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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Stellungen, die sich gewissermaßen ergänzen: die verliebte Nonne, ein schönes
Mädchen,mit hektischer Gesichtsfarbe am Stamm des Kreuzes sich windend,
offenbar im Kampf auf Tod und Leben mit der Sinnlichkeit, elegant und
sicher vorgetragen, -- und außerdem einen "Anatomen" : der Mann sitzt am
Pult in düsterer Stube und zieht eben das Tuch von der Leiche eines jungen
Mädchens hinweg, die in steiler Verkürzung auf dem Sectionsbrete liegt,
und hält in dem Moment inne, da die knospende Brust des Opfers blos
wird. Wie Monogramme sind Schmetterlinge angebracht, die sich sowol
dort an den Füßen der armen Lebenden, als auch an denen der Todten zu
thun machen; hier ein Nachtschmetterling. Daß wir es mit einer nächtlichen
Phantasie zu thun haben, brauchte nicht erst angedeutet zu werden; wir sind
indeß so frei, die Thiere in der Eigenschaft ihrer Vergänglichkeit a!s Verheißun¬
gen aufzufassen; denn die Verirrung des letztgenannten Bildes darf doch keine
Dauer haben. Dem Apparat desselben mag die Kritik getrost das Secir-
messer entlehnen.

Wie um die ernten Nachahmer zu beschämen, ist diesmal ein fran¬
zösischer Virtuos in der Schilderung aufregender Contraste. James Ber¬
trand, mit einem Bilde erschienen, das die tiefste Rührung hervorrufen
muß: im Ufersand des Meeres lang ausgestreckt, die Arme vorn zusammen¬
geschmiegt (ganz nach dem Motive der Cäcilienstatue von Maderno, nur daß
der Kopf nach vorn gekehrt ist) liegt ein todtes Mädchen in einfachem blau¬
streifigen Kleide; ein wenig Korallenschmuck und die feinen Strümpfe
deuten auf gute Herkunft; der Tod, unzweifelhaft eigene Wahl, hat den
Ausdruck der lieblichen, wenn auch nickt hervorragend schönen Züge wieder
verklärt und macht die Erscheinung in allem Elend ruhevoll. Kein gesuchter
Lichteffekt stört den wehmüthigen Zauber; mit liebevoller Discretion läßt
der Künstler die anfluthende Welle bäumen, sodaß die holde Gestalt im
nächsten Augenblick begraben werden muß; der Himmel dämmert und eine
Möwe fliegt über das Wasser. Zeichnung und malerische Behandlung sind so ein¬
fach wie meisterhaft; bei allem Grauen, das der Stoff erregt, ist doch Dank der
keuschen und besonnenen Behandlung der poetische Eindruck vorherrschend.

Aber wie tödtlich das Unterfangen lohnen kann, den Tod 8KN8 pdras"
zu malen, wird man nicht weit davon vor einer Leinwand inne, die Alphonse
Auffray's Namen trägt. Ohne Zweifel will auch er eine Art von poetischem
Neiz des Schauerlichen ausüben, wenn er Morgengrauen, Alpenwildniß und Un¬
glück in nichts Geringeres zusammenaddirt als in Stiefel, Hut, Nockfetzen und
Flinte, in deren holder Mitte buchstäblich ein verfaulter Gemsjäger modert.

Wenn wir hier nun noch die Erwähnung eines belgischen Bildes an¬
schließen, so geschieht es nur, um wie bei dem Gemälde Bertrands zu zeigen,
in wie weit Schönheit des Vortrags das Peinliche des sujets zu sühnen,


Stellungen, die sich gewissermaßen ergänzen: die verliebte Nonne, ein schönes
Mädchen,mit hektischer Gesichtsfarbe am Stamm des Kreuzes sich windend,
offenbar im Kampf auf Tod und Leben mit der Sinnlichkeit, elegant und
sicher vorgetragen, — und außerdem einen „Anatomen" : der Mann sitzt am
Pult in düsterer Stube und zieht eben das Tuch von der Leiche eines jungen
Mädchens hinweg, die in steiler Verkürzung auf dem Sectionsbrete liegt,
und hält in dem Moment inne, da die knospende Brust des Opfers blos
wird. Wie Monogramme sind Schmetterlinge angebracht, die sich sowol
dort an den Füßen der armen Lebenden, als auch an denen der Todten zu
thun machen; hier ein Nachtschmetterling. Daß wir es mit einer nächtlichen
Phantasie zu thun haben, brauchte nicht erst angedeutet zu werden; wir sind
indeß so frei, die Thiere in der Eigenschaft ihrer Vergänglichkeit a!s Verheißun¬
gen aufzufassen; denn die Verirrung des letztgenannten Bildes darf doch keine
Dauer haben. Dem Apparat desselben mag die Kritik getrost das Secir-
messer entlehnen.

Wie um die ernten Nachahmer zu beschämen, ist diesmal ein fran¬
zösischer Virtuos in der Schilderung aufregender Contraste. James Ber¬
trand, mit einem Bilde erschienen, das die tiefste Rührung hervorrufen
muß: im Ufersand des Meeres lang ausgestreckt, die Arme vorn zusammen¬
geschmiegt (ganz nach dem Motive der Cäcilienstatue von Maderno, nur daß
der Kopf nach vorn gekehrt ist) liegt ein todtes Mädchen in einfachem blau¬
streifigen Kleide; ein wenig Korallenschmuck und die feinen Strümpfe
deuten auf gute Herkunft; der Tod, unzweifelhaft eigene Wahl, hat den
Ausdruck der lieblichen, wenn auch nickt hervorragend schönen Züge wieder
verklärt und macht die Erscheinung in allem Elend ruhevoll. Kein gesuchter
Lichteffekt stört den wehmüthigen Zauber; mit liebevoller Discretion läßt
der Künstler die anfluthende Welle bäumen, sodaß die holde Gestalt im
nächsten Augenblick begraben werden muß; der Himmel dämmert und eine
Möwe fliegt über das Wasser. Zeichnung und malerische Behandlung sind so ein¬
fach wie meisterhaft; bei allem Grauen, das der Stoff erregt, ist doch Dank der
keuschen und besonnenen Behandlung der poetische Eindruck vorherrschend.

Aber wie tödtlich das Unterfangen lohnen kann, den Tod 8KN8 pdras«
zu malen, wird man nicht weit davon vor einer Leinwand inne, die Alphonse
Auffray's Namen trägt. Ohne Zweifel will auch er eine Art von poetischem
Neiz des Schauerlichen ausüben, wenn er Morgengrauen, Alpenwildniß und Un¬
glück in nichts Geringeres zusammenaddirt als in Stiefel, Hut, Nockfetzen und
Flinte, in deren holder Mitte buchstäblich ein verfaulter Gemsjäger modert.

Wenn wir hier nun noch die Erwähnung eines belgischen Bildes an¬
schließen, so geschieht es nur, um wie bei dem Gemälde Bertrands zu zeigen,
in wie weit Schönheit des Vortrags das Peinliche des sujets zu sühnen,


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[0378] Stellungen, die sich gewissermaßen ergänzen: die verliebte Nonne, ein schönes Mädchen,mit hektischer Gesichtsfarbe am Stamm des Kreuzes sich windend, offenbar im Kampf auf Tod und Leben mit der Sinnlichkeit, elegant und sicher vorgetragen, — und außerdem einen „Anatomen" : der Mann sitzt am Pult in düsterer Stube und zieht eben das Tuch von der Leiche eines jungen Mädchens hinweg, die in steiler Verkürzung auf dem Sectionsbrete liegt, und hält in dem Moment inne, da die knospende Brust des Opfers blos wird. Wie Monogramme sind Schmetterlinge angebracht, die sich sowol dort an den Füßen der armen Lebenden, als auch an denen der Todten zu thun machen; hier ein Nachtschmetterling. Daß wir es mit einer nächtlichen Phantasie zu thun haben, brauchte nicht erst angedeutet zu werden; wir sind indeß so frei, die Thiere in der Eigenschaft ihrer Vergänglichkeit a!s Verheißun¬ gen aufzufassen; denn die Verirrung des letztgenannten Bildes darf doch keine Dauer haben. Dem Apparat desselben mag die Kritik getrost das Secir- messer entlehnen. Wie um die ernten Nachahmer zu beschämen, ist diesmal ein fran¬ zösischer Virtuos in der Schilderung aufregender Contraste. James Ber¬ trand, mit einem Bilde erschienen, das die tiefste Rührung hervorrufen muß: im Ufersand des Meeres lang ausgestreckt, die Arme vorn zusammen¬ geschmiegt (ganz nach dem Motive der Cäcilienstatue von Maderno, nur daß der Kopf nach vorn gekehrt ist) liegt ein todtes Mädchen in einfachem blau¬ streifigen Kleide; ein wenig Korallenschmuck und die feinen Strümpfe deuten auf gute Herkunft; der Tod, unzweifelhaft eigene Wahl, hat den Ausdruck der lieblichen, wenn auch nickt hervorragend schönen Züge wieder verklärt und macht die Erscheinung in allem Elend ruhevoll. Kein gesuchter Lichteffekt stört den wehmüthigen Zauber; mit liebevoller Discretion läßt der Künstler die anfluthende Welle bäumen, sodaß die holde Gestalt im nächsten Augenblick begraben werden muß; der Himmel dämmert und eine Möwe fliegt über das Wasser. Zeichnung und malerische Behandlung sind so ein¬ fach wie meisterhaft; bei allem Grauen, das der Stoff erregt, ist doch Dank der keuschen und besonnenen Behandlung der poetische Eindruck vorherrschend. Aber wie tödtlich das Unterfangen lohnen kann, den Tod 8KN8 pdras« zu malen, wird man nicht weit davon vor einer Leinwand inne, die Alphonse Auffray's Namen trägt. Ohne Zweifel will auch er eine Art von poetischem Neiz des Schauerlichen ausüben, wenn er Morgengrauen, Alpenwildniß und Un¬ glück in nichts Geringeres zusammenaddirt als in Stiefel, Hut, Nockfetzen und Flinte, in deren holder Mitte buchstäblich ein verfaulter Gemsjäger modert. Wenn wir hier nun noch die Erwähnung eines belgischen Bildes an¬ schließen, so geschieht es nur, um wie bei dem Gemälde Bertrands zu zeigen, in wie weit Schönheit des Vortrags das Peinliche des sujets zu sühnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/378>, abgerufen am 01.07.2024.