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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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errungen und damit die Doppelstellung gewonnen, die für Preußens weitere
Entwickelung und die Geschicke Deutschlands von maßgebender Bedeutung
geworden ist.

Der äußerst verschlungene und wechselvolle Verlauf des großen Kampfes,
in dem der kräftig aufstrebende Staat- seine erste glückliche Probe auf dem
Schauplatz der europäischen Politik ablegte, ist bekannt. Nur soviel sei be¬
merkt, daß auch in dieser entscheidenden Krise Waldeck's rastlose Thätigkeit
dem Kurfürsten die ersprießlichsten Dienste leistete, wie von Erdmannsdörfer
bis ins Einzelne nachgewiesen wird. Leider sollte in diesem Kampfe Wal¬
decks Laufbahn als brandenburgischer Minister ihren Abschluß finden. Er
verlor, wie es von dem Träger eines so scharf ausgebildeten politischen
Systems nicht anders zu erwarten war, niemals die vor dem Kriege an¬
geknüpften Beziehungen aus dem Auge; die Erfolge im Osten für die
Reichspolitik zu verwerthen, die Union weiter zu entwickeln, Habsburg bis
aufs Aeußerste zu bekämpfen, das blieb ihm die höchste Aufgabe des branden¬
burgisch-preußischen Staats. Daher war er denn auch der eifrigste Beförderer
des schwedischen Bündnisses, um so energischer, je schärfer der Gegensatz
zwischen Schweden und Oestreich hervortrat. Gleich im Beginn der Ver¬
wickelungen suchte er Schweden für ein enges Bündniß zu gewinnen, welches
die nordischen und die deutschen Angelegenheiten zugleich umfaßte, welches
also Schweden in Polen, Brandenburg in Deutschland freien Spielraum ge¬
währen sollte. Schweden aber, das sich damals mit dem Kaiser noch nicht
auf gespannten Fuß zu setzen wagte, lehnte das Anerbieten ab. Waldeck
ist unermüdlich; jede Pause in den nordischen Händeln benutzt er, um seine
deutschen Pläne wieder in Fluß zu bringen; er ist unerschöpflich in Ver¬
suchen, die polnische mit der deutschen Frage in einer nach beiden Seiten
hin fördernden Weise zu combiniren, immer scharfsinnig und fein, aber aller¬
dings nicht immer mit genügender Berechnung der beschränkten Mittel des
Staates. Man kann sich doch des Eindrucks nicht erwehren, daß der feurige,
mit lebhafter, schöpferischer Einbildungskraft begabte Staatsmann sich oft
mehr, als mit den Erfordernissen des Augenblicks vereinbar war, von seinen
Lieblingsideen beherrschen ließ, daß er durch seine diplomatische Virtuosität
in Verbindung mit einem etwas sanguinischen Temperament verleitet wurde,
bet seinem Calcül die hindernden Factoren zu niedrig, die fördernden zu
hoch anzuschlagen.

Der Systemwechsel der Jahre 1637 und 1638, der Preußen zum
Bundesgenossen Polens und zum Gegner Schwedens machte, fand daher in
Waldeck einen entschiedenen Gegner, da ein Bündniß mit Oestreich eine un¬
vermeidliche Consequenz der polnischen Alliance war. Und das in einem
Augenblick, wo der Tod Kaiser Ferdinands III. die Gelegenheit zu bieten


errungen und damit die Doppelstellung gewonnen, die für Preußens weitere
Entwickelung und die Geschicke Deutschlands von maßgebender Bedeutung
geworden ist.

Der äußerst verschlungene und wechselvolle Verlauf des großen Kampfes,
in dem der kräftig aufstrebende Staat- seine erste glückliche Probe auf dem
Schauplatz der europäischen Politik ablegte, ist bekannt. Nur soviel sei be¬
merkt, daß auch in dieser entscheidenden Krise Waldeck's rastlose Thätigkeit
dem Kurfürsten die ersprießlichsten Dienste leistete, wie von Erdmannsdörfer
bis ins Einzelne nachgewiesen wird. Leider sollte in diesem Kampfe Wal¬
decks Laufbahn als brandenburgischer Minister ihren Abschluß finden. Er
verlor, wie es von dem Träger eines so scharf ausgebildeten politischen
Systems nicht anders zu erwarten war, niemals die vor dem Kriege an¬
geknüpften Beziehungen aus dem Auge; die Erfolge im Osten für die
Reichspolitik zu verwerthen, die Union weiter zu entwickeln, Habsburg bis
aufs Aeußerste zu bekämpfen, das blieb ihm die höchste Aufgabe des branden¬
burgisch-preußischen Staats. Daher war er denn auch der eifrigste Beförderer
des schwedischen Bündnisses, um so energischer, je schärfer der Gegensatz
zwischen Schweden und Oestreich hervortrat. Gleich im Beginn der Ver¬
wickelungen suchte er Schweden für ein enges Bündniß zu gewinnen, welches
die nordischen und die deutschen Angelegenheiten zugleich umfaßte, welches
also Schweden in Polen, Brandenburg in Deutschland freien Spielraum ge¬
währen sollte. Schweden aber, das sich damals mit dem Kaiser noch nicht
auf gespannten Fuß zu setzen wagte, lehnte das Anerbieten ab. Waldeck
ist unermüdlich; jede Pause in den nordischen Händeln benutzt er, um seine
deutschen Pläne wieder in Fluß zu bringen; er ist unerschöpflich in Ver¬
suchen, die polnische mit der deutschen Frage in einer nach beiden Seiten
hin fördernden Weise zu combiniren, immer scharfsinnig und fein, aber aller¬
dings nicht immer mit genügender Berechnung der beschränkten Mittel des
Staates. Man kann sich doch des Eindrucks nicht erwehren, daß der feurige,
mit lebhafter, schöpferischer Einbildungskraft begabte Staatsmann sich oft
mehr, als mit den Erfordernissen des Augenblicks vereinbar war, von seinen
Lieblingsideen beherrschen ließ, daß er durch seine diplomatische Virtuosität
in Verbindung mit einem etwas sanguinischen Temperament verleitet wurde,
bet seinem Calcül die hindernden Factoren zu niedrig, die fördernden zu
hoch anzuschlagen.

Der Systemwechsel der Jahre 1637 und 1638, der Preußen zum
Bundesgenossen Polens und zum Gegner Schwedens machte, fand daher in
Waldeck einen entschiedenen Gegner, da ein Bündniß mit Oestreich eine un¬
vermeidliche Consequenz der polnischen Alliance war. Und das in einem
Augenblick, wo der Tod Kaiser Ferdinands III. die Gelegenheit zu bieten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/342>, abgerufen am 03.07.2024.