegnern gelingen sollte,<lb/> Hohenlohe zu stürzen, und wenn ein ultramontan-particularistisches Cabinet die<lb/> Zügel der Regierung übernähme. Obgleich es auch dann noch die Aufsaugung<lb/> der alten Mittelpartei mit ihrer mehr specifisch bayrischen Färbung und der<lb/> mit Verantwortlichkeit verknüpfte Besitz der Mehrheit in der Abgeordneten¬<lb/> kammer der Fortschrittspartei erschweren würden, so reine Zukunftspolitik zu<lb/> treiben, wie eine Minderheit allenfalls kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1474"> „Fortschrittspartei" nennen sich die bayrischen Nationalliberalen noch<lb/> von Anno 1863 her, und das ist nicht blos ein zufällig stehengebliebener<lb/> Name. Wenn ihre Führer zum Zollparlament in Berlin erscheinen, so lehnen<lb/> gerade die populärsten unter ihnen, Volk und Cramer, es allemal ab, zwischen<lb/> den Nationalliberalen und der sich noch immer so nennenden Fortschritts¬<lb/> partei in Norddeutschland — zu wählen. Wie in München nach rechts und<lb/> oben hin, so wollen sie in Berlin nach links und unten hin die Brücke<lb/> nicht abbrechen, welche in ein benachbartes Lager führt. Da die Stunde der<lb/> Entscheidungsschlacht für sie doch einmal nicht geschlagen hat, sehen sie auch<lb/> die Nothwendigkeit einer völlig klaren und überall scharf umschriebenen Posi¬<lb/> tion noch nicht ein Durch Aufrechterhaltung ihrer früheren Beziehungen zu<lb/> Männern wie Schulze-Delitzsch, Löwe, Duncker hoffen sie den Radicalismus<lb/> in ihrem Lande desto erfolgreicher niederzuhalten. Sie befinden sich mit alle-<lb/> dem jetzt genau in der Lage und Stimmung, wie bis vor wenigen Jahren<lb/> noch die Masse der heutigen „deutschen Partei" in Württemberg, wo auch<lb/> die Anlehnung nach links und rechts hin sorgfältig festgehalten wurde, Hölder<lb/> mit Probst und Oesterlen vertrauliche Parteiberathungen pflog und der Schwä¬<lb/> bische Mercur sein heutiges Maß von bestimmter nationaler Farbe noch nicht<lb/> angelegt hatte. Sich dieser Götterdämmerung erinnernd, werden die Würt¬<lb/> temberger das Verhalten ihrer bayrischen Nachbarn richtiger und gerechter<lb/> beurtheilen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1475" next="#ID_1476"> Auf der anderen Seite aber sollte freilich das zarte Verhältniß zum<lb/> Fürsten Hohenlohe die bayrischen Nationalliberalen auch nicht abhalten, die<lb/> Hand zu ergreifen, welche ihre minder gebundenen Freunde in Württemberg,<lb/> Baden und Hessen ihnen bieten. Die Organisation braucht ja nicht so eng,<lb/> das Programm nicht so absolut zu sein, daß es ihre innere Lage verhängniß-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0478]
wie man sie in Stuttgart und Darmstadt ebenfalls natürlich finden würde,
wenn dort die entfernteste Aussicht bestünde, Hof und Staat im Guten auf
die vaterländische Seite hinüberzuziehen. Wie vorsichtig man vollends in
Bayern vorgehen muß, wo ein nationalgesinnter Ministerpräsident nur gleich¬
sam auf Wohlverhalten geduldet wird, die ganze Dynastie den feindlichen
Mächten huldigt, der Ultramontanismus noch fast über die Hälfte der Wahl¬
kreise verfügt, ist leicht zu verstehen. Rücksichtsloses Vorgehen der National¬
partei wird dort nur dann denkbar sein, wenn es den Gegnern gelingen sollte,
Hohenlohe zu stürzen, und wenn ein ultramontan-particularistisches Cabinet die
Zügel der Regierung übernähme. Obgleich es auch dann noch die Aufsaugung
der alten Mittelpartei mit ihrer mehr specifisch bayrischen Färbung und der
mit Verantwortlichkeit verknüpfte Besitz der Mehrheit in der Abgeordneten¬
kammer der Fortschrittspartei erschweren würden, so reine Zukunftspolitik zu
treiben, wie eine Minderheit allenfalls kann.
„Fortschrittspartei" nennen sich die bayrischen Nationalliberalen noch
von Anno 1863 her, und das ist nicht blos ein zufällig stehengebliebener
Name. Wenn ihre Führer zum Zollparlament in Berlin erscheinen, so lehnen
gerade die populärsten unter ihnen, Volk und Cramer, es allemal ab, zwischen
den Nationalliberalen und der sich noch immer so nennenden Fortschritts¬
partei in Norddeutschland — zu wählen. Wie in München nach rechts und
oben hin, so wollen sie in Berlin nach links und unten hin die Brücke
nicht abbrechen, welche in ein benachbartes Lager führt. Da die Stunde der
Entscheidungsschlacht für sie doch einmal nicht geschlagen hat, sehen sie auch
die Nothwendigkeit einer völlig klaren und überall scharf umschriebenen Posi¬
tion noch nicht ein Durch Aufrechterhaltung ihrer früheren Beziehungen zu
Männern wie Schulze-Delitzsch, Löwe, Duncker hoffen sie den Radicalismus
in ihrem Lande desto erfolgreicher niederzuhalten. Sie befinden sich mit alle-
dem jetzt genau in der Lage und Stimmung, wie bis vor wenigen Jahren
noch die Masse der heutigen „deutschen Partei" in Württemberg, wo auch
die Anlehnung nach links und rechts hin sorgfältig festgehalten wurde, Hölder
mit Probst und Oesterlen vertrauliche Parteiberathungen pflog und der Schwä¬
bische Mercur sein heutiges Maß von bestimmter nationaler Farbe noch nicht
angelegt hatte. Sich dieser Götterdämmerung erinnernd, werden die Würt¬
temberger das Verhalten ihrer bayrischen Nachbarn richtiger und gerechter
beurtheilen.
Auf der anderen Seite aber sollte freilich das zarte Verhältniß zum
Fürsten Hohenlohe die bayrischen Nationalliberalen auch nicht abhalten, die
Hand zu ergreifen, welche ihre minder gebundenen Freunde in Württemberg,
Baden und Hessen ihnen bieten. Die Organisation braucht ja nicht so eng,
das Programm nicht so absolut zu sein, daß es ihre innere Lage verhängniß-
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