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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Beschränkung des cleriealen Einflusses überhaupt herbeiführen zu können
glaubte, ein Glaube, der sich indessen als sehr trügerisch herausstellen dürfte.
Ganz läßt sich indessen der Eifer der liberalen Partei hieraus nicht erklären;
auch die Furcht hat eine nicht unbedeutende Rolle in dieser Angelegenheit
gespielt. Die Schullehrer sind aus dem Platten Lande bereits zu einer keines¬
wegs zu unterschätzenden Macht herangewachsen. Da sie allein im Stande sind,
den Einfluß der Geistlichen auf die Landbevölkerung einigermaßen zu Para¬
lysiren, so waren sie der liberalen Partei bei den Wahlen ganz unentbehr¬
lich. So ist denn manches Wort, das die Kammerdebatte der wahren Sach¬
lage etwas näher gebracht hätte, im Hinblick auf diese Unentbehrlichkeit in
der Brust der Volksvertreter verschlossen geblieben.

Nun, der Entwurf ist gefallen; das aber, was nach unserem Dafürhalten
den einzigen stichhaltigen Grund der ganzen Agitation bildete, nämlich die
Verbesserung der Gehalte der Lehrer und damit die Verbesserung ihrer ganzen
socialen Stellung, kann auch von der jetzigen Kammer jeden Augenblick
erlangt werden.

Wir würden uns nicht so lange bei dieser bereits abgethanen Sache
aufgehalten haben, wenn es nicht in Bayern gegenwärtig Mode wäre, Alles
auf die Mängel des Schulwesens zu schieben. Mag es in der Armee oder
der Justiz, bei der Eisenbahn oder beim Theater an irgend etwas fehlen,
überall ist der wahre Grund die mangelhafte Schulbildung. Erlauben Sie mir
eine kleine Geschichte anzuführen, welche Ihnen beweisen wird, bis zu welcher
Verwirrung die Klagen über das Schulwesen bereits in einigen Köpfen ge¬
diehen sind. Vor einiger Zeit veranstalteten mehrere Dilettanten zu einem
wohlthätigen Zwecke eine Vorstellung im Nesidenztheater. Der Berichterstatter
eines sehr verbreiteten Augsburger Blattes hatte sehr viel an der Darstellung
der als Schauspieler auftretenden Herren auszusetzen, und schloß seine Recension
mit dem Ausrufe: Es müßten doch die Volksschulen recht dringend einer Ver¬
besserung bedürfen, wenn so wenig in der darstellenden Kunst geleistet werde.

Möge nur solchen Uebertreibungen nicht eine Reaction auf dem Fuße
folgen, welche der Schule selbst verderblich wird.

Nach alledem werden wir wohl einer Kammersaison entgegengehen, welche
weniger stürmisch sein wird, als dies die politische Constellation herbeiführen
zu müssen scheint. Jedenfalls wird die Loosung für den Feldzug sein müssen,
Alles zu vermeiden, was den Ultramontanen Gelegenheit geben könnte, ihre
Stärke und ihren Einfluß zu zeigen, und dies kann um so leichter geschehen, als
die äußeren Beziehungen Bayerns, namentlich die zum norddeutschen Bunde, ver¬
tragsmäßig geordnet und im Innern die Socialgesetzung bereits ins Leben
getreten ist. Die Ultramontanen sind in diesen Beziehungen entschieden schon
zu spät gekommen!




Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. ZuliuS Eckardt.
Verlag von F. L. Hervig. -- Druck von Hüthel L Segler in Leipzig.

Beschränkung des cleriealen Einflusses überhaupt herbeiführen zu können
glaubte, ein Glaube, der sich indessen als sehr trügerisch herausstellen dürfte.
Ganz läßt sich indessen der Eifer der liberalen Partei hieraus nicht erklären;
auch die Furcht hat eine nicht unbedeutende Rolle in dieser Angelegenheit
gespielt. Die Schullehrer sind aus dem Platten Lande bereits zu einer keines¬
wegs zu unterschätzenden Macht herangewachsen. Da sie allein im Stande sind,
den Einfluß der Geistlichen auf die Landbevölkerung einigermaßen zu Para¬
lysiren, so waren sie der liberalen Partei bei den Wahlen ganz unentbehr¬
lich. So ist denn manches Wort, das die Kammerdebatte der wahren Sach¬
lage etwas näher gebracht hätte, im Hinblick auf diese Unentbehrlichkeit in
der Brust der Volksvertreter verschlossen geblieben.

Nun, der Entwurf ist gefallen; das aber, was nach unserem Dafürhalten
den einzigen stichhaltigen Grund der ganzen Agitation bildete, nämlich die
Verbesserung der Gehalte der Lehrer und damit die Verbesserung ihrer ganzen
socialen Stellung, kann auch von der jetzigen Kammer jeden Augenblick
erlangt werden.

Wir würden uns nicht so lange bei dieser bereits abgethanen Sache
aufgehalten haben, wenn es nicht in Bayern gegenwärtig Mode wäre, Alles
auf die Mängel des Schulwesens zu schieben. Mag es in der Armee oder
der Justiz, bei der Eisenbahn oder beim Theater an irgend etwas fehlen,
überall ist der wahre Grund die mangelhafte Schulbildung. Erlauben Sie mir
eine kleine Geschichte anzuführen, welche Ihnen beweisen wird, bis zu welcher
Verwirrung die Klagen über das Schulwesen bereits in einigen Köpfen ge¬
diehen sind. Vor einiger Zeit veranstalteten mehrere Dilettanten zu einem
wohlthätigen Zwecke eine Vorstellung im Nesidenztheater. Der Berichterstatter
eines sehr verbreiteten Augsburger Blattes hatte sehr viel an der Darstellung
der als Schauspieler auftretenden Herren auszusetzen, und schloß seine Recension
mit dem Ausrufe: Es müßten doch die Volksschulen recht dringend einer Ver¬
besserung bedürfen, wenn so wenig in der darstellenden Kunst geleistet werde.

Möge nur solchen Uebertreibungen nicht eine Reaction auf dem Fuße
folgen, welche der Schule selbst verderblich wird.

Nach alledem werden wir wohl einer Kammersaison entgegengehen, welche
weniger stürmisch sein wird, als dies die politische Constellation herbeiführen
zu müssen scheint. Jedenfalls wird die Loosung für den Feldzug sein müssen,
Alles zu vermeiden, was den Ultramontanen Gelegenheit geben könnte, ihre
Stärke und ihren Einfluß zu zeigen, und dies kann um so leichter geschehen, als
die äußeren Beziehungen Bayerns, namentlich die zum norddeutschen Bunde, ver¬
tragsmäßig geordnet und im Innern die Socialgesetzung bereits ins Leben
getreten ist. Die Ultramontanen sind in diesen Beziehungen entschieden schon
zu spät gekommen!




Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. ZuliuS Eckardt.
Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthel L Segler in Leipzig.
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[0448] Beschränkung des cleriealen Einflusses überhaupt herbeiführen zu können glaubte, ein Glaube, der sich indessen als sehr trügerisch herausstellen dürfte. Ganz läßt sich indessen der Eifer der liberalen Partei hieraus nicht erklären; auch die Furcht hat eine nicht unbedeutende Rolle in dieser Angelegenheit gespielt. Die Schullehrer sind aus dem Platten Lande bereits zu einer keines¬ wegs zu unterschätzenden Macht herangewachsen. Da sie allein im Stande sind, den Einfluß der Geistlichen auf die Landbevölkerung einigermaßen zu Para¬ lysiren, so waren sie der liberalen Partei bei den Wahlen ganz unentbehr¬ lich. So ist denn manches Wort, das die Kammerdebatte der wahren Sach¬ lage etwas näher gebracht hätte, im Hinblick auf diese Unentbehrlichkeit in der Brust der Volksvertreter verschlossen geblieben. Nun, der Entwurf ist gefallen; das aber, was nach unserem Dafürhalten den einzigen stichhaltigen Grund der ganzen Agitation bildete, nämlich die Verbesserung der Gehalte der Lehrer und damit die Verbesserung ihrer ganzen socialen Stellung, kann auch von der jetzigen Kammer jeden Augenblick erlangt werden. Wir würden uns nicht so lange bei dieser bereits abgethanen Sache aufgehalten haben, wenn es nicht in Bayern gegenwärtig Mode wäre, Alles auf die Mängel des Schulwesens zu schieben. Mag es in der Armee oder der Justiz, bei der Eisenbahn oder beim Theater an irgend etwas fehlen, überall ist der wahre Grund die mangelhafte Schulbildung. Erlauben Sie mir eine kleine Geschichte anzuführen, welche Ihnen beweisen wird, bis zu welcher Verwirrung die Klagen über das Schulwesen bereits in einigen Köpfen ge¬ diehen sind. Vor einiger Zeit veranstalteten mehrere Dilettanten zu einem wohlthätigen Zwecke eine Vorstellung im Nesidenztheater. Der Berichterstatter eines sehr verbreiteten Augsburger Blattes hatte sehr viel an der Darstellung der als Schauspieler auftretenden Herren auszusetzen, und schloß seine Recension mit dem Ausrufe: Es müßten doch die Volksschulen recht dringend einer Ver¬ besserung bedürfen, wenn so wenig in der darstellenden Kunst geleistet werde. Möge nur solchen Uebertreibungen nicht eine Reaction auf dem Fuße folgen, welche der Schule selbst verderblich wird. Nach alledem werden wir wohl einer Kammersaison entgegengehen, welche weniger stürmisch sein wird, als dies die politische Constellation herbeiführen zu müssen scheint. Jedenfalls wird die Loosung für den Feldzug sein müssen, Alles zu vermeiden, was den Ultramontanen Gelegenheit geben könnte, ihre Stärke und ihren Einfluß zu zeigen, und dies kann um so leichter geschehen, als die äußeren Beziehungen Bayerns, namentlich die zum norddeutschen Bunde, ver¬ tragsmäßig geordnet und im Innern die Socialgesetzung bereits ins Leben getreten ist. Die Ultramontanen sind in diesen Beziehungen entschieden schon zu spät gekommen! Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. ZuliuS Eckardt. Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthel L Segler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/448>, abgerufen am 22.07.2024.