Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.Jedenfalls steht fest, daß die Ultramontanen eine, wenn auch ganz kleine Unter diesen Umständen hat nach unserem Dafürhalten die gegenwärtige Jedenfalls steht fest, daß die Ultramontanen eine, wenn auch ganz kleine Unter diesen Umständen hat nach unserem Dafürhalten die gegenwärtige <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121667"/> <p xml:id="ID_1383" prev="#ID_1382"> Jedenfalls steht fest, daß die Ultramontanen eine, wenn auch ganz kleine<lb/> Mehrheit ihrer Leute durchgesetzt haben und daß Bayern, seit die Constitution<lb/> besteht, noch nie so schwer zu regieren war als gegenwärtig. Bisher stand<lb/> der Regierung eine ausschlaggebende Anzahl von Abgeordneten entweder als<lb/> mehr oder minder ausgesprochene ministerielle Partei zur Seite oder als er¬<lb/> drückende Opposition gegenüber. Was aber soll jetzt geschehen, wo die<lb/> Parteien sich so vollständig die Waage halten, daß das Erkranken oder Aus¬<lb/> bleiben des einen oder anderen Abgeordneten der Gegenpartei zum Siege<lb/> verhelfen kann? Durch einen Wechsel des Ministeriums ist selbstverständlich<lb/> dem Lande der Friede nicht wiederzugeben. Denn ein ultramontanes Ca-<lb/> binet würde nicht allein eine seine Thätigkeit lähmende Opposition in der<lb/> Kammer vorfinden, sondern überdies die Gefahr heraufbeschwören, daß in den<lb/> protestantischen Provinzen sich eine rein annexionistische Partei heraus¬<lb/> bildete.</p><lb/> <p xml:id="ID_1384" next="#ID_1385"> Unter diesen Umständen hat nach unserem Dafürhalten die gegenwärtige<lb/> Regierung ganz mit Recht und ganz im konstitutionellen Sinne den Ent¬<lb/> schluß gefaßt, trotz der wenig verlockenden Situation am Ruder zu bleiben.<lb/> Freilich die Tage der Reform in Kirche und Schule, die Tage, wo an eine<lb/> Ausdehnung der Beziehungen zum norddeutschen Bunde gedacht werden konnte,<lb/> sind für einige Zeit vorüber. Darüber wird man sich wohl in. den ma߬<lb/> gebenden Kreisen keinen Illusionen hingeben, und so viel man hört, soll auch<lb/> das „moll ins temAers" dieser sturmerregenden Fragen in das neue Pro¬<lb/> gramm des Ministeriums aufgenommen worden sein. Die gegenwärtige Re¬<lb/> gierung vermag aber doch zu hindern, daß Bayern durch die Ultramontanen<lb/> von dem Punkte wieder herabgestoßen werde, den es in Folge seines funfzig¬<lb/> jährigen Verfassungslebens bereits erreicht hat. Auch wird auf neutralem<lb/> Gebiete,— wenn dieser Ausdruck hier erlaubt ist, — die gesetzgebende Maschine<lb/> unter der jetzigen Regierung nicht zum Stillstand gebracht werden können.<lb/> Denn daß, wie sich vielleicht Lucas, Buchner und Consorten einbilden mögen, die<lb/> ultramontane Partei Parteifragen nicht berührende Vorlagen des Ministeriums<lb/> nur deswegen verwerfen wolle oder könne, weil sie von einem liberalen Mi¬<lb/> nisterium kommen, das glauben wir nicht. An sich Gutes zu verwerfen, weil<lb/> man den Spender desselben nicht mag, — diese Methode ist in der Politik<lb/> in Folge trauriger Erfahrung in Abgang gekommen und wir sind fest über¬<lb/> zeugt, daß sich die Ultramontanen diese Erfahrung ihrer Gegner ebenfalls zu<lb/> Herzen genommen haben. Sollte ein derartiger Versuch dennoch gemacht<lb/> werden, so würde dies sicher eine jener Spaltungen innerhalb der ultramon¬<lb/> tanen Partei hervorrufen, mit denen zu calculiren die Liberalen schon längst<lb/> gewohnt sind. Aus der bis jetzt geschlossenen Phalanx der Ultramon¬<lb/> tanen würde sich eine Mittelpartei abzweigen, die zwar in äußeren Fragen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0446]
Jedenfalls steht fest, daß die Ultramontanen eine, wenn auch ganz kleine
Mehrheit ihrer Leute durchgesetzt haben und daß Bayern, seit die Constitution
besteht, noch nie so schwer zu regieren war als gegenwärtig. Bisher stand
der Regierung eine ausschlaggebende Anzahl von Abgeordneten entweder als
mehr oder minder ausgesprochene ministerielle Partei zur Seite oder als er¬
drückende Opposition gegenüber. Was aber soll jetzt geschehen, wo die
Parteien sich so vollständig die Waage halten, daß das Erkranken oder Aus¬
bleiben des einen oder anderen Abgeordneten der Gegenpartei zum Siege
verhelfen kann? Durch einen Wechsel des Ministeriums ist selbstverständlich
dem Lande der Friede nicht wiederzugeben. Denn ein ultramontanes Ca-
binet würde nicht allein eine seine Thätigkeit lähmende Opposition in der
Kammer vorfinden, sondern überdies die Gefahr heraufbeschwören, daß in den
protestantischen Provinzen sich eine rein annexionistische Partei heraus¬
bildete.
Unter diesen Umständen hat nach unserem Dafürhalten die gegenwärtige
Regierung ganz mit Recht und ganz im konstitutionellen Sinne den Ent¬
schluß gefaßt, trotz der wenig verlockenden Situation am Ruder zu bleiben.
Freilich die Tage der Reform in Kirche und Schule, die Tage, wo an eine
Ausdehnung der Beziehungen zum norddeutschen Bunde gedacht werden konnte,
sind für einige Zeit vorüber. Darüber wird man sich wohl in. den ma߬
gebenden Kreisen keinen Illusionen hingeben, und so viel man hört, soll auch
das „moll ins temAers" dieser sturmerregenden Fragen in das neue Pro¬
gramm des Ministeriums aufgenommen worden sein. Die gegenwärtige Re¬
gierung vermag aber doch zu hindern, daß Bayern durch die Ultramontanen
von dem Punkte wieder herabgestoßen werde, den es in Folge seines funfzig¬
jährigen Verfassungslebens bereits erreicht hat. Auch wird auf neutralem
Gebiete,— wenn dieser Ausdruck hier erlaubt ist, — die gesetzgebende Maschine
unter der jetzigen Regierung nicht zum Stillstand gebracht werden können.
Denn daß, wie sich vielleicht Lucas, Buchner und Consorten einbilden mögen, die
ultramontane Partei Parteifragen nicht berührende Vorlagen des Ministeriums
nur deswegen verwerfen wolle oder könne, weil sie von einem liberalen Mi¬
nisterium kommen, das glauben wir nicht. An sich Gutes zu verwerfen, weil
man den Spender desselben nicht mag, — diese Methode ist in der Politik
in Folge trauriger Erfahrung in Abgang gekommen und wir sind fest über¬
zeugt, daß sich die Ultramontanen diese Erfahrung ihrer Gegner ebenfalls zu
Herzen genommen haben. Sollte ein derartiger Versuch dennoch gemacht
werden, so würde dies sicher eine jener Spaltungen innerhalb der ultramon¬
tanen Partei hervorrufen, mit denen zu calculiren die Liberalen schon längst
gewohnt sind. Aus der bis jetzt geschlossenen Phalanx der Ultramon¬
tanen würde sich eine Mittelpartei abzweigen, die zwar in äußeren Fragen
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